Mehr Treibhausgas mal ohne Mensch

Klimaforscher erklären den Anstieg des Kohlendioxids vor der Industrialisierung, doch viele Fragen zu Warmzeiten bleiben offen

26. Januar 2010

Warmes Klima und eine hohe Kohlendioxid-Konzentration in der Luft gibt es immer wieder in der Erdgeschichte, nämlich immer zwischen zwei Eiszeiten, und zwar etwa alle 100 000 Jahre. Einen für diese Zyklen untypischen Anstieg der Kohlendioxidkonzentration vor der Industrialisierung erklären jetzt Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Meteorologie. Sie haben die Effekte von Korallenriffen, die während einer Warmzeit wachsen, und von Mooren, die sich gleichzeitig ausbreiten, in ein Modell des Kohlenstoff-Kreislaufs integriert. Beide Prozesse wirken gegenläufig. Unterm Strich wird dabei aber Kohlendioxid frei. Bislang betrachteten manche den Kohlendioxid-Anstieg, den Eisbohrkerne von den Polkappen dokumentieren, als Folge menschlichen Handelns. Gegen diese These liefern die Max-Planck-Forscher nun einen weiteren Beleg. (Geophysical Research Letters, 21. Januar 2010)

Eigentlich wird es auf der Erde immer kühler - auf die ganz, ganz lange Sicht. In den letzten 65 Millionen Jahren sank die mittlere Temperatur um fünf bis zehn Grad Celsius. Seit etwa einer Million Jahren nimmt sie im Schnitt zwar nicht mehr weiter ab, dafür aber breiteten sich seither regelmäßig Gletscher über die Erde aus. Nur etwa alle 100 000 Jahre werden die Gletscher so groß, dass sie instabil werden, und sich weit zu den Polen und in die höchsten Berge zurückziehen. Dann sorgt eine Warmzeit für wohligere Temperaturen - die dadurch ausgelösten geologischen Prozesse setzen gleichzeitig Kohlendioxid frei.

Genau in einer solchen Warmzeit befinden wir uns derzeit. Wegen des vom Menschen ausgelösten Klimawandels könnte diese Warmzeit sogar noch katastrophale Ausmaße annehmen. Denn während der hohe Kohlendioxidgehalt der Luft bislang immer in Folge einer Erderwärmung anstieg, ist das beim derzeitigen Klimawandel umgekehrt. Die Kohlendioxid-Emissionen des Menschen haben die Konzentration in den vergangenen 200 Jahren viel stärker hoch getrieben als natürliche Prozesse das könnten.

Korallenriffe und Moore als Klimafaktoren

Warum die Warmzeiten so regelmäßig auftreten und wieder enden, ist bislang nicht vollständig geklärt. Dass die nächste Eiszeit die Erde noch nicht wieder einfriert, ist aber offenbar nicht die Schuld des Menschen - zumindest, was die Zeit vor der Industrialisierung betrifft. Darauf lassen wenigstens die Ergebnisse von Simulationen schließen, die Klimaforscher des Max-Planck-Instituts für Meteorologie in Hamburg vorgenommen haben. Sie haben erstmals berechnet, wie sich Korallenriffe und Moore vor der Industrialisierung auf den Kohlendioxid-Haushalt der Erde auswirken. Beide wachsen während einer Warmzeit. Die Korallenriffe binden dabei große Mengen Kalzium aus dem Meer, wodurch sich die Aufnahme-Kapazität der Ozeane für Kohlendioxid verringert. Moore dagegen binden Kohlendioxid, wenn sie sich ausbreiten.

Nach den Berechnungen der Max-Planck-Forscher überwiegt der Effekt der Korallenriffe. "In der Summe ergibt unser Modell, dass der Kohlendioxid-Gehalt der Atmosphäre in den letzten knapp 8000 Jahren vor der Industrialisierung um 20 ppm, also um sieben Prozent, anstieg", sagt Victor Brovkin, der am Max-Planck-Institut für Meteorologie forscht und die aktuelle Untersuchung leitete. Eine Zunahme um 20 ppm in den knapp 8000 Jahren vor der Industrialisierung entspricht genau der Menge, die in Eisbohrkernen aus der Antarktis gemessen wurde.

Bislang hat der Mensch die nächste Eiszeit noch nicht verhindert

"Nach Meinung mancher Klimaforscher soll dafür auch der Mensch verantwortlich sein", sagt Victor Brovkin: "Es wird sogar diskutiert, ob diese Zunahme bereits verhindert hat, dass die nächste Eiszeit einsetzt." Er und seine Kollegen liefern nun einen Beleg gegen die These, der Mensch bringe den Kohlendioxid-Haushalt der Atmosphäre bereits seit 8000 Jahren durcheinander. Damit wird es auch unwahrscheinlich, dass der Mensch die nächste Eiszeit bereits verhindert hat. Nicht ausschließen lässt sich allerdings, dass der Kohlendioxid-Ausstoß seit Beginn der Industrialisierung genau diese Wirkung zeigt.

Denn trotz ihrer Erkenntnis zweifeln die Hamburger Paläoklimatologen keinen Deut daran, dass die Treibhausgase, die der Mensch seit Beginn der Industrialisierung vor rund 200 Jahren freisetzt, den derzeit beobachteten Klimawandel auslösten und fördern. Menschliche Emissionen ließen die Kohlendioxid-Konzentration nämlich um mehr als 100 ppm, also um etwa 40 Prozent steigen.

Derzeit arbeiten die Forscher noch an einem Schwachpunkt ihres Modells. Sie haben auch simuliert, wie sich der Anteil des schweren Kohlenstoff-Isotops 13C an der gesamten Kohlenstoffmenge entwickelt. Dieser verändert sich durch biologische Aktivität, da Lebewesen den leichteren Kohlenstoff besser verarbeiten können. In den Simulationen der Hamburger Paläoklimatologen nahm das schwere Kohlenstoff-Isotop zu - so als würden Pflanzen mehr Kohlenstoff, und dabei vor allem das leichte Isotop binden. Tatsächlich verringerte sich der Anteil des schweren Kohlenstoffs jedoch. "Das liegt wahrscheinlich daran, dass der Mensch in den vergangenen Jahrtausenden große Flächen Wald gerodet hat", so Brovkin: "Das haben wir in unserem Modell noch nicht berücksichtigt, weil die Menge des dadurch freigesetzten Kohlendioxids vor der Industrialisierung eher gering ist." Um die Anteile von leichtem und schwerem Kohlendioxid in der Atmosphäre zu beeinflussen reicht es aber offenbar.

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Hintergrund - Die Vergangenheit von Klima und Kohlendioxid-Haushalt

Victor Brovkin studiert den Kohlendioxidhaushalt der Atmosphäre, in dem es immer wieder große Schwankungen gab. So stieg der Kohlendioxidgehalt zu Beginn jeder Warmzeit dramatisch an. Die Klimaforscher um Victor Brovkin möchten verstehen, wie das Klima auf veränderte Kohlendioxidwerte in der Luft reagiert. Der Blick auf die starken Schwankungen in der Vergangenheit hilft ihnen dabei. "Das Wechselspiel zwischen Klima und Kohlendioxid in der Vergangenheit lässt sich mit der heutigen Entwicklung zwar nur bedingt vergleichen", sagt Brovkin, "aber wir gewinnen daraus generelle Erkenntnisse über Klimaprozesse und Rückkopplungsmechanismen, die auch im gegenwärtigen Klimawandel eine Rolle spielen könnten."

Ein Grund, warum Klimaänderungen früher anders abliefen als heute, liegt darin, dass sich Ursache und Wirkung verdreht haben: In der Vergangenheit schmolzen erst die Gletscher, die große Flächen der Erde einpackten, und als eine Folge davon stieg das Kohlendioxid in der Atmosphäre schnell und stark an.

Kosmische Klimafaktoren

Warum die Gletscher regelmäßig im Abstand von rund 100 000 Jahren abtauen, ist eine der Fragen, die Paläoklimatologen beschäftigt. Allerdings überrascht sie nicht die Regelmäßigkeit sondern die lange Zeit, in der Eis Besitz von der Erde ergreift. Um das zu verstehen, ist ein Exkurs zu den Prozessen nötig, die im Klima das ganz große Rad drehen - Prozesse von buchstäblich kosmischen Dimensionen, deren jeweilige Bedeutung die Klimaforscher aber auch noch nicht gänzlich einschätzen können: Besonders wichtig scheint zu sein, wie stark sich die Achse, um die sich die Erde dreht, zu ihrer Bahn um die Sonne neigt. Steht sie mehr oder weniger senkrecht verwischt der Unterschied zwischen den Jahreszeiten. "Dann sind die Sommer in hohen nördlichen Breiten manchmal zu kalt, als dass sie den Schnee des Winters abtauen könnten", erklärt Victor Brovkin.

Einen wichtigen Einfluss übt möglicherweise auch die Präzession aus. Darunter verstehen Astronomen, dass die Erde auf ihrer Umlaufbahn trudelt, weil ihre Achse die Oberfläche eines Kegels abfährt, und zwar etwa alle 21 000 Jahre. Die Klimaschaukel wird zudem von der Exzentrizität der Umlaufbahn angetrieben, der die Erde um die Sonne folgt. Das Zusammenspiel der Planten bewirkt nämlich, dass die Bahn mal eher einem Kreis mit der Sonne in der Mitte ähnelt und mal einer Ellipse, in der die Sonne an der Position einer Halbachse sitzt.

Insgesamt führen die astronomischen Verhältnisse dazu, dass die Temperatur in verschiedenen Regionen der Erde regelmäßig schwankt. Dabei steigt sie allerdings häufiger als nur alle 100 000 Jahre so stark an wie zu Beginn einer Warmzeit. Die astronomischen Bedingungen können also nicht alleine ausschlaggebend sein, dass sich die Gletscher zurückziehen. "Eine wichtige Rolle spielt dabei offensichtlich die Dynamik des Eises", sagt Brovkin: Alle 100 000 Jahre sind die nördlichen Eismassen so stark angeschwollen, dass sie instabil werden, wenn sie im Sommer durch mehr Sonnenlicht aufgeheizt werden. In der Folge lösen sie sich an den Rändern auf und tauen schneller ab.

Erwärmung verstärkt sich von selbst

Wenn es erst einmal so weit gekommen ist, verstärkt sich die Erwärmung von selbst - eine Warmzeit bricht an. Dabei spielt der dramatische Anstieg der Kohlendioxidkonzentration in der Luft eine entscheidende Rolle. "Auch für die Zunahme des Kohlendioxids sind die Gründe noch nicht endgültig geklärt", sagt Victor Brovkin: "Wir vermuten, dass es dafür verschiedene Ursachen gibt." Generell entweicht Kohlendioxid aus Vulkanen auf den Kontinenten und am Meeresboden. Während einer Eiszeit sind auch die Ozeane kalt und speichern eine große Menge des Treibhausgases - unter anderem weil sich das Wasser langsamer bewegt und daher der Austausch mit der Luft gehemmt ist. Außerdem wird das Meer in Eiszeiten alkalischer, und kann daher ebenfalls mehr Kohlendioxid aufnehmen. Schließlich binden Meeresalgen während der Eiszeiten mehr Kohlendioxid. Denn Eiszeiten sind sehr trocken, so dass größere Mengen eisenhaltigen Staubes vom Land auf die Ozeane getrieben werden. Dort wirkt das Eisen als Dünger für das Algenwachstum - allerdings in viel zu geringem Maß, als dass Eisendünger für die Meere als Handhabe gegen den momentanen Klimawandel taugen könnte. Mit einer beginnenden Warmzeit sinkt die Aufnahmekapazität der Ozeane für Kohlendioxid folglich, und sie setzen das Gas frei, das die Erwärmung verstärkt.

Diese positive Rückkopplung zwischen Erwärmung und Kohlendioxidgehalt der Luft spielt sich in sehr kurzen Zeiträumen ab - ein Umstand, der auch den gegenwärtigen Klimawandel so gefährlich macht. Auf längere Sicht greifen dann aber geologische Mechanismen, die Kohlendioxid aus der Luft entfernen und die Erdatmosphäre kühlen. Auf einer wärmeren Erde verwittert nämlich das Gestein an ihrer Oberfläche schneller. Gestein besteht hauptsächlich aus Silikaten und enthält auch große Mengen Kalzium. Wenn es zerfällt, bilden sich Silizium- und Kalziumkarbonat - dabei entzieht es der Luft Kohlendioxid.

Genauere Messungen für ein besseres Verständnis

Die verschiedenen Prozesse und die Rückkopplungen zwischen ihnen fassen die Forscher des Max-Planck-Institutes für Meteorologie in Modelle, die ihnen helfen das Zusammenspiel von Klima und Kohlendioxid besser zu verstehen. Denn viele Fragen bleiben offen, nicht nur im Zusammenspiel zwischen Kohlendioxid-Haushalt und Klima. Die Klimaforscher können etwa noch nicht genau erklären, warum die Warmzeiten alle 100 000 Jahre auftreten, welche Rolle die astronomischen Verhältnisse dabei spielen, und warum die Perioden zwischen den Eiszeiten unterschiedlich verlaufen. "Um mehr über diese Phänomene zu lernen, brauchen wir genauere Daten aus Bohrungen in Meeressedimenten und bessere Modelle", sagt Brovkin. Gemeinsam mit Kollegen seiner Disziplin plädierte er daher kürzlich in einem Fachartikel Nature Geoscience dafür, die Forschung auf diesem Gebiet zu verstärken.

Gerade an die Proben vom Meeresboden zu kommen, ist jedoch nicht einfach. Die Forscher müssen dafür Stellen ausfindig machen, an denen sich viel Material abgelagert hat - denn je mehr Material eine Probe enthält, desto detaillierter die Informationen über das Klima der Vergangenheit. Doch die Suche lohnt sich, bringen Erkenntnisse zu vergangenen Klimaumschwüngen doch das Verständnis von Klimaprozessen generell voran. Das würde auch helfen, den menschengemachten Klimawandel besser einzuschätzen und sinnvolle Maßnahmen dagegen zu ergreifen.

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