Hinter den Kulissen der Chemie

Was bei der Reaktion an einem Katalysator herauskommt, hängt auch von den Prozessen unter dessen Oberfläche ab

17. April 2008

Palladium ist eine Bühne für Moleküle: Auf der Oberfläche des Edelmetalls trennen sich ihre Atome, tauschen die Partner und verkuppeln sich mit anderen Akteuren. Dieses Geschehen wird jedoch auch davon bestimmt, was hinter den Kulissen passiert. Das haben Wissenschaftler des Berliner Fritz-Haber-Instituts der Max-Planck-Gesellschaft jetzt herausgefunden. Demnach reagieren ungesättigte organische Verbindungen auf dem Palladium nur partiell mit Wasserstoff, wenn sich unter der Oberfläche eine Palladium-Kohlenstoffschicht bildet. Diese verhindert, dass die Reaktion auf der Oberfläche genügend Nachschub von reaktivem Wasserstoff erhält. Die Erkenntnisse könnten künftig helfen Katalysatoren für industrielle Prozesse so maß zu schneidern, dass diese sich leichter steuern lassen. (Science, 4. April 2008)

Ohne Katalysatoren läuft in der chemischen Industrie wenig. Sie unterstützen viele Reaktionen und machen manche gar erst möglich, vor allem indem sie Bindungen in den Ausgangsverbindungen der Reaktion schwächen. Indem Chemiker einen Katalysator geschickt wählen, beeinflussen sie zudem, was bei einer Reaktion herauskommt. Also versuchen sie die Hilfsmittel so zu trimmen, dass diese zuverlässig nur eines von mehreren möglichen Produkten erzeugen. Das vereinfacht Prozesse und spart Geld. "Doch um die Katalysatoren zu optimieren, müssen Chemiker erst verstehen, wie sie genau arbeiten und wovon der Verlauf einer Reaktion abhängt", erklärt Detre Teschner, der mit seinen Kollegen des Fritz-Haber-Instituts der Max-Planck-Gesellschaft (FHI) dazu nun einen Beitrag geleistet hat.

Die Forscher haben herausgefunden, dass das Ergebnis einer Reaktion, die auf der Oberfläche eines Katalysators abläuft, auch von den Vorgängen unter der Oberfläche abhängt. Festgestellt haben sie das bei einer Hydrierung an einer Palladiumoberfläche. Reaktionen dieser Art spielen in der chemischen Industrie eine große Rolle, etwa um pflanzliche Öle zu veredeln. Die Industrie nutzt dafür jedoch meistens preiswertere Katalysatoren als das Edelmetall Palladium.

Bei der Hydrierung, die die Berliner Wissenschaftler untersucht haben, heften sich Wasserstoffatome an Pentin, eine ungesättigte organische Verbindung. Ungesättigt, weil sie noch Wasserstoff aufnehmen kann - im Falle des Pentins entweder zwei oder vier Wasserstoffatome. Im ersten Fall entsteht Penten im zweiten Pentan. Wenn die Forscher nur wenig Wasserstoff in die Reaktion schicken, verleibt sich das Pentin nur zwei Wasserstoffatome ein - was nicht sonderlich überrascht.

Ziemlich überrascht hat die Wissenschaftler dagegen, dass dafür der mangelnde Wasserstoff-Nachschub aus dem Inneren des Metalls verantwortlich ist. Die kleinen Wasserstoffatome dringen gewöhnlich leicht in das Metall ein, so dass sich immer eine erkleckliche Menge des Gases in dem Metall löst, sobald beide Kontakt zueinander haben. Im Inneren bilden sie so ein Reservoir, aus dem ständig Wasserstoff an die Oberfläche strömt, der viel reaktiver ist als jener auf dem Metall.

Doch wenn nur wenig Wasserstoff an der Reaktion teilnimmt, bildet sich unter der Oberfläche des Katalysators eine Palladium-Kohlenstoff-Schicht. Diese wirkt wie eine Barriere und verhindert, dass das Metall Wasserstoff aufnimmt. An der Reaktion kann also auch kein reaktiver Wasserstoff aus dem Inneren des Metalls teilnehmen. Dass solche Vorgänge hinter den Kulissen über die Handlung auf der chemischen Bühne entscheiden, hat bislang noch niemand beobachtet. "Wir müssen beim rationalen Design von Katalysatoren also künftig auch die Prozesse unter der Oberfläche berücksichtigen", sagt Detre Teschner, der einen wesentlichen Beitrag zu der Untersuchung geleistet hat. Das Geschehen auf der Oberfläche von Katalysatoren, studieren Chemiker und Physiker seit Jahrzehnten aufmerksam. Gerhard Ertl, der ebenfalls am FHI wirkt, hat für seine Pionierarbeiten auf diesem Gebiet gerade im vergangenen Jahr den Chemie-Nobelpreis erhalten.

"Wie sich die Palladium-Kohlenstoff-Schicht unter der Oberfläche des Katalysators genau bildet, wissen wir noch nicht genau", sagt Detre Teschner. Fest steht nur, dass der Kohlenstoff aus dem Pentin stammt. Allerdings sind die Kohlenstoffatome in dem Pentin miteinander und auch bereits mit einigen Wasserstoffatomen verbunden. Diese Bindungen löst das Palladium bei einem Teil des Pentins offenbar gleich zu Beginn der Reaktion, und der Kohlenstoff dringt ins Metall ein. Wenn jedoch zuviel Wasserstoff an dem Reaktionsgeschehen teilnimmt schnappt er sich das Pentin, bevor der Katalysator dieses in seine Einzelteile zerlegt hat.

Den Vorgängen auf und unter der chemischen Bühne sind die Forscher nur mit Tricks auf die Spur gekommen. Sie haben eine bereits bekannte Methode, die Prompt Gamma Activation Analysis (PGAA), so weiterentwickelt, dass sie ihnen auch einen Blick auf die laufende Reaktion gewährt. Daher können sie den Wasserstoff und das Pentin nun in einem Neutronenstrahl miteinander reagieren lassen. Die Neutronen entlocken den Atomen Gammastrahlung, die für jedes Element charakteristisch ist. Und je mehr Atome einer Sorte der Neutronenstrahl trifft, desto intensiver ist das Gammaleuchten. So können die Wissenschaftler genau verfolgen, wie viel Wasserstoff und Kohlenstoff sich wo in dem chemischen Theater tummelt.

Auf diese Weise wurden die Wissenschaftler auch Zuschauer eines eigenartigen Wechselspiels auf der Palladiumoberfläche, das auch die wichtige Rolle der Temperatur bei dem Geschehen belegt: Die Forscher brachten den Wasserstoff und das Pentin bei 30 Grad Celsius zusammen. Diese Temperatur ist gerade hoch genug, damit sich ein Teil des Pentins in seine Einzelteile auflöst und sich allmählich eine Kohlenstoff-Palladium-Barriere unter der Oberfläche des Katalysators aufbaut. Das dauert jedoch eine Zeit lang. Und ehe die Schicht fertig ist, reagiert weiteres Pentin mit Wasserstoff zu Pentan - weil reaktiver Wasserstoff aus dem Inneren des Metalls mitmischt.

Sobald die Schicht fertig ist heften sich dagegen nur noch zwei Wasserstoffatome an jedes Pentinmolekül und es entsteht Penten. Nun setzt jede Vereinigung zwischen einem Wasserstoff- und Kohlenstoffatom eine bestimmte Menge Wärme frei. Da nach Vollendung der Palladium-Kohlenstoff-Schicht weniger Wasserstoff zum Kohlenstoff findet, kühlt sich die Szene ab - wenn auch nur um zwei Grad. Doch das reicht, um eine Wendung ins Geschehen zu bringen. Die niedrigere Temperatur verhindert nämlich, dass die Palladium-Kohlenstoff-Schicht intakt bleibt: Die Schicht muss ständig erneuert werden, was bei der niedrigeren Temperatur erschwert ist. Also dringt Wasserstoff erst wieder in das Metall ein, um sich dann auch an das Pentin zu hängen - wie am Anfang entsteht wieder Pentan. Weil jetzt wieder mehr Wasserstoff umgesetzt wird steigt die Temperatur wieder - und die Palladium-Kohlenstoffschicht kann repariert werden. Es entsteht wieder Penten und das Spiel beginnt von vorne.

"Diese Untersuchungen zeigen, wie vielfältig die Faktoren sind, die dabei berücksichtigt werden müssen", sagt Detre Teschner: "Wir müssen die Bedingungen einer Reaktion also sehr fein justieren, damit ein gewünschtes Produkt entsteht."

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