Kohlenstoffbilanz in neuer Balance

Forscher bestimmen, wie Fotosyntheseraten und Ökosystematmung vom Klima abhängen, um die Folgen des Klimawandels besser einzuschätzen

6. Juli 2010

Klimaprognosen könnten in Zukunft genauer und zuverlässiger werden - dank neuer Erkenntnisse über die Rolle terrestrischer Ökosysteme im globalen Kohlenstoffkreislauf. Internationale Forscherteams unter Leitung des Max-Planck-Instituts für Biogeochemie in Jena präsentieren dazu in zwei Studien nun umfassende Datenanalysen. Daraus ergeben sich auch präzisere Abschätzungen, wie die Ökosysteme auf den Klimawandel reagieren könnten. So ändert sich die Fotosyntheserate, mit der Pflanzen Kohlendioxid aus der Atmosphäre binden, in den meisten Ökosystemen kaum, wenn die Temperatur schwankt. Dagegen reagiert sie auf 40 Prozent der bewachsenen Erdoberfläche sehr empfindlich, wenn mehr oder weniger Niederschlag fällt. Auch die Atmung der Ökosysteme, in der Flora und Fauna wieder Kohlendioxid freisetzen, verstärkt sich in geringerem Maß als zuletzt häufig angenommen, wenn die Temperatur steigt. Zudem hängt sie weltweit in gleicher Weise von der Temperatur ab - selbst in so unterschiedlichen Ökosystemen wie etwa der tropischen Savanne und dem finnischen Nadelwald. (Science Express, 5. Juli 2010)

Das Klima ist ziemlich launisch: Unzählige Faktoren spielen dabei mit und viele Rückkopplungen verstärken Effekte wie etwa den vom Menschen verursachten Treibhauseffekt. Entsprechend schwierig sind Prognosen, zumal viele Prozesse im Erdsystem noch nicht völlig verstanden sind. Klarer wird nun, wie die Ökosysteme an Land im globalen Kohlenstoffkreislauf mitmischen. Das gilt sowohl für die Rolle der Fotosynthese, mit der sie Kohlendioxid binden, als auch den Prozess der Atmung, bei dem sie Kohlendioxid wieder frei setzen. Damit leisten die Wissenschaftler einen wichtigen Beitrag zum Verständnis, wie der globale Kohlenstoffkreislauf auf Erderwärmung und Klimawandel reagiert. "Unsere Ergebnisse legen nahe, dass insbesondere die Verfügbarkeit von Wasser eine entscheidende Rolle für den Kohlenstoffkreislauf in Ökosystemen spielt. Sie ist oft wichtiger als die Temperatur", sagt Markus Reichstein, der als Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Biogeochemie zusammen mit seinen Mitarbeitern und zwei internationalen Teams diese Fragen untersucht hat.

In einer der aktuellen Studien haben die Forscher der Fluxnet-Initiative an 60 über die ganze Erde verteilten Stationen gemessen, wie die Atmung von Ökosystemen auf kurzfristige Temperaturschwankungen reagiert. Demnach wandeln Pflanzen und Mikroorganismen Zucker nicht einmal mit doppelter Geschwindigkeit in Kohlendioxid um, wenn die Temperatur, etwa von einer Woche zur nächsten um zehn Grad steigt. "Daraus lässt sich mit geeigneten Modellen berechnen, wie sich der Klimawandel auf die Atmung der Ökosysteme und den globalen Kohlenstoffkreislauf auswirken könnte", sagt Markus Reichstein.

Bisherige Untersuchungen auf Ebene der Ökosysteme ergaben teilweise Beschleunigungen um das drei- bis vierfache, wodurch sich der Treibhauseffekt verstärken würde. Allerdings ließen sich diese Daten nicht mit globalen Modellen sowie atmosphärischen Messungen von Kohlendioxidkonzentrationen und deren saisonalen Schwankung in Einklang bringen. "Nun können wir offenkundige Widersprüche zwischen experimentellen und theoretischen Arbeiten ausräumen", sagt Miguel Mahecha, der die neuen Messungen der Ökosystematmung maßgeblich koordiniert und ausgewertet hat. Und sein Kollege Markus Reichstein ergänzt: "Besonders alarmistische Szenarien für die Rückkopplung von Erderwärmung und Ökosystematmung erweisen sich damit als unrealistisch."

Fast alle Ökosysteme atmen gleich

Diese Messungen widerlegen auch eine andere Annahme, die frühere Untersuchungen scheinbar nahelegten - dass nämlich die Atmung der Ökosysteme in den Tropen und mittleren Breiten weniger stark von der Temperatur beeinflusst wird als in höheren Breiten. Wie die Jenaer Wissenschaftler nun festgestellt haben, intensiviert sich jedoch die Atmung auch sehr unterschiedlicher Ökosysteme in gleichem Maß, wenn es wärmer wird. Der Faktor, der die Beschleunigung der Atmung erfasst, hängt demnach offenbar nicht von den lokalen Temperaturbedingungen und den spezifischen Eigenschaften eines Ökosystems ab. "Dass verschiedene Ökosysteme relativ einheitlich auf Schwankungen der Temperatur reagieren, hat uns sehr überrascht", sagt Miguel Mahecha: "Immerhin haben wir hier zum Beispiel Savannen, tropische Regenwälder, aber auch Mitteleuropäische Laub- und Nadelwälder und Agrarökosysteme analysiert."

Jetzt müssen Klimaforscher prüfen, wie sich die neuen Erkenntnisse auf die Prognosen zum Kohlendioxidhaushalt und Klimawandel auswirken. "Ob sich damit die positive Rückkopplung zwischen Kohlendioxidgehalt und Temperatur abschwächt, können wir noch nicht absehen", sagt Markus Reichstein: "Die Studie zeigt aber sehr klar, dass wir die globalen Stoffkreisläufe und ihre Bedeutung für langfristige Entwicklungen noch nicht gut verstehen."

Das wollen die Wissenschaftler auch mit ihrer Untersuchung zur Fotosyntheserate ändern. Demnach speichern die terrestrischen Ökosysteme jährlich 450 Milliarden Tonnen Kohlendioxid. "Bislang ging man zwar von einem ähnlichen Wert aus, den hat man aber nur abgeschätzt", sagt Christian Beer, der die Studie federführend betreut hat. 60 Prozent des Kohlendioxids, das Pflanzen weltweit aus der Atmosphäre aufnehmen, schlucken die tropischen Regenwälder und die Savannen. Die Savannen verdanken ihre vergleichsweise wichtige Rolle der riesigen Fläche, über die sie sich ausbreiten. Dagegen nehmen die Regenwälder auf relativ kleinen Flächen besonders viel Kohlendioxid auf, um daraus Biomasse zu produzieren.

Viele Ökosysteme reagieren empfindlich auf Wassermangel

In der weltweiten Analyse haben die Forscher zudem festgestellt, dass die Menge des Kohlendioxids, das durch die Fotosynthese in Blättern gebunden wird, in verschiedenen Vegetationszonen von unterschiedlichen Klimafaktoren beeinflusst wird. Mal spielt die Temperatur eine größere Rolle, mal die Intensität des eingestrahlten Lichts und mal die Wassermenge, die Pflanzen aus dem Boden saugen können.

Global wirkt sich allerdings der Faktor Wasser am stärksten aus: Auf 40 Prozent der bewachsenen Erdoberfläche betreiben Pflanzen mehr Fotosynthese, wenn das Wasserangebot wächst, und weniger, wenn eine Dürre um sich greift. In gemäßigten Gras- und Buschlandschaften hängt die Menge an Kohlendioxid, die Pflanzen als Zucker binden, zu 69 Prozent von ihrer Wasserversorgung ab, im tropischen Regenwald nur zu 29 Prozent. Die Menge an Kohlendioxid, die Ökosysteme jährlich aufnehmen, bezeichnen die Forscher als Primärproduktion. "Uns hat überrascht, dass es bei der Primärproduktion in den Tropen nicht so stark auf die Niederschlagsmenge ankommt", sagt Markus Reichstein: "Auch hier müssen wir also die Vorhersagen mancher Klimamodelle kritisch überprüfen, denen zufolge zum Beispiel der Amazonas wegen zunehmender Trockenheit absterben soll. "

Die Daten, auf denen die beiden jetzt veröffentlichen Arbeiten basieren, stammen aus einem internationalen Netz von Messstationen, die in verschiedenen Ökosystemen der Welt Langzeitbeobachtungen vornehmen. Mit hohen Messtürmen über Graslandschaften oder Wäldern zeichnen Forscherteams weltweit die Wasser- und Kohlendioxidkonzentration in der Luft sowie die Windturbulenzen auf. So können sie berechnen, wie viel Kohlendioxid ein bestimmtes Ökosystem aufnimmt und abgibt. Diese Werte setzen sie mit dem lokalen Klima in Zusammenhang und teilen die Erdoberfläche dabei in 50-mal 50 Kilometer große Quadranten ein. Die globale Primärproduktion ermitteln die Forscher, indem sie die Fotosyntheseraten der einzelnen Ökosysteme anhand von Satellitendaten hochrechnen. Die Satelliten messen nämlich, wie viel Lichtenergie die bewachsene Erdoberfläche weltweit absorbiert. Bislang haben Klimaforscher das Wechselspiel von Klima und Fotosynthese beziehungsweise Ökosystematmung hochgerechnet, und zwar auf Basis von Hypothesen.

Die neue Fluxnet-Initiative, die Markus Reichstein und Kollegen aus Italien und Nordamerika angestoßen haben, führt die Ergebnisse der globalen Messungen erstmals zusammen. "Dank der Bereitschaft verschiedener Arbeitsgruppen, ihre Daten offen zu legen, gewinnen wir neue Einblicke in das Klimasystem der Erde", sagt Reichstein: "Gerade die aktuellen Studien beweisen den Mehrwert von Langzeitbeobachtungen des Erdsystems für die Forschung: Sie helfen uns die Unsicherheit gegenwärtiger Klimaprognosen zu verringern und einige Modellvorhersagen auszuschließen."

Weitere interessante Beiträge

Zur Redakteursansicht