Katastrophen zählen

Max-Planck-Forscher entdecken ein Gesetz, das die Anzahl der so genannten Kaustiken in einer Strömung beschreibt

9. Juli 2010

Fließt eine Strömung unter dem Einfluss einer räumlich zufällig variierenden Kraft, kommt es zu "Katastrophen": An verschiedenen Stellen der Strömung bilden sich Stromlinien mit drastisch erhöhter Flussdichte aus. Ein Beispiel für dieses Verhalten sind Monsterwellen auf hoher See, die sich auch in relativ ruhigen Gewässern scheinbar aus dem Nichts zu einer Höhe von 25 Metern und mehr auftürmen können. Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation in Göttingen stellen jetzt erstmals eine Theorie vor, welche die Anzahl solcher Katastrophen in einer Strömung vorhersagt. Das Erstaunliche: Dieses Gesetz ist universell, das heißt unabhängig vom physikalischen System beschreibt es die Anzahl von Katastrophen im Fluss. (Physical Review Letters, 8. Juli 2010)

Motor für so genannte Monsterwellen auf offener See sind kleinste Schwankungen in der Meeresströmung. Immer wieder führt diese Unregelmäßigkeit dazu, dass riesige Wellen entstehen. Dasselbe Prinzip kommt auch in der mikroskopischen Welt zu tragen: In dünnen Halbleiterschichten bündelt sich der Elektronenfluss zu Stromfäden mit hoher Dichte. Ursache sind hier winzige Unreinheiten im Halbleiter. Ganz gleich ob Wasser oder Elektronen strömen - Wissenschaftler bezeichnen solche katastrophal erhöhten Flussdichten als Kaustiken. Wie viele solcher Kaustiken entstehen in einer Strömung? Und wie stark können sich die Stromfäden extrem hoher Flussdichte verzweigen?

"Eine befriedigende Antwort auf diese Fragen gab es bisher nicht", erklärt Jakob Metzger, der sich damit am Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation nun eingehend beschäftigt hat. Nur so viel war klar: In großer Entfernung von der Unordnungskraft, welche die Kaustiken auslöst, steigt die Anzahl der Stromlinien hoher Dichte rasant an. So rasant, dass die vielen Linien zu einem einzigen diffusen Strom verschmieren. Den Göttinger Wissenschaftlern ist es nun erstmals gelungen, auch den Nahbereich mathematisch zu beschreiben.

In ihren Rechnungen konzentrierten sich die Forscher auf zweidimensionale Strömungen. "Da sowohl die Meeresoberfläche als auch Halbleiterschichten im Prinzip zweidimensionale Systeme sind, ist dies keine gravierende Einschränkung", erklärt Metzger. Den Wissenschaftlern gelang es, für die zwei Grenzfälle - ganz in der Nähe der Quelle und weit davon entfernt - mathematische Ausdrücke herzuleiten, welche die Anzahl der Kaustiken beschreiben. Indem die Forscher beide Ausdrücke kombinierten, entstand ein Gesetz, das universale Gültigkeit hat. In einem zweiten Schritt simulierten die Wissenschaftler verschiedenste Systeme am Computer, um ihr Gesetz zu überprüfen.

Insgesamt zeigte sich, dass sich die Anzahl der Kaustiken in jedem System auf gleiche Weise entwickelt - unabhängig von der genauen Art der Unordnungskraft. "Erst ab einer bestimmten Entfernung von der Quelle treten plötzlich mehrere Kaustiken gleichzeitig auf", beschreibt Metzger seinen Fund, der ihm in Zusammenarbeit mit seinem Kollegen Ragnar Fleischmann und Theo Geisel, Direktor am Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation, gelang. Danach verzweigen sich die Kaustiken und es entstehen weitere, so dass ihre Anzahl stetig zunimmt. Diese Zunahme wird noch einmal kurz abgebremst, bevor die Anzahl der Zweige - wie bereits bekannt war - rasant ansteigt.

"Die neu gefundene Gesetzmäßigkeit erlaubt es, Kaustiken besser vorherzusagen", so Ragnar Fleischmann. Die Forscher wollen nun ihre Ergebnisse auf weitere Systeme ausweiten. Ein Anwendungsgebiet ist etwa die Schallausbreitung im Ozean.

Zur Redakteursansicht