Neuronale Netzwerke entscheiden, was wir wahrnehmen

Über den Inhalt unserer bewussten Wahrnehmung wird nicht in einer einzigen Gehirnregion entschieden

14. Juni 2012

Unser Gehirn ist weit mehr Sinneseindrücken und Reizen ausgesetzt als uns bewusst ist. Vielfach gelangt visuelle Information in unser Gehirn und wird dort verarbeitet, ohne dass wir sie bewusst wahrnehmen. Wie und wo genau entschieden wird, welche Information unser Bewusstsein erreicht und welche nicht, ist bisher ungeklärt. Theofanis Panagiotaropoulos und seine Kollegen, Forscher am Max-Planck-Institut für Kybernetik in Tübingen und an der Universität Pompeu Fabra in Barcelona, haben nun herausgefunden, dass über den Inhalt unseres Bewusstseins nicht in einer einzigen Gehirnregion entschieden wird, sondern dass dafür ein Zusammenspiel zwischen Neuronen aus verschiedenen Gehirnregionen notwendig ist.

Warum nur ein gewisser Teil der vorhandenen sensorischen Information unser Bewusstsein erreicht, ist eine der wichtigsten Fragen der heutigen Neurobiologie. Frühere Experimente am Gehirn von Primaten zeigten, dass die Neuronen in der primären und sekundären Sehrinde („visueller Cortex“) nicht die tatsächliche Wahrnehmung wiederspiegeln. Im Schläfenlappen dagegen ist dies der Fall. Diese Forschungen beweisen, dass nicht alle Gehirnregionen eine Rolle bei der bewussten visuellen Wahrnehmung spielen. Fraglich ist jedoch, ob lediglich die Neuronen im Schläfenlappen beteiligt sind, oder, ob noch andere Regionen eine Rolle spielen.

Die Max-Planck-Wissenschaftler in Tübingen haben unter der Leitung von Nikos Logothetis mit Hilfe von elektrophysiologischen Methoden die neuronale Aktivität im Gehirn von Makaken während einer visuellen Stimulation gemessen. Die Forscher zeigten, dass die im lateralen präfrontalen Teil des Frontallappens gemessene elektrische Aktivität mit der tatsächlichen Wahrnehmung der Affen korreliert. Auch diese Gehirnregion scheint also eine Rolle dabei zu spielen, welche Eindrücke unser Bewusstsein erreichen. Die Resultate unterstützen die „Frontallappen Hypothese“ zur bewussten visuellen Wahrnehmung, die 1995 von den Wissenschaftlern Crick und Koch aufgestellt wurde, nach der visuelle Wahrnehmung direkt mit neuronaler Aktivität in Verbindung steht, die Zugang zu den Planungs-und Entscheidungseinheiten des Gehirns hat.

Dies ist beim lateralen Teil des präfrontalen Frontallappens der Fall. Nimmt man die zuvor gewonnen Erkenntnisse hinzu, so spiegelt sich der Inhalt des Bewusstseins also zumindest in zwei verschiedenen Gehirnregionen wieder. Die Entscheidung welche Sinneseindrücke unser Bewusstsein erreichen wird also nicht in einer einzigen Gehirnregion getroffen. Vielmehr scheint ein Zusammenspiel von Neuronen in verschiedenen Gehirnregionen zuständig zu sein. „Unsere Erkenntnisse erweitern die Hypothese eher, als sie zu bestätigen und werfen neue Fragen über die Mechanismen des visuellen Bewusstseins auf“, sagt Panagiotaropoulos.

In Zukunft wollen er und seine Kollegen die neuronale Aktivität in den beiden Gehirnregionen simultan aufnehmen und so herausfinden, welche Region nach einem Reiz zuerst aktiviert wird und inwiefern die beiden Bereiche zusammenarbeiten. Das könnte langfristig zu einem besseren Verständnis der Mechanismen führen, die für die bewusste Wahrnehmung von Sinneseindrücken entscheidend sind.

TP/RWI/HR

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