Kirsten Bomblies erhält den "Genius-Award"

Die 34-jährige Tübinger Nachwuchswissenschaftlerin wird mit dem mit 500.000 Dollar dotierten Preis der MacArthur-Stiftung ausgezeichnet

23. September 2008

Kirsten Bomblies vom Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie in Tübingen wurde heute zum MacArthur Fellow ernannt. Damit erhält die 34-jährige Evolutionsbiologin über die nächsten fünf Jahre hinweg insgesamt 500.000 Dollar (knapp 350.000 Euro) von der US-amerikanischen MacArthur Stiftung. Das besondere daran: Das Geld ist nicht an einen bestimmten Zweck gebunden, sondern soll der Stipendiatin ermöglichen, ihre Kreativität zu entfalten und ihre Karriere voranzutreiben.

Die Biologin, die erst vor vier Jahren ihren Doktortitel erwarb, war völlig unvorbereitet auf die Nachricht, dass sie von der MacArthur Stiftung 500.000 Dollar bekommen wird. "Der Anruf aus Amerika war die größte Überraschung meines Lebens, ich kann es noch gar nicht fassen", sagte Kirsten Bomblies. Die Stiftung vergibt jedes Jahr etwa 20 bis 25 Stipendien an besonders begabte Menschen aller Altersgruppen, und zwar nicht nur an Wissenschaftler, sondern auch an Künstler und Unternehmer. Das einzige Kriterium ist die Kreativität ihres Werkes. Die Stipendiaten sollen durch die finanzielle Unterstützung die Möglichkeit bekommen, ihr Wissen zu erweitern, mutige Projekte anzustoßen oder ihrer Karriere eine neue Richtung zu geben.

Ihre Forschung am Max-Planck-Institut in Tübingen

Kirsten Bomblies arbeitet seit vier Jahren in der Arbeitsgruppe von Detlef Weigel am Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie. Dort untersucht sie, wie genetische Unverträglichkeiten im Laufe der Evolution zur Entstehung neuer Arten führen. Das Versuchsobjekt der Tübinger Forscherin ist die Ackerschmalwand, eine eher unscheinbare, kleine Blütenpflanze, die in allen gemäßigten Klimazonen der Erde verbreitet ist.

Kirsten Bomblies und ihre Kollegen haben festgestellt, dass aus Kreuzungen zwischen verschiedenen Stämmen der Ackerschmalwand erstaunlich oft verkümmerte Nachkommen hervorgehen. Sie bleiben im Wachstum zurück, die Blätter vergilben und oft bleibt die Blüte aus. Nähere Untersuchungen ergaben, dass in diesen Pflanzen die Immunabwehr aktiviert war, obwohl sie gar nicht von Pilzen oder Bakterien befallen waren. Normalerweise greift das pflanzliche Immunsystem nur infizierte Zellen an und vernichtet sie.

Bei den kümmernden Hybriden dagegen richtete es sich offenbar auch gegen gesundes Gewebe, weil die Hybridpflanzen den eigenen Körper mit gefährlichen Keimen verwechselten. Die verantwortlichen Gene, welche die Hybride, aber nicht die Eltern krank machen, sind oft Pathogendetektoren. Wie Kirsten Bomblies betont, werden die Hybride jedoch nicht Opfer von fehlerhaften Genen: Anders als bei manchen Erbkrankheiten treffen bei ihnen nicht zwei defekte Varianten ein und desselben Gens aufeinander. Vielmehr kommt es zu schädlichen Wechselwirkungen zwischen Genen, die sich in den beiden Elternstämmen unterschiedlich entwickelt haben. Jedes Gen für sich ist dabei harmlos und wahrscheinlich für die gesunden Eltern von Vorteil. Die Wissenschaftlerin vermutet, dass die Unverträglichkeiten zwar "nur" ein Nebenprodukt des Wettrennens zwischen der Pflanze und ihren Parasiten sind, aber trotzdem für die Entstehung neuer Arten sehr wichtig sind.

Der bisherige Karriereweg

Kirsten Bomblies hat einen abwechslungsreichen Weg hinter sich. Sie stammt zwar aus dem niedersächsischen Uelzen, ist aber in Colorado, im Westen der USA aufgewachsen und seit elf Jahren amerikanische Staatsbürgerin - eine Grundvoraussetzung für das MacArthur Stipendium. Sie hat an der University of Pennsylvania in Philadelphia (USA) Biochemie und Biologie studiert und sammelte anschließend in Kalifornien bereits erste Erfahrungen mit der Ackerschmalwand - im Labor von Detlef Weigel, der damals noch am Salk Institut in La Jolla tätig war. Den Doktortitel erhielt sie 2004 von der Universität von Wisconsin für Untersuchungen, wie in den letzten 10.000 Jahren der heutige Kulturmais entstanden ist. Kurz darauf kehrte sie zur Ackerschmalwand zurück, als Postdoktorandin in der Abteilung Molekularbiologie am Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie. Ihre Tage in Tübingen gehen jedoch dem Ende zu. Ab Juli 2009 wird sie als Professorin eine eigene Arbeitsgruppe an der Harvard-Universität in Boston leiten. "Ich habe vor, weiterhin die Entstehung und Anpassung der Arten zu studieren, ich möchte meine Forschung jedoch auch auf andere Pflanzen ausweiten", so Bomblies.

Das Stipendium

Kirsten Bomblies ist zuversichtlich, dass sich die bei der Ackerschmalwand gewonnenen Erkenntnisse auf andere Pflanzenarten übertragen lassen. Vieles deutet darauf hin, dass Fälle von Hybrid-Nekrose bei Nutzpflanzen wie dem Weizen auf denselben Mechanismus zurückgehen wie bei der Ackerschmalwand, die als Modell für die weitere Erforschung dieses Phänomens dienen kann. "Ein solches Modell wäre von großem Wert für die Nutzpflanzenzucht. Hier steht die genetische Unverträglichkeit manchen neuen Kreuzungen im Wege", sagt die Pflanzenforscherin. Die Beobachtung, dass nur wenige Gene an der Entstehung der Hybrid-Nekrose beteiligt sind, macht ihr zusätzlich Mut. Offenbar sind nur kleine genetische Änderungen nötig, um Kreuzungsbarrieren zu umgehen und die gewünschte Neukombination von Merkmalen zu erreichen.

Das Stipendium will die Biologin, die in ihrer Freizeit auch als Künstlerin aktiv ist, dafür nutzen, um innovative Projekte voranzutreiben, für die sie nicht so einfach Forschungsgelder bekommen würde. Außerdem möchte sie ein Buch über die Artenentstehung bei Pflanzen schreiben.

"Kirsten Bomblies ist zwar erst 34 Jahre alt, aber bereits jetzt eine hoch angesehene Wissenschaftlerin, die zu vielen internationalen Tagungen eingeladen wird. Ihre Untersuchungen zur Hybrid-Nekrose haben ein neues Tor in der Evolutionsbiologie aufgestoßen. Ich kenne nur wenige Wissenschaftler, die so viele wunderbare und originelle Ideen haben wie Kirsten", sagte Detlef Weigel, Direktor am Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie. "Das MacArthur Stipendium, das in vielen Kreisen als die "Genie-Auszeichnung" bekannt ist, wird sie in die Lage versetzen, diese Ideen unabhängig von der Meinung des wissenschaftlichen Etablissements zu verwirklichen. Wir alle freuen uns sehr, es ist eine tolle Auszeichnung für Kirsten, aber auch eine große Anerkennung für die Evolutionsbiologie und die Forschungsfreiheit in der Max-Planck-Gesellschaft."

Die MacArthur Stiftung

Mit einem Kapital von sieben Milliarden Dollar (knapp fünf Milliarden Euro) und mit einer jährlichen Ausschüttung von etwa 300 Millionen Dollar an Fördergeldern ist die MacArthur Foundation eine der größten Stiftungen der USA. Im Rahmen des MacArthur Fellows Program werden begabte Persönlichkeiten über einen Zeitraum von fünf Jahren mit insgesamt je 500.000 Dollar (etwa 350.000 Euro) gefördert. Die Kriterien sind: besondere Kreativität, die Aussicht auf herausragende zukünftige Erkenntnisse und ein hohes Potential, um in Zukunft kreative Arbeit zu fördern. Ziel des Programms ist es, besonders talentierte Menschen darin zu unterstützen, dass sie ihre kreativen, intellektuellen und fachlichen Neigungen verfolgen können. Dies können Schriftsteller, Wissenschaftler, Künstler, Geisteswissenschaftler, Lehrer oder Unternehmer sein, sofern sie die amerikanische Staatsbürgerschaft haben oder in den USA leben.

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