Duett über Geschlechtergrenzen hinaus

Die Größe macht es nicht immer: Waldweberweibchen stehen ihren männlichen Artgenossen trotz kleinerem Gehirnareal gesanglich in Nichts nach

17. September 2008

Ein großes Gehirn und trotzdem kein Star. Dass Männer ein größeres Gehirn als Frauen haben, heißt noch lange nicht, dass das weibliche Geschlecht weniger kann. Forscher um Manfred Gahr vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Seewiesen zeigen dies nun für eine Vogelart aus Afrika. Die Nervenzellen in den Regionen des Gesangsgehirns der Weibchen haben eine andere Genaktivität und produzieren daher vermutlich mehr an bestimmten Typen von Proteinen als die Nervzellen ihrer männlichen Artgenossen. Da diese Proteine an der Informationsübertragung zwischen den Neuronen beteiligt sind, gehen die Forscher davon aus, dass diese Gehirnregion bei den Weibchen effektiver funktioniert. Anscheinend können sie so den Größenunterschied ausgleichen, denn beide Geschlechter zeigen das gleiche Verhalten (PLoS One, 27. August 2008).

Im Tierreich sind es meist die Männchen, die die Initiative ergreifen: Bei Singvögeln beispielsweise singt in den meisten Fällen nur das männliche Geschlecht, denn über den Gesang locken sie Weibchen an und verteidigen ihre Territorien. Deswegen sind bei den adulten Singvogelmännchen diejenigen Gehirnpartien, die den Gesang kontrollieren, größer als die der Weibchen.

Anders bei den afrikanischen Waldwebern: Hier stellt der Gesang auch für die weiblichen Vögel ein wichtiges Verhaltenselement dar. Während der Paarfindung studieren Weibchen und Männchen einen identischen Gesang ein. Den singen sie dann meist im Duett in gleicher Frequenz, Repertoiregröße und Repertoirezusammensetzung - und das bis zu einer halben Minute am Stück.

Manfred Gahr, Direktor am Max-Planck-Institut für Ornithologie in Seewiesen, und seine Kollegen haben die gesangskontrollierenden Gehirnzentren von männlichen und weiblichen Waldwebern verglichen. Das Ergebnis: Die Gehirnareale der Vogelmännchen weisen trotz des gleichen Gesangs wesentlich mehr Nervenzellen auf. Zudem sind ihre Gesangsareale eineinhalb Mal größer als die der weiblichen Waldweber. Jedoch haben die Zentren der Weibchen eine bis zu 70 Prozent höhere Aktivität von bestimmten Genen. Diese sind für die Produktion von Proteinen zuständig, welche unter anderem die Signalweiterleitung von Nervenzelle zu Nervenzelle beeinflussen. Die Folge: Die Funktionalität dieser Gehirnregion zwischen den Geschlechtern unterscheidet sich, da eventuell die Verschaltungen der Nervenzellen bei den Weibchen effizienter sind. Die afrikanischen Vogelweibchen könnten so den Größenunterschied wettmachen.

Zumindest stehen sie ihren männlichen Artgenossen gesanglich in Nichts nach. "Es gibt keine zwingende Beziehung zwischen der Größe einer Gehirnregion und des ausgeprägten Verhaltens der Tiere", erläutert der Max-Planck-Forscher Gahr. "In einer Gehirnregion können männchentypische und weibchentypische geschlechtliche Unterschiede auftreten. Das kann wie beim Beispiel der Waldweber dazu führen, dass beide Geschlechter zwar das gleiche Verhalten zeigen, diesem jedoch unterschiedliche zelluläre Mechanismen zugrunde liegen", so der Neurobiologe weiter.

Geschlechtsspezifische Ausprägungen im Nervensystem deuten also eher auf geschlechtsspezifische Anpassungen zur Verhaltenskontrolle hin als auf geschlechtsbedingte Unterschiede im Verhalten an sich.

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