Neues von den Elementarteilchenjägern

15. Juni 2009

Am CERN, dem europäischen Zentrum für Atom-, Kern- und Teilchenphysik in der Nähe von Genf, ist Ende vergangenen Jahres der Large Hadron Collider in Betrieb gegangen. Prof. Dr. Siegfried Bethke, Direktor am Max-Planck-Institut für Physik in München erklärt, was es mit der Panne beim Start des Large Hadron Collider auf sich hatte und was man sich - neben der Entdeckung des Higgs-Teilchens - von der "Weltmaschine" verspricht.

Professor Bethke, oft wird der Large Hadron Collider, kurz LHC genannt, auch als "Weltmaschine" bezeichnet. Das hört sich vollmundig an, aber was kann denn diese Maschine tatsächlich?

Bethke: Wörtlich übersetzt bedeutet der Name Large Hadron Collider "großer Hadronen-Zerschmetterer". Wie der Name andeutet, beschleunigt die Anlage Hadronen - in diesem Fall Protonen, also Wasserstoffkerne - auf nahezu Lichtgeschwindigkeit und lässt sie dann frontal aufeinanderprallen. Dabei entstehen kurzzeitig sehr große Energiedichten, die in etwa denen entsprechen, die im Universum eine billionstel Sekunde nach dem Urknall vorherrschten. Wir simulieren also im LHC die Verhältnisse unmittelbar nach dem Urknall und versuchen, die dabei entstehenden Teilchen zu messen. Wir hoffen, so die ursprünglichen Kräfte der Natur und die Beschaffenheit der grundlegenden Teilchen, die unsere Welt aufbauen, besser zu verstehen. Und das kann man am Besten - beziehungsweise zum Teil auch nur - an solchen großen Beschleunigern. Denn nur dort kann man kurzzeitig so große Energiedichten erzeugen.

Dabei sind Sie auch auf der Jagd nach dem Higgs-Boson - was ist das?

Bethke: Das Higgs-Boson ist das Elementarteilchen, das in unserem gegenwärtigen Standardmodell der Grundkräfte und Grundteilchen, welche die Materie aufbauen, noch fehlt. Bis heute ist es ein theoretisches Konstrukt, das beschreibt, wie die Elementarteilchen, die wir heute kennen - also die Quarks und die Leptonen - zu ihrer Masse kommen. Die Theorie, die wir jetzt haben, würde gerne alle diese Teilchen als masselos ansehen, aber unsere experimentellen Daten zeigen, dass sie verschiedene Massen haben. Und ein Mechanismus, der den Teilchen diese Masse geben könnte, ist Gegenstand der Theorie von Peter Higgs. Aus dieser Theorie folgt, dass es ein weiteres Elementarteilchen geben muss, eben das Higgs-Boson. Und dieses Teilchen möchten wir nachweisen. Offensichtlich hat es selbst eine sehr hohe Masse und daher brauchen wir sehr hohe Beschleunigungsenergien, um es zu erzeugen.

Ist die Suche nach dem Higgs-Boson die wichtigste Aufgabe auf Ihrem Forschungsgebiet oder gibt es noch andere Fragen, die Sie beschäftigen?

Bethke: Die Suche nach dem Higgs-Boson war lange Zeit die herausragende Frage auf unserem Forschungsgebiet und wird es wohl - besonders in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit - auch noch auf absehbare Zeit bleiben. Es ist aber nicht so, dass dies die einzige und wichtigste Aufgabe in unserem Forschungsgebiet ist. Da gibt es zum Beispiel die Supersymmetrie: eine sehr schöne Theorie, die eine Verbindung zwischen den Bausteinen der Materie und den zwischen ihnen wirkenden Kräften herstellt. Dieses Modell wurde von Julius Wess, einem meiner Kollegen, der ebenfalls Direktor am Max-Planck-Institut für Physik war, mitbegründet. Die Supersymmetrie bietet einige faszinierende Erklärungen, warum unsere Welt so ist wie sie ist, und macht auch einige spannende Vorhersagen für den Bereich der sehr hohen Energien, den wir noch nicht kennen. Hier hoffen wir sehr auf eine mögliche experimentelle Bestätigung dieses berühmten Modells durch die Versuche am LHC.

Warum ist für die Suche nach neuen Elementarteilchen eine so teure Anlage nötig?

Bethke: Eine Anlage wie der LHC ist technisch sehr herausfordernd, weil sie sehr groß sein muss, um die erforderlichen hohen Energiedichten zu erzeugen. Dies ist mit heutiger Technologie nur in solchen großen Anlagen möglich. Ob nun jedoch drei Milliarden Euro "sehr teuer" sind, das muss man vielleicht auch relativieren: Dieses Experiment, diese Maschine wird nur einmal auf der Welt gebaut. Wissenschaftler aus der ganzen Welt treffen sich in Genf, um an diesem Projekt zu forschen. Alle diese Länder und Forschungsorganisationen tragen auch zur Finanzierung des Large Hadron Collider bei. Und die Forscher werden, wenn der LHC dann einmal steht, die Anlage 10, 15 vielleicht sogar 20 Jahre in Betrieb halten und dort ihre Experimente machen. Vielleicht werden sie Fragen nachgehen, die wir heute noch gar nicht stellen können. Insofern ist das Ganze natürlich eine große Investition, aber auch eine sehr breit angelegte und sehr weitreichende Investition in die Grundlagenforschung.

Kurz nach dem Start ist der Teilchenbeschleuniger ja gleich wieder ausgefallen, was genau ist da passiert?

Bethke: Diese Panne hatte eine kleine Ursache, aber eine riesige Wirkung - leider. Passiert ist ein zunächst kleiner, technischer Unfall: Eine Kabelverbindung zwischen zwei supraleitenden Magneten war offensichtlich nicht ganz zuverlässig gelötet worden. Dadurch hat das Kabel, vereinfacht ausgedrückt, schlagartig seine Supraleitfähigkeit verloren und ist geschmolzen. Es gab einen elektrischen Überschlag, der das Vakuumgefäß mit dem Helium, das die Anlage kühlt, durchschlagen hat. Dadurch sind mehrere Tonnen flüssiges Helium in den Tunnel und in die Magnetkonstruktion ausgetreten und schlagartig expandiert. Eine solche Expansion gigantischer Gasmengen wirkt wie eine Explosion: Teile der Magnetkonstruktion und des Tunnels wurden enorm beschädigt.

Und wann kann der Betrieb wieder losgehen?

Bethke: Gott sei Dank ist bei dem Vorfall nichts irreparabel beschädigt worden. Im September 2009 sollte alles wieder zusammengebaut sein und der Betrieb wieder anlaufen. Wir hoffen, dass wir dann im November, Dezember mit den Teilchenkollisionen anfangen können - wenn nicht wieder irgendwas passiert.

Herzlichen Dank für das Interview!

Das Gespräch führte Birgit Fenzel

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