Arbeitsmarkt für Juraprofessuren folgt Schweinezyklus

Max-Planck-Forscher sagen voraus, wie sich die Anwärterzahl für Jungprofessoren entwickeln wird

8. Juni 2012

Die Märkte für Juraprofessoren und Schweinefleisch unterliegen dem gleichen Mechanismus. Wie Christoph Engel und Hanjo Hamann vom Max-Planck-Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern in Bonn zeigen konnten, fallen deutsche Rechtswissenschaftler bei ihrer eigenen Karriereplanung Schwankungen zum Opfer, die eher aus der Landwirtschaft bekannt sind. "Wir konnten belegen, dass der Arbeitsmarkt für Juraprofessoren einem Schweinezyklus folgt", fasst der Jurist Hamann das Ergebnis der Studie zusammen, die einem Verdacht nachging, der in Juristenkreisen schon lange geäußert wurde.

Sogenannte "Schweinezyklen" entstehen durch kurzsichtige Investitionsstrategien in Märkten. Der Name geht zurück auf eine Entdeckung des deutschen Agrarökonomen Arthur Hanau. Dieser hatte 1928 festgestellt, dass sich der zukünftige Preis für Schweinefleisch anhand des aktuellen Preises vorhersagen ließ. "War Schweinefleisch nämlich in einem Jahr teuer, entschlossen sich zahlreiche Bauern zur Schweinezucht. Zwei Jahre später, wenn die neu gezüchteten Tiere schlachtreif wurden, kam es zu einem Überangebot an Schweinefleisch, das den Marktpreis abstürzen ließ. Viele Bauern, die diesen Preisverfall beobachteten, bemühten sich nicht mehr um neue Ferkel, so dass abermals zwei Jahre später das Angebot zu gering ausfiel und der Marktpreis wieder in die Höhe schnellte", beschreibt Hamann den Hintergrund dieser Konjunkturschwankung, die auch bei Immobilien, Erdöl und Kartoffeln beobachtet wurde.

Wie Engel und Hamann jetzt in ihrer Studie belegen konnten, erfüllt auch der Arbeitsmarkt für Juraprofessoren die drei Voraussetzungen, unter denen ein Schweinezyklus auftritt: Das Angebot kann nicht kurzfristig auf die Nachfrage reagieren, die Ware ist leicht verderblich und ein höheres Angebot führt nicht zwangsläufig zu höherer Nachfrage. Denn erstens dauert die Ausbildung eines Privatdozenten sechs oder mehr Jahre, also kann das Angebot nicht ohne Verzögerung auf eine höhere Nachfrage reagieren; zweitens müssen Privatdozenten nach Abschluss ihrer Ausbildung möglichst schnell einen Lehrstuhl bekommen, da die meisten sonst keine Verdienstmöglichkeit haben und Universitäten ihnen umso skeptischer begegnen, je länger sie ohne Berufung bleiben. Drittens reagiert die universitäre Nachfrage nicht flexibel auf Änderungen des Angebots, denn deutsche Universitäten sind dank ihrer staatlichen Finanzierung nicht in der Lage, kurzfristig neue Kapazitäten zu schaffen. "Deshalb erschien es uns plausibel, auch bei juristischen Privatdozenten einen Schweinezyklus zu erwarten", so Hamann.

Gemeinsam überprüften die beiden Bonner Forscher diese Hypothese mittels Daten über juristische Habilitationen von 1960 bis 2009. "Da traditionell jeder Juraprofessor eine Habilitationsschrift verfassen und veröffentlichen muss - das waren im Beobachtungszeitraum insgesamt fast 2.000 Bücher -, lässt sich aus der Zahl der in einem bestimmten Jahr veröffentlichten Habilitationen genau ablesen, wie viele potenzielle Juraprofessoren in diesem Jahr auf dem Markt sind", sagt Hamann. "Falls die Zahl neuer Juraprofessoren einem Schweinezyklus folgt, sollte eine geringe Zahl von Habilitationen heute mit einer hohen Zahl von Habilitationen nach der für eine Habilitation erforderlichen Zeit von üblicherweise sechs bis neun Jahren einhergehen, und umgekehrt", fügt Max-Planck-Direktor Engel hinzu.

Durch statistische Berechnungen stellten die beiden fest, dass auf drei Habilitationen, die heute mehr veröffentlicht werden, in acht Jahren eine Habilitation weniger veröffentlicht wird - und umgekehrt. "Unsere Studie überprüft dabei eine Vielzahl von Kontrollvariablen und berücksichtigt letztlich den allgemeinen Zeittrend sowie Schwankungen in den Studentenzahlen", so Hamann. Damit können die Forscher 77 Prozent der bisherigen Schwankungen in der jährlichen Habilitationsanzahl erklären und eine Vorhersage für die nächsten zehn Jahre treffen. "Wurden in den Krisenjahren 2008 und 2009 jeweils weniger als 40 Jura-Habilitationen veröffentlicht, sollte diese Zahl bis 2018 auf 85 steigen - so viele wie seit 2000 nicht mehr - und danach wieder abfallen", lautet ihre Prognose.

Die Zeiten erscheinen der Studie zufolge alles andere als rosig für Jungjuristen, die heute den Beginn einer Professorenlaufbahn planen. "Denn falls sie und ihre Kommilitonen weiterhin so kurzfristig denken wie viele Schweine- oder Kartoffelbauern, werden in einigen Jahren womöglich mehr Jungprofessoren an die Universitäten streben als Lehrstühle verfügbar sind", sagt Hamann.

Ob dieses Szenario jedoch eintritt, hängt natürlich auch davon ab, für wie weitsichtig jeder seine Konkurrenz hält. "Wer seine Kommilitonen nämlich für so intelligent hält, sich angesichts dieser Prognose nach anderen Karrieremöglichkeiten umzusehen, tut vielleicht gerade gut daran, ausgerechnet jetzt die Professorenlaufbahn einzuschlagen", erklärt er eine Strategie, doch noch einen der begehrten Lehrstühle zu ergattern. Diese erfordert aber Mut zum Zocken, fügt er hinzu. "Kann er tatsächlich darauf vertrauen, dass nicht alle anderen genauso denken?" Letztlich müsse jeder sich für schlauer halten als seine Konkurrenten - oder die Habilitation einfach mit Hingabe, Selbstvertrauen und harter Arbeit in Angriff nehmen. "Denn einem kann die Zahl seiner Konkurrenten schlicht egal sein: demjenigen, der in acht Jahren der Beste ist."

BF/HR

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