Immer weniger Vogelarten am Bodensee

Max-Planck-Forscher dokumentieren den Artenrückgang im Rahmen einer Langzeitstudie

16. Mai 2008

Durch Flächenumwandlungen für die Landwirtschaft, den Raubbau an Wäldern oder die zunehmende Verstädterung verändert der Mensch Landschaften und Ökosysteme - und verdrängt dabei eine Vielzahl von Tier- und Pflanzenarten. Wissenschaftler schätzen das Artensterben heute auf bis zu 130 Spezies pro Tag! Die Vereinten Nationen haben sich zum Ziel gesetzt, den Verlust an Artenvielfalt bis 2010 entscheidend zu begrenzen. Dazu muss jedoch bekannt sein, welche Arten vom Rückgang oder gar vom Aussterben bedroht sind. Am Bodensee wurden in einer Langzeitstudie wiederholt die Vogelarten gezählt. Hans-Günther Bauer vom Max-Planck-Institut für Ornithologie, eine ehrenamtliche Mitarbeiterin und ein Kollege der Universität Zürich haben diese Daten nun ausgewertet. Das Ergebnis ist beunruhigend: Vor allem bei Singvögeln gibt es einen starken Rückgang in der Artenzahl und der Biomasse (Journal of Ornithology, 149, 2008).

In Mitteleuropa haben Forscher in den letzten Jahrzehnten einen massiven Verlust an Brutvogelarten dokumentiert. Mehrere Studien mussten feststellen, dass vor allem in landwirtschaftlich genutzten Gebieten die Arten- und Bestandszahlen rückläufig sind. Weitere Faktoren, wie die Jagd von Zugvögeln oder der Klimawandel, setzen der Artenvielfalt ebenfalls zu. Andererseits haben "Flaggschiffarten", also Arten wie Weißstorch, Seeadler oder Kranich, die bekannt und auffällig sind und daher leichter eine breite öffentliche Unterstützung für Schutzbemühungen bekommen, in ihrer Zahl zugenommen. Hans-Günther Bauer vom Max-Planck-Institut für Ornithologie und zwei Kollegen fragten sich für den Bodensee, ob diese Schutzmaßnahmen auch für andere Vogelarten in denselben Lebensgemeinschaften greifen. Sie wollten wissen, ob sich die Artenzahl stabilisiert, sie sogar wieder ansteigt - oder ob der Artenreichtum weiter abnimmt.

Von 1980 an haben ehrenamtliche Ornithologen der internationalen Ornithologischen Arbeitsgemeinschaft Bodensee (OAB) dreimal im Zehn-Jahres-Abstand Vogelzählungen in über 300 Zählquadraten à 4 km2 am Bodensee durchgeführt. Dabei haben sie den regionalen Artenreichtum - das ist die Gesamtzahl aller Brutvogelarten - als auch den lokalen (die Brutvogelarten pro Zählquadrat) gemessen. Die Ergebnisse sind beunruhigend. "Die Anzahl an Brutvogelarten pro Zählquadrat hat stark abgenommen", sagt Bauer, "genau wie auch die Anzahl der Brutpaare insgesamt und die Biomasse". Biomasse bedeutet in diesem Fall die Gesamtmasse aller gezählten Individuen, wobei pro Art ein Durchschnittsgewicht veranschlagt wird. Obwohl einige größere, schwerere Arten am Bodensee hinzugekommen sind, ist der Verlust an kleinen Arten so gravierend, dass die Gesamtmasse weniger wird.

Der Rückgang des Artenreichtums betrifft dabei vor allem die Singvögel; die Vielfalt an Nichtsingvogelarten blieb zwischen 1980 und 1990 gleich und stieg von 1990 bis 2000 sogar leicht an. "Die Gesamtzahl der Brutvogelarten am Bodensee hat deshalb über die Zeit der Studie leicht zugenommen", so Bauer. Die Naturschutzbemühungen am Bodensee konnten somit zumindest bei den Nichtsingvögeln die negativen Auswirkungen der Klima- und Lebensraumveränderungen überdecken. "Aber diese Zunahme gleicht die massiven Verluste an Vielfalt und Biomasse von ursprünglich häufig beobachtbaren Singvogelarten nicht aus", betont der Ornithologe. Vom Rückgang oder gar Verschwinden sind vor allem Arten betroffen, die an kühlere und feuchtere Klimate angepasst sind. Dazu gehören zum Beispiel Uferschnepfe, Fitis, Großer Brachvogel und der Waldlaubsänger. Neu hinzugekommen sind Arten aus dem Süden: Mittelmeermöwe, Schwarzkopfmöwe, Alpensegler, Felsenschwalbe oder Orpheusspötter konnte man früher am Bodensee nicht beobachten.

Bleibt zu hoffen, dass die Vereinten Nationen auf der im Mai in Bonn stattfindenden 9. UN-Biodiversitätskonferenz weitere Maßnahmen zum Schutz der biologischen Vielfalt durchsetzen, die nicht nur in Deutschland Zeichen setzen. Denn diese Konferenz wird die letzte vor dem Jahr 2010 sein.

Auf der Konferenz der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro 1992 sollten die Weichen für eine weltweite nachhaltige Entwicklung gestellt werden. Eines der drei Abkommen, die damals unterzeichnet wurden, ist die "UN Convention on Biological Diversity". Es ist der erste völkerrechtliche Vertrag, der den Umgang mit der Natur umfassend zu regeln versucht. Die drei Hauptziele sind der Schutz der Biodiversität, die nachhaltige wirtschaftliche Nutzung der Natur sowie eine ausgewogene Verteilung der Gewinne aus der Artenvielfalt. Bis zum Jahr 2010, so das ehrgeizige auf dem Weltgipfel in Johannesburg formulierte Ziel, soll der Verlust an biologischer Vielfalt signifikant reduziert werden (2010-Ziel). Doch bisher ist man davon noch weit entfernt - über den Ausgang der 8. UN-Biodiversitätskonferenz im Frühjahr 2006 in Curitiba, Brasilien, zeigten sich daher viele Teilnehmer enttäuscht. Vom 19. bis 30. Mai 2008 ist nun Deutschland Gastgeber der 9. UN-Biodiversitätskonferenz. Etwa 5000 Regierungsvertreter aus aller Welt werden in Bonn zusammenkommen und die Ergebnisse ihrer bisherigen Bemühungen zum Schutz der biologischen Vielfalt vorstellen. Beraten werden sollen u.a. Maßnahmen zur Verbesserung des weltweiten Netzes an Schutzgebieten und zum Schutz der Wälder.

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