Flüssigkeit mit Ecken

Ein neues Modell erklärt, warum ein auf einer Oberfläche auseinanderströmendes Fluid einen vieleckigen hydraulischen Sprung bilden kann

5. April 2012

Physikalische Phänomene kann man auch in der Küchenspüle beobachten: Trifft ein Wasserstrahl auf dem Spülenboden auf, so fließt das Wasser um den Punkt herum, an dem es auftrifft, zunächst schnell ab. In einem bestimmten Abstand steigt der Wasserpegel jedoch sprunghaft an, weil sich die Fließgeschwindigkeit verringert. Dieser so genannte hydraulische Sprung kann, wenn der Spülenboden waagerecht und eben ist, sogar die Form eines exakten Kreises annehmen. Dass sich aus dieser Kreisform unter bestimmten Bedingungen allerdings auch Vielecke ausbilden, etwa Dreiecke, Fünfecke oder Achtecke, haben Forscher im Labor erst vor einigen Jahren entdeckt. Nun haben Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Dynamik und Selbstorganisation gemeinsam mit Kollegen aus Dänemark und Japan erstmals ein theoretisches Modell entwickelt, das die grundlegenden Mechanismen dieses erstaunlichen Strömungsphänomens beschreibt.

Oberflächenspannung führt zu Vieleck

Wird der Fluidpegel nun über ein bestimmtes Maß erhöht, bildet sich über diesem Wirbel eine Gegenströmung aus, die einer Brandungswelle ähnlich ist. Die Flüssigkeit schwappt nach innen. Es entsteht eine zweiter ringförmiger Wirbel in Gegenrichtung zum ersten, darunter liegenden Wirbel. Hieraus kann sich nun ein Vieleck herausbilden.

In früheren Erklärungsansätzen versuchten Forscher die Bildung den hydraulischen Sprung nach der Bildung des zweiten Wirbels als Ergebnis des Wechselspiels zwischen der inneren Reibung, also der Viskosität, und der Schwerkraft des Wassers nach innen, also des hydraulischen Drucks, zu erklären. Warum sich dabei Polygone entwickeln, konnte damit jedoch nicht beantwortet werden. Einen weiteren Baustein lieferte der Effekt der Oberflächenspannung, also die Berücksichtigung der Bindungskräfte der Flüssigkeitsmoleküle an der Oberfläche. Insbesondere stellten Wissenschaftler fest, dass der Mechanismus, der zu der Vieleck-Form führt, Ähnlichkeit mit der so genannten Rayleigh-Plateau-Instabilität hat.

Auch diese ist im Alltag leicht zu beobachten: Aus einem Hahn fließt ein dünner Wasserstrahl. Ab einer gewissen Strahllänge bricht dieser in eine Tropfenkette auf. Sie entsteht, weil Störungen, die im oberen Teil des Wasserstrahls zunächst nicht sichtbar sind, weiter unten von der Oberflächenspannung verstärkt werden – was schließlich zum Aufbrechen des Strahls und zur Entstehung von Wassertropfen führt. Beim hydraulischen Sprung können, ähnlich wie in einem dünnen Wasserstrahl, kleine Störungen in der Form des kreisförmigen Wirbels durch die Oberflächenspannung des Fluids verstärkt werden, was schließlich zur Ausbildung der Ecken führt.

Druck, Viskosität und Oberflächenspannung zusammen liefern die Erklärung

Das Modell der Forscher rund um Erik A. Martens vom Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation kombiniert nun die Aspekte der beiden früheren Erklärungsansätze: hydraulischer Druck, Viskosität und Oberflächenspannung. „Wir können damit die grundlegenden Mechanismen beschreiben, die zur Instabilität des kreisförmigen hydraulischen Sprungs und zur Ausprägung eines Vielecks führen“, sagt Erik A. Martens. Selbst wenn in einem vereinfachten Modell Effekte der Oberflächenspannung vernachlässigt werden, die wegen der starken Oberflächenverformung grundsätzlich wichtig ist, konnten die Wissenschaftler zeigen, dass sich die vieleckigen Strukturen gut reproduzieren lassen.

Das Strömungsprofil in einem polygonalen hydraulischen Sprung ist jedoch noch komplizierter. So entspringen an den Ecken eines Polygons sehr starke strahlförmige Strömungen nach außen. An dieser Stelle kommen die Forscher mit ihrem Ansatz jedoch an eine Grenze. „Um bessere Modelle für die komplizierten Polygonströmungen zu entwickeln, bräuchten wir noch mehr experimentelle Kenntnisse über die Geschwindigkeits- und Höhenprofile der Vieleck-Muster“, sagt Erik A. Martens. „Tatsächlich ist eines der Ziele unserer Arbeit, die Forschung auf diesem Gebiet weiter anzuregen.“ Die Forscher können sich auch vorstellen, dass detailliertere Studien dieser Strömungsprozesse möglicherweise zur Beobachtung neuer, unerwarteter Phänomene führen könnten.

PR/PH

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