Energiesparen beginnt im Kopf

Elektrische Signale im Gehirn kosten weniger Energie als erwartet

10. September 2009

Die Leistungsfähigkeit des Gehirns hat seinen Preis: Sie benötigt sehr viel Energie. Wissenschaftler haben nun jedoch herausgefunden, dass elektrische Signale, die der Fortleitung von Information dienen, im Säugerhirn sehr effizient sind. Demnach verbrauchen Nervenzellen von Säugern für diese sogenannten Aktionspotenziale ca. 3-mal weniger Energie als bisher aufgrund von klassischen Arbeiten am Tintenfisch angenommen: Während dieser pro Aktionspotenzial 4-mal mehr Energie als theoretisch notwendig umsetzt, sind es bei Säugern lediglich 1,3-mal mehr. (Science, 11. September 2009)

Das menschliche Gehirn benötigt etwa 1,5-mal so viel Energie pro Zeit wie das Herz, rund die Hälfte davon für den normalen Stoffwechsel der Nervenzellen. Von der verbleibenden Hälfte wird ein Teil zur Bildung elektrischer Signale aufgewendet, mit denen die Nervenzellen miteinander kommunizieren. Das für die Gehirnfunktion besonders bedeutungsvolle Aktionspotenzial entsteht durch den Ein- und Ausstrom von elektrisch geladenen Atomen (Ionen). Dabei strömen positiv geladene Natrium-Ionen durch Proteine in der Zellmembran (Natriumkanäle) in die Nervenzelle und laden das ursprünglich elektrisch negative Zellinnere positiv auf (Abb.). Positiv geladene Kalium-Ionen fließen durch Kaliumkanäle aus dem Zellinnern nach außen und lassen die Nervenzelle wieder negativ werden.

Zeitlicher Verlauf der Ionenströme bestimmt Energieverbrauch

Um nach einem Aktionspotenzial die ursprüngliche Ionenverteilung wieder herzustellen, müssen Natrium-Ionen unter Energieaufwand aus der Zelle hinaus und Kalium-Ionen hinein gepumpt werden. Ihr Energiebedarf hängt daher eng damit zusammen, wann wie viele Ionen ein- und ausströmen. Forscher vom Max-Planck-Institut für Hirnforschung in Frankfurt und der Universität London haben deshalb diese Ionenströme in Nervenfasern (Axonen) in der Hippocampus-Region des Rattengehirns untersucht. Diese Axone sind wie die meisten anderen in der Hirnrinde von Säugern nicht von Hilfszellen umwickelt (unmyelinisiert) und stehen im Verdacht, wegen der ungünstigen Abfolge der Ionenströme während des Aktionspotenzials sehr viel Energie zu benötigen.

Die Wissenschaftler haben nun allerdings festgestellt, dass die Ionenströme energiesparend zusammenspielen: Der Natrium-Einstrom und der ihm entgegenwirkende Kalium-Ausstrom überlappen zeitlich nur wenig. Verantwortlich dafür ist das genau abgestimmte Öffnen und Schließen der Natrium- und Kaliumkanäle. Deshalb fließt Computersimulationen zufolge nur 1,3-mal mehr Natrium in die Zelle als theoretisch notwendig. "Die Zelle müsste deutlich mehr Energie für das Zurückpumpen aufwenden, wenn viele Natrium- und Kalium-Ionen gleichzeitig fließen würden, ohne einen elektrischen Netto-Effekt zu haben. Entscheidend für einen niedrigen Energieverbrauch ist deshalb, dass der Natrium-Einstrom möglichst wieder gedrosselt wird, bevor die ausströmenden Kalium-Ionen die positivierende Wirkung der Natrium-Ionen aufheben", erklärt Henrik Alle vom Max-Planck-Institut für Hirnforschung. Abschätzungen der Forscher zufolge erfordert die Signalübertragung an den Kontakten zwischen Nervenzellen, den Synapsen, ca. 6-mal so viel Energie wie die Signalfortleitung mittels Aktionspotenzialen zu den Kontaktstellen hin.

Effizienter Umgang mit Energie begrenzt hohen Energiebedarf

"Unsere Ergebnisse zeigen, dass zumindest diese unmyelinisierten Nervenzellfortsätze von Säugetieren sehr viel effizienter Aktionspotenziale bilden als bisher angenommen. Wir schätzen es aber als sehr wahrscheinlich ein, daß unmyelinisierte Axone in der Hirnrinde generell energieeffiziente Aktionspotenziale bilden. Möglicherweise hat dies dazu beigetragen, dass sich komplexe Gehirne wie die der Säuger entwickeln konnten", vermutet Henrik Alle. Denn das menschliche Gehirn ist im Vergleich zu vielen anderen Organen ein Energiefresser: Obwohl es beim Erwachsenen nur etwa 2% des Körpergewichts ausmacht, ist es für fast 20% des Energieverbrauchs des Körpers verantwortlich. Ohne die jetzt entdeckte Effizienz wäre der Verbrauch noch höher.

Die von der Hertie-Stiftung geförderte Studie verändert nicht nur die Sicht der Wissenschaftler auf Zusammenhänge von Energie und Informationsverarbeitung im Gehirn und auf Modelle von Ionenkanälen, sie hat auch praktische Bedeutung: Mit ihrer Hilfe lassen sich Signale bildgebender Verfahren, die auf aktivitätsabhängigen Änderungen des lokalen Energieverbrauchs im Gehirn basieren wie die funktionelle Kernspintomografie künftig genauer interpretieren.

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