Zwischen Pietät und Pleite

Bestattungsmarkt in Deutschland wandelt sich

17. November 2010

Vom Friedhof zum Begräbniswald, Urne statt Eichensarg oder ein Grabstein "Made in China" - die Bestattungskultur in Deutschland hat sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten stark verändert. Standesgemäß gediegene Beerdigungen nach traditionellem Muster sind außer Mode gekommen. "Der Trend geht zu individuellen Bestattungen oder Billigangeboten", sagt der Soziologe Dominik Akyel vom Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln. Er hat die gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Ursachen untersucht, die den über Jahrhunderte hinweg in Frieden ruhenden Beerdigungsmarkt reanimierten.

Im Zusammenhang mit Tod, Trauer und der Gestaltung der Letzten Reise sind Werbung, Preisvergleiche und andere Verkaufshandlungen eine heikle Angelegenheit. Dennoch sieht sich die Bestatterbranche seit Beginn der 1990er Jahre zunehmend mit diesen Themen konfrontiert. Zum einen, weil sich das Entscheidungsverhalten der Hinterbliebenen gewandelt hat und zum anderen, weil sich die Marktsituation für die traditionell eher diskret auftretenden Bestattungsunternehmen seit einiger Zeit deutlich verändert. "Aus wirtschaftssoziologischer Perspektive ist das ein hochinteressantes Feld", so der 31jährige über sein Forschungsgebiet, das ihn in gesellschaftliche Bereiche führt, die gern verdrängt werden und viel Fingerspitzengefühl verlangen. "In diesem Markt ist Vieles tabuisiert, das in anderen ökonomischen Bereichen völlig normal ist."

"Hinterbliebene entscheiden heute anders", fasst Akyel das Ergebnis seiner Recherchen zusammen, bei denen er Daten aus amtlichen Statistiken auswertete, Experteninterviews führte und Dokumentenanalysen vornahm. Nach seiner Beobachtung liegen einige der Ursachen für die veränderten Verhaltensmuster Hinterbliebener in einem religiösen Bewusstseinswandel und neuen Lebensgewohnheiten begründet. In den letzten zwei Dekaden ist in Deutschland der Anteil von Menschen, die sich nicht mit christlichen Werten und Normen identifizieren könnten, deutlich gestiegen. "Dadurch verloren auch die traditionellen christlichen Bestattungs- und Gedenkformen an Bedeutung", so der Forscher.

Rücksicht auf Kundenwünsche

Ein weiterer Grund sind die veränderten Familienstrukturen und Lebensverhältnisse. "Besonders junge Menschen wechseln heute ihren Wohnort häufiger als vor 20 Jahren und leben oft weit entfernt von ihren Eltern. Dementsprechend werden die Grabstätten seltener aufgesucht", sagt Akyel. Außerdem beobachtete er einen Trend zu kleineren, intimeren Trauerfeiern, wobei zunehmend Wert darauf gelegt wird, dass die Bestattung zum Leben und der Persönlichkeit des Verstorbenen passt. "Dies gilt besonders beim Kauf von Särgen und Grabmälern, aber auch für die Wahl des Bestattungsinstituts." Auch kommt es inzwischen immer öfter vor, dass Menschen schon zu Lebzeiten ihren Abgang von der Weltbühne regeln. "Viele informieren sich in diesem Fall genau über das Angebot und holen Kostenvoranschläge ein", beschreibt er das veränderte Klientenverhalten. Die Unternehmen würden dadurch gezwungen, ihr Angebot stärker an den Kundenwünschen auszurichten, so Akyel. Kunden haben mittlerweile zudem mehr Wahlmöglichkeiten beim Bestattungskauf: außer der klassischen Lösung könne beispielsweise ein exklusives individuelles Begräbnis oder ein Billigangebot aus dem Internet erworben werden.

Die Studie zeigt auch, dass dabei zunehmend günstigste Angebote den Vorzug erhalten - aus verschiedenen Gründen. "Weil die Bestattung als soziales Ereignis ihre Bedeutung verliert, halten viele Menschen eine aufwändige und kostspielige Beerdigung nicht mehr für notwendig." Manchmal steckt hinter dem Geiz auch schlichter Geldmangel. Seitdem die Kassen das Sterbegeld nicht mehr bezahlen, fehlen manchen Hinterbliebenen die finanziellen Mittel für eine traditionelle Bestattung, die leicht mehrere tausend Euro kosten kann - Grabpflege exklusive.

Marktwirtschaft hält Einzug

Will sie überleben, muss sich die Branche der Bestatter auf neue Bedingungen einstellen. Doch hat sich nicht nur das Kundenverhalten verändert. Die gesamte Marktsituation präsentiert sich ihnen völlig anders als noch vor zwei Jahrzehnten. Durch Gesetzesreformen wurde seit den 1990er Jahren vieles möglich, was zuvor undenkbar war. Zum Beispiel sorgte die Privatisierung des Friedhofs- wie auch Bestattungswesen dafür, dass vielerorts private Verbrennungsstätten gegründet wurden, die oftmals preisgünstiger und kundenorientierter arbeiten als die kommunalen Betriebe. Mit der Privatisierung rückte auch die Profitorientierung in den Vordergrund; und das in einem Bereich, in dem wirtschaftlichen Interessen und ökonomisches Handeln als hochunanständig gelten. "Mittlerweile befindet sich etwa ein Drittel der Krematorien in Deutschland in privater Hand", so Akyel über die Trendwende in Fragen der Pietät. Gleichzeitig etablierten sich neuartige Begräbnisstätten wie zum Beispiel Friedwälder oder Kolumbarien, wo Urnen unter Bäumen oder in Mauereinlässen Platz finden. Für zusätzlichen Druck auf die Branche hierzulande sorgen auch internationale Anbieter, die versuchen, auf dem deutschen Markt Fuß zu fassen.

Unter dem Strich erwirtschaften viele Unternehmen zwar noch immer gute Gewinne, trotzdem ist der Jahresumsatz pro Bestattungsunternehmen seit den 1990er Jahren um ein Viertel zurückgegangen. Am stärksten betroffen sind die alteingesessen, wenig spezialisierten Institute in den Großstädten. "Bestattungsunternehmen müssen eine neue Handlungslogik finden, wenn sie ihre Kunden auf anderen Wegen als bisher ansprechen wollen", meint der Forscher. Für ihn als Wirtschaftssoziologen eine spannende Situation. "Denn hier lässt sich sehr genau beobachten, wie Marktmechanismen funktionieren, Tabus an Kraft verlieren und sich Illegitimes in Legitimes wandelt." Dass modernes Marketing wichtig ist, hat die Branche inzwischen schon gemerkt. So hat das Kuratorium Deutsche Bestattungskultur vor einiger Zeit einen Plakatwettbewerb ausgerufen, bei dem "auffallende, auffallend subtile oder auch betont einfache Entwürfe" gesucht wurden, die für die Bestattungsvorsorge Reklame machen sollte. Motto der Aktion: "Wer nicht wirbt, stirbt."

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