An den Grenzen einer neuen Metall-Physik

In manchen Schwere-Fermionen-Verbindungen lassen sich Elektronen am quantenkritischen Punkt nicht mehr als Fermi-Flüssigkeit beschreiben

27. April 2012

Schon manche Theorie hat im praktischen Experiment ihre Schwächen offenbart – auch in der Physik. Ein Team aus Forschern der Max-Planck-Institute für Chemische Physik fester Stoffe und für Physik komplexer Systeme in Dresden, der Rice University in Houston, Texas, und der University of California Los Angeles hat nun in ausgesprochen präzisen Messungen von elektrischem Widerstand und Wärmewiderstand festgestellt, dass die Landau’sche -Theorie der Fermi-Flüssigkeit, die seit den 1950er-Jahren als Standardtheorie der Metalle gilt, erweitert werden muss. In Schwere-Fermionen-Verbindungen, also metallischen Leitern, deren Elektronen die bis zu tausendfache Masse herkömmlicher Elektronen zu haben scheinen, kann die überaus erfolgreiche Theorie das Verhalten des Wärmewiderstands und des elektrischen Widerstands nahe am absoluten Nullpunkt der Temperatur bei minus 273 Grad Celsius nicht immer erklären. Nämlich dort nicht, wo die Verbindung einen Quantenphasenübergang durchläuft, das heißt,  wo sich ihr Zustand aufgrund der Heisenberg‘schen Unschärfe-Relation ändert. Die Beobachtungen könnten auch dazu beitragen die Hochtemperatur-Supraleitung, deren Verständnis die Energiewirtschaft revolutionieren könnte, zu erklären und praxistauglicher zu machen.

Am quantenkritischen Punkt gilt die Landau-Fermi-Theorie nicht mehr

Als aber nun das Team um Frank Steglich bei niedrigerem Magnetfeld, dort wo die Kondo-Phase in die antiferromagnetische Phase übergeht, also in der Nähe des quantenkritischen Punktes, maß, gab es eine Überraschung. Die Forscher extrapolierten den durch die Messwerte gegebenen Temperaturverlauf der beiden Messgrößen bis zum absoluten Temperaturnullpunkt. Dort müssten laut Wiedemann-Franz-Gesetz elektrischer Widerstand und Wärmewiderstand gleich groß werden. Doch der Wärmewiderstand überwog den elektrischen Widerstand um zehn Prozent. „Das Wiedemann-Franz-Gesetz verliert in diesem Material am quantenkritischen Punkt seine Gültigkeit“, folgert Heike Pfau vom Max-Planck-Institut für chemische Physik fester Stoffe, die an der Studie beteiligt war.

Aus dieser Beobachtung ziehen die Forscher nun mehrere Schlussfolgerungen. Die erste betrifft den Bereich, in dem sich die antiferromagnetische Ordnung bereits voll ausgebildet hat. Dort erklären sie die höhere Wärmeleitfähigkeit damit, dass magnetische Anregungen, die die Ordnung lokal ein wenig durcheinanderbringen, Wärme transportieren. Das wiederum bedeutet, dass im antiferromagnetisch geordneten YbRh2Si2, in dem magnetische Anregungen Wärme transportieren, die Quasipartikel nicht mehr existieren. „Damit bestätigen wir Hinweise aus unseren früheren Untersuchungen, dass die Quasipartikel in unserem Schwere-Fermionen-System am quantenkritischen Punkt auseinanderfallen“, sagt Heike Pfau. Da es auch quantenkritische Übergänge gibt, bei denen die Quasipartikel erhalten bleiben, bezeichnen die Physiker ihren quantenkritischen Punkt als unkonventionell.

Ein Hinweis darauf, wie Quasiteilchen auseinander brechen

Für den quantenkritischen Punkt selbst brauchen die Forscher allerdings eine andere Erklärung für die erhöhte Wärmeleitfähigkeit als die magnetischen Anregungen – schließlich gibt es dort noch keine antiferromagnetische Ordnung. Hier erklären sie die Abweichungen vom Wiedemann-Franz-Gesetz mit magnetischen Quantenfluktuationen. Demnach schwingen die magnetischen Momente der Elektronen in den 4f-Orbitalen des Ytterbiums nahe des quantenkritischen Punktes besonders stark. „Das ermöglicht uns erstmals einen Einblick, wie die Quasipartikel aufbrechen, nämlich durch die quantenkritischen Fluktuationen“, sagt Heike Pfau.

Daraus wiederum ergibt sich eine noch weiter reichende Schlussfolgerung. „Während sich die Quasipartikel auflösen, wenn sich die Leitungselektronen und die 4f-Elektronen gerade voneinander trennen, kann die Theorie der Landau‘ schen Fermi-Flüssigkeit nicht mehr gelten“, sagt Heike Pfau. Denn diese Theorie beschreibt das Verhalten der Elektronen nur korrekt, wenn sich die Leitungselektronen oder die Quasipartikel wie eine Flüssigkeit frei bewegen können. Wenn es die einen noch nicht und die anderen nicht mehr gibt, ist sie offenbar nicht mehr anwendbar.

„Wir gehen davon aus, dass unsere Beobachtungen einen Beitrag liefern,  um eine neue Theorie zu entwickeln, mit der wir die unkonventionelle Quantenkritikalität erklären könnten“, sagt Frank Steglich. Das wiederum könnte auch helfen, anwendungsrelevante Rätsel wie die Hochtemperatur-Supraleitung zu lösen. Denn diese ist möglicherweise ebenfalls eine Auswirkung eines quantenkritischen Punktes, die sich bereits weit oberhalb des absoluten Nullpunkts der Temperatur bemerkbar macht.

CM/PH

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