Eine schlechte Darbietung ist besser als keine

Kanarienvögel, die in ihrer Jugend schlechte Vorsänger hören, singen später trotzdem gut

27. Mai 2009

Viele Singvögel lernen ihren Gesang in den ersten Lebensmonaten von einem Vorbild. Wenn in dieser kritischen Zeit ein geeignetes Modell fehlt, entwickeln die Vögel Gesang, der oft von der arttypischen Struktur abweicht. Kanarienvögel lernen jedoch selbst dann einen recht normalen Gesang, wenn sie in ihrer Jugend einem Tutor ausgesetzt waren, dessen Gesang deutlich von einem normalen Gesangsmuster abwich, wie Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Ornithologie nun herausgefunden haben. (Proceedings of the Royal Society of London, Series B, 27. Mai 2009)

Das Erlernen von Vogelgesang ähnelt dem Erlernen von menschlicher Sprache. Entscheidend für den Lernprozess sind dabei die akustische Wahrnehmung sowie die Fähigkeit zur Lauterzeugung. Soziale Isolation führt sowohl beim Menschen als auch beim Vogel zu einer gestörten Vokalisationsentwicklung. So entwickeln Kinder, wenn sie ohne menschlichen Kontakt aufwachsen, entweder überhaupt keine oder nur eine rudimentäre Form der menschlichen Sprache.

Ähnliches geschieht beim Singvogel, wenn man Jungvögel nach dem Schlüpfen von ihren Eltern entfernt und isoliert vom Gesang der Artgenossen aufzieht. Solche Vögel entwickeln zwar Gesang, aber in den meisten Fällen enthält er eine Reihe von Abnormalitäten. Ob die Nachkommen dieser isoliert aufgewachsenen Vögel wiederum den "abnormalen" Gesang ihrer Eltern als arteigenes Gesangsmodell akzeptieren, untersuchten Forscher um Sandra Belzner und Stefan Leitner vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Seewiesen an männlichen domestizierten Kanarienvögeln.

Die Forscher etablierten dazu eine Gruppe von "schlechten" Vorsängern, indem sie Jungvögel ohne erwachsene Kanarienmännchen, aber mit Kontakt zu Gleichaltrigen und Weibchen aufwachsen ließen. Als die schlechten Vorsänger später selbst Nachkommen zeugten, wurden die Männchen erst entfernt, als ihre Jungvögel bereits 60 bis 70 Tage alt waren und deren Gesangsentwicklung somit bereits begonnen hatte. Detaillierte Gesangsanalysen zeigten, dass diese Jungvögel nicht einfach den "abnormalen" Gesang kopierten, sondern eine Variante entwickelten, die in allen gemessenen Parametern eher dem Gesang "normaler" Kanarienvögel ähnelte. "Scheinbar besitzen die Vögel eine angeborene Schablone für den arteigenen Gesang, die allerdings durch das Hören von Gesang aktiviert werden muss", sagt Cornelia Voigt, Co-Autorin der Studie.

Als die Forscher die Nachkommen in ihrem zweiten Lebensjahr in Kontakt mit "normal" singenden Kanarienmännchen brachten, stellten sie fest, dass diese ihren Gesang trotzdem beibehielten - einzig die Wiederholungsrate der Silben erhöhte sich leicht, der Gesang wurde also etwas schneller. "Dieses Ergebnis ist besonders interessant, da es zeigt, dass die Jungvögel durch das Hören der Vorsänger ihre Gesangsentwicklung am Ende des ersten Lebensjahrs abgeschlossen haben und einen eigenen feststehenden Gesang besitzen. Dabei spielt die Gesangsqualität des Vorsängers offenbar nur eine untergeordnete Rolle", schlussfolgert Stefan Leitner. "Vögel, die in ihrer Jugend keine Artgenossen hören, zögern den Abschluss ihrer Gesangentwicklung über das erste Lebensjahr hinweg hinaus und nehmen dann noch Korrekturen vor, wenn sie ein geeignetes Modell hören."

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