Lokale Proteinbildung in den Fortsätzen von Nervenzellen

Max-Planck-Forscher identifizieren rund 2500 neue mRNAs an den Dendriten und Axonen von Neuronen

10. Mai 2012
Boten-RNAs dienen bei der Übersetzung des genetischen Codes  als Vorlage für die Produktion von Proteinen.  Diese auch als mRNAs bezeichneten Moleküle wurden nach bisheriger Ansicht vor allem zentral im Zellkörper in Proteine übersetzt und die Proteine selbst dann an die jeweiligen Zielorte transportiert. Forscher des Max-Planck-Instituts für Hirnforschung in Frankfurt haben nun jedoch über 2500 dieser sogenannten mRNAs in den Axonen und Dendriten von Nervenzellen entdeckt, die dort für die lokale Proteinbildung zuständig sind. Offensichtlich regulieren Neurone  die Proteinsynthese stärker vor Ort als bisher angenommen. Insbesondere wenn die synaptische Übertragung zwischen Nervenzellen verstärkt oder abgeschwächt wird, spielt die lokale Bildung von Proteinen eine wichtige Rolle. Außerdem haben die Forscher mRNAs identifiziert, die an Erkrankungen wie Alzheimer und Autismus beteiligt sind.

Nervenzellen benötigen kontinuierlich neue Proteine. Von der Mehrheit dieser Proteine nahm man bisher an, dass sie im Zellkern produziert und erst dann an die benötigten Stellen transportiert werden. Mithilfe von Zellkulturen und Gewebeschnitten aus dem Hippocampus von Ratten haben Hirnforscher des Max-Planck-Institutes in Frankfurt die für die Erregungsleitung zuständigen Axone und Dendriten auf mRNAs hin untersucht. Sie haben dazu besonders empfindliche Sequenzierungsmethoden zur Entschlüsselung der mRNA-Sequenz benutzt, die selbst kleinste Mengen der Moleküle aufspüren können. Damit haben sie rund 2550 bisher unbekannte mRNAs identifiziert. Viele davon beeinflussen die Reizweiterleitung an den Synapsen, die sogenannte synaptische Plastizität, bei der die synaptischen Signale verstärkt oder abgeschwächt werden. So besitzt die mRNA für das Enzym Kalzium-Calmodulinkinase 2a – ein zentrales Protein der synaptischen Plastizität – die höchste Konzentration aller mRNAs in den Dendriten. 

Die Forscher konnten zudem die Funktionen der meisten mRNAs aufklären: Die meisten mRNAs sind für die Produktion von Proteinen zuständig, die als Signalmoleküle, im Zellgerüst oder als Rezeptor für Neurotransmitter eingesetzt werden. „Diese Ergebnisse zeigen, wie wichtig die lokalen Proteinbildungswerkstätten der Dendriten und Axone für die Nervenzellen sind“, sagt Erin Schuman vom Frankfurter Max-Planck-Institut. „Ähnlich wie in modernen Gesellschaften produzieren Nervenzellen also ihre benötigten Produkte am effizientesten lokal.“

Den Frankfurter Forschern zufolge sind einige der neuentdeckten lokal gebildeten Proteine an einer Reihe von Krankheiten beteiligt. So spielen die mRNAs für die Proteine Nlgn1,3 und Shank3 bei verschiedenen autistischen Störungen und die mRNA für das Protein Snca bei Alzheimer eine Rolle. „Möglicherweise können diese Krankheiten entstehen, wenn die zugehörigen mRNAs dieser Proteine nicht an die richtigen Orte gelangt oder sie dort nicht korrekt in Proteine übersetzt werden“, erklärt Schuman.

AV/AB/HR

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