Die Max-Planck-Gesellschaft hat sich der Vergangenheit ihrer Vorgängerorganisation gestellt

16. Dezember 2010

Die Max-Planck-Gesellschaft (MPG) hat als erste deutsche Forschungsorganisation 1997 eine unabhängige Historikerkommission eingesetzt, die die Geschichte ihrer Vorgängerorganisation, der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, im Nationalsozialismus umfassend aufgearbeitet hat. Das Projekt ist inzwischen abgeschlossen. 2001 hat sich die Max-Planck-Gesellschaft bei den überlebenden Opfern stellvertretend für die Wissenschaftler der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft entschuldigt. "Aus der Vergangenheit ziehen wir die Lehre, dass wir alles tun müssen, damit Grundlagenforschung nicht nochmals grundlegende ethische Grenzen verletzt", betont Max-Planck-Präsident Peter Gruss. Er hat deshalb unter anderem eine Kommission für Ethik sicherheitsrelevanter Forschung eingesetzt.

Aus dem Forschungsprogramm zur Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (KWG) im Nationalsozialismus sind inzwischen 19 Forschungsbände und 28 Vorabdrucke erschienen. Die Leitung der Historikerkommission hatten mit Reinhard Rürup (TU Berlin) und Wolfgang Schieder (Universität Köln) zwei Historiker übernommen, die nicht der MPG angehörten und denen alle Archive und Nachlässe offenstanden. Die Politik der Generalverwaltung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft stand ebenso im Fokus, wie die Rassen- und Vererbungsforschung in den KWG-Instituten oder die Rüstungsforschung unter den Bedingungen der Kriegswirtschaft. Außerdem untersuchten Historiker, welche Rolle die agrarwissenschaftliche Forschung für die nationalsozialistische Expansionspolitik spielte und beleuchteten die Rolle des Nobelpreisträgers und langjährigen Präsidenten der Max-Planck-Gesellschaft, Adolf Butenandt.

Die Historiker kamen zu dem Ergebnis, dass Wissenschaftler der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft in die kriegswichtige Forschung im nationalsozialistischen Staat eingebunden waren. Oft kooperierten Forscher dabei bereitwillig und ohne Zwang mit dem NS-Staat, indem sie eigene Forschungsinteressen mit den politischen und militärischen Zielen des Regimes zum beiderseitigen Vorteil verbanden. Ohne größeren Widerstand waren 1933 die meisten jüdischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vertrieben worden. Nachdem Max Planck als Präsident der KWG 1937 ausgeschieden war, widersetzte sich die Generalverwaltung kaum noch. In den meisten Kaiser-Wilhelm-Instituten waren die Übergänge zwischen ursprünglichen wissenschaftlichen Interessen und der Einbindung in Politik und Zielsetzungen des NS-Regimes fließend. Vor allem in der biowissenschaftlichen Forschung und der Rassenforschung überschritten Wissenschaftler eindeutig ethische Grenzen. Ein prägnantes Beispiel waren Menschenexperimente und ein skrupelloser Umgang mit menschlichen Präparaten.

Als Nachfolgeorganisation der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft hat die Max-Planck-Gesellschaft hierfür die historische Verantwortung übernommen. "Die ehrlichste Art der Entschuldigung ist daher die Offenlegung der Schuld", hatte MPG-Präsident Hubert Markl auf dem Symposium "Biowissenschaften und Menschenversuche an den Kaiser-Wilhelm-Instituten" 2001 vor den Überlebenden der Zwillingsforschung bekannt. "Um Verzeihung bitten kann eigentlich nur ein Täter. Dennoch bitte ich Sie, die überlebenden Opfern, von Herzen um Verzeihung für die, die dies, gleich aus welchen Gründen, selbst auszusprechen versäumt haben". Die Max-Planck-Gesellschaft entschuldigte sich auch dafür, dass sie selbst lange Zeit zu wenig zur Aufklärung der Geschichte der KWG im Nationalsozialismus beigetragen und sich somit ihrer historischen Verantwortung zu spät gestellt hat.

Bis in die achtziger Jahre hinein hatte es in der Max-Planck-Gesellschaft Tradition, an die herausragenden Forschungsleistungen und Nobelpreise der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zu erinnern, ohne die Verstrickungen im Nationalsozialismus sehen zu können Hierfür wurde der Mythos der reinen Grundlagenforschung beschworen. Die Politik eines "kollektiven Verdrängens" wurde durch die Tatsache begünstigt, dass im Dritten Reich handelnde Akteure und Mitläufer nach 1945 nicht zur Rechenschaft gezogen wurden und vertriebene Wissenschaftler in der Regel nicht in die Max-Planck-Gesellschaft zurückkehrten. Wie in vielen anderen Nachkriegsorganisationen auch, bildete das Jahr 1945 trotz Neugründung der Max-Planck-Gesellschaft keine wirkliche Zäsur. Eine Emanzipation der Max-Planck-Gesellschaft von ihrer Vorgängerorganisation erfolgte langsam und unter Widerständen. 1990 war die Zeit reif, dass die Präsidenten Heinz Staab und Hans Zacher Hirnpräparate, die von KZ-Häftlingen oder "Euthanasie"-Opfern stammten, in einer Gedenkstunde auf dem Münchner Waldfriedhof bestatten ließen.

Die Verstrickung hat den Blick der MPG für ethische Fragen wesentlich geschärft. 2007 hat der Präsident der Max-Planck-Gesellschaft Peter Gruss den Ethikrat berufen, ein Expertengremium aus Wissenschaftlern der MPG, dem derzeit der Völkerrechtler Rüdiger Wolfrum vorsteht. Es nimmt als internes Beratungsgremium Stellung zu Fragen der Forschungsethik. Derzeit stehen die EU-Tierschutzrichtlinie, synthetische Biologie, Nano-Technologie auf der Agenda. Im März 2009 sind außerdem die überarbeiteten "Regeln zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis" erschienen, die eine Richtschnur für wissenschaftliches Handeln bieten.

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