Die Wege der Moleküle

Mathematiker entwickeln ein neues Modell zur Verbreitung bioaktiver Substanzen in Lebewesen

13. August 2010

Die Suche nach wirkungsvollen Medikamenten wird künftig leichter. Forscher des Max-Planck-Instituts für Mathematik in den Naturwissenschaften und der Universität Aarhus in Dänemark können mit einem neuen mathematischen Modell schneller und genauer als bislang vorhersagen, ob ein Arzneimittel zu seinem Wirkungsort gelangt. Das Modell nutzt ausgeklügelte mathematische Methoden, um aus chemischen Daten die Route biologisch aktiver Substanzen im Körper zu berechnen. Zukünftig könnte das neue Modell der Wissenschaftler auch die Wege von Chemikalien in Ökosystemen beschreiben. (Journal of Chemical Physics 133, 044104 _2010)

Biologisch aktive Substanzen müssen im menschlichen Körper eine Vielzahl wässriger Lösungen, Lipidmembranen und Blutbarrieren durchdringen, um zu ihrer jeweiligen Wirkungsstätte vorzudringen. Forscher des Max-Planck-Instituts für Mathematik in den Naturwissenschaften in Leipzig ermöglichen es nun gemeinsam mit Kollegen der Aarhus Universität in Dänemark, die Wege bioaktiver Stoffe im menschlichen Körper zuverlässiger und schneller zu beschreiben als bislang. Sie haben ein neues mathematisches Modell entwickelt, das die freie Hydratationsenergie vieler biologisch aktiver Stoffe berechnet. Über die freie Hydratationsenergie der Moleküle ermitteln die Forscher, wie gut sich die Substanzen in verschiedenen Medien lösen. Daraus ergibt sich, welche Bahnen die Stoffe in komplexen Umgebungen nehmen.

Das neue Modell basiert auf einer Datenbank, welche die freien Hydratationsenergien von etwa 50 bioaktiven Substanzen enthält. Aus ihnen errechnet die Software der Forscher innerhalb weniger Sekunden die freie Hydratationsenergie weiterer, chemisch ähnlicher Stoffe. Ältere automatisierte Simulationsmodelle auf Basis der gleichen Datenbank brauchten oft Wochen, um ein Ergebnis zu liefern. "Und das war dann häufig ungenau", sagt Maxim Fedorov vom Max-Planck-Institut für Mathematik in den Naturwissenschaften in Leipzig. Er und seine Kollegen haben eine bereits bestehende Theorie mit modernen mathematischen Methoden weiterentwickelt und so eine neue Formel aufgestellt, die den Zusammenhang zwischen den Strukturen von Molekülen und ihren physikalischen Eigenschaften besser beschreibt.

"Die älteren Modelle nutzen nicht alle Möglichkeiten, die uns die Mathematik heute bietet", so Fedorov. "Das liegt auch daran, dass neue Entwicklungen in der Mathematik von anderen Disziplinen oft übersehen werden." Da die alten Modelle nicht alle mathematischen Kniffe einsetzten, dauerte die Berechnung der freien Hydrationsenergie so lange, dass sie für die Industrie unpraktikabel waren. Daher liegen derzeit nur von 1000 der insgesamt 20 Millionen bekannten bioaktiven Stoffe entsprechende Werte vor.

Vor allem in der Medikamentenentwicklung ist die Löslichkeit von bioaktiven Stoffen aber ein wichtiger Punkt. "Zu Beginn von Studien arbeiten Wissenschaftler in extrem geringen Dosen, im Nano- oder Milligrammbereich", sagt Fedorov. "Bei diesen geringen Mengen in Labortests zu testen, wie sich ein Stoff später im Körper verteilen wird und ob er überhaupt in die Zielzellen eindringt, ist quasi unmöglich." Für die Tests im Labor müssen Forscher die Substanzen zunächst kristallisieren, was oft schwierig oder gar unmöglich ist. Anschließend bestimmen sie in mehreren Schritten die freie Hydrationsenergie. "Die Messungen sind langwierig, teuer und gerade zu Beginn der Wirkstoffentwicklung unpraktisch", sagt Fedorov.

Die einfachen Berechnungen der physikalischen Eigenschaft könnten nicht nur im pharmakologischen Bereich Anwendung finden. "Das Modell ist die Grundlage für viele Berechnungen, die mit der Verteilung von Stoffen in komplexen Umgebungen zu tun haben", so Fedorov. Es gilt für beliebige wässrige Systeme, und der menschliche Körper ist eines davon. "Wir wollen letztlich die Bewegung einer Substanz in einer beliebig komplexen Umgebung vorhersagen." So könnten die Ergebnisse auch für die Umweltforschung relevant werden. Sie erlauben es Wissenschaftlern beispielsweise die Verbreitung landwirtschaftlicher Chemikalien in Ökosystemen oder industrieller Abgase und Abwässer in der Luft und Flüssen zu prognostizieren.

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