Zuhause schmeckt es am besten

Gorillaweibchen verlassen ihre Herkunftsgruppe, wenn sie geschlechtsreif werden. Dennoch bleiben sie am liebsten dort, wo sie eine vertraute Vegetation vorfinden

26. November 2008

Gorillas gehören zu den wenigen Säugetieren, bei denen die Weibchen die Herkunftsgruppe verlassen, um sich in einer neuen Gruppe fortzupflanzen. Als Erklärung dafür diente bislang, dass es im Lebensraum der Gorillas Futter im Überfluss gibt - und es insofern keine Rolle spielt, wo sich die Tiere aufhalten. Nun hat ein Forscherteam des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie die genetische Struktur einer ganzen Berggorillapopulation untersucht und herausgefunden, dass die Weibchen durchaus selektiv sind, was ihr neues Zuhause angeht. Stehen sie vor der Entscheidung, wo sie sich niederlassen, wählen sie häufig Gruppen, die sich in Gebieten mit einer ähnlichen Vegetation aufhalten wie ihre Herkunftsgruppe. Die Männchen kümmern sich hingegen weniger um die Nahrung. Sie scheinen andere Faktoren als wichtiger einzustufen. (Current Biology, 25. November 2008)

Dass Vertreter eines Geschlechts die Geburtsgruppe verlassen, ist typisch für Säugetiere. In den allermeisten Fällen sind es die Männchen, die sich auf Wanderschaft begeben. Männchen haben geringere Nachteile, wenn sie die gewohnte Umgebung und die Unterstützung durch Verwandte hinter sich lassen. Weibchen hingegen tragen die hohen Kosten der Reproduktion, des Stillens und der Aufzucht der Jungen. Deswegen ist es für sie wichtig, an Orten zu bleiben, die sie kennen. Dort wissen sie, wo sie Nahrung und Schutz finden. Darüber hinaus können sie auf Verwandte zurückgreifen, die ihnen im Notfall zur Hilfe kommen können.

Wenige Ausnahmen finden sich bei Menschen und Menschenaffen, wie Gorillas und Schimpansen. In vielen menschlichen Kulturen ziehen die Frauen in die Familien ihrer Ehemänner ein. Ähnlich ist es bei Schimpansen, bei denen die Weibchen die Gruppe verlassen, während die Männchen in ihrer Herkunftsgruppe bleiben, miteinander Koalitionen bilden, gemeinsam jagen und die Grenzen ihres Terretoriums kontrollieren. Die Gorillas zeigen ein sehr flexibles Verhalten. Sowohl Weibchen als auch Männchen verlassen die Gruppe. Während sich die Weibchen schnell eine neue Gruppe suchen, um sich mit dem dominanten Silberrücken fortzupflanzen, streifen die Männchen häufig Jahre einsam durch den Wald, bis sie Weibchen anlocken und ihre eigene Gruppe gründen.

Wenn die Gorillaweibchen ihre Herkunftsgruppe so bereitwillig verlassen, scheint der Zugang zu wichtigen Resourcen für sie eine geringe Rolle zu spielen, lautete bislang die Erklärung für diese Beobachtung. Da Gorillas sich von Vegetation ernähren, die in großen Mengen im Wald anzutreffen ist, entstand bei Primatenforschern der Eindruck, dass sie wie im "Schlaraffenland" leben. Wo immer sie sind, können sie sich jederzeit satt essen. In den letzen Jahren häuften sich allerdings Berichte über die ausgesprochene Nahrungsselektivität der Menschenaffen. Zudem zeigten Studien, dass die bevorzugte Gorillanahrung nicht gleichmäßig verkommt und Gorillas in verschiedenen Teilen des Waldes verschiedene Pflanzen präferieren.

Als sich nun die Max-Planck-Forscher die genetische Struktur einer Gorillapopulation aus dem Bwindi Nationalpark in Uganda anschauten, fanden sie heraus, dass sich Gorillas scheinbar an der Höhenlage des Waldes orientieren. Gruppen, die sich einander genetisch ähnlich sind, hielten sich im Westen des Parks auf niedrigster Höhe auf. Zwei weitere genetische Cluster fanden sich in der Mitte und im Osten des Parks in höheren Lagen. Als die Forscher Weibchen und Männchen getrennt untersuchten, fanden sie dieselbe genetische Ähnlichkeit bei Weibchen aber nicht bei Männchen. "Die Höhe, und die sich mit ihr verändernden Temperatur- und Niederschlagsbedingungen, haben den größten Einfluss auf Vegetation. Somit unterscheiden sich die Pflanzengemeinschaften, die auf verschiedenen Höhen wachsen. In Bwindi haben wir einen Höhenunterschied von über 1000 Meter. Auch die Vegetation in den niedrigeren und höheren Bereichen des Waldes ist sehr verschieden", sagt Damien Caillaud, der sich intensiv mit Vegetationsanalysen beschäftigt hat.

Die Forscher vermuten nun, die Lösung gefunden zu haben, warum es den weiblichen Gorillas leicht fällt, die Gruppe zu verlassen, in der sie geboren wurden. "Sie wechseln zwar die Gruppe, bleiben aber im selben ökologischen Umfeld, das sie von Geburt an kennen", erklärt Katerina Guschanski, die Hauptautorin der Studie. Sowohl die Entfernung zur Heimatgruppe, also auch die Höhenlage und die Vegetation hatten einen Einfluss auf das Verhalten der Weibchen.

Männchen scheinen allerdings an anderen Dingen interessiert zu sein. "Männliche Gorillas stehen in starker Konkurenz zueinander, wenn es um den Zugang zu Weibchen geht. Meist kann sich nur das dominante Männchen in der Gruppe vermehren und die anderen gehen leer aus. Es ist also für die Männchen wichtig, Weibchen zu finden, mit denen sie sich fortpflanzen können, Futter hin oder her", erklärt Martha Robbins, die schon seit vielen Jahren mit den Berggorillas arbeitet. Die Männchen verteilen sich daher scheinbar zufällig im Wald. Weder die Entfernung zur Herkunftsgruppe, noch Höhe oder Vegetation haben Einfluss auf ihren Aufenthaltsort. Während also Weibchen nur eine kurze Distanz zwischen ihrer Herkunfts- und ihrer neuen Gruppe zurücklegen und im Bereich vertrauter Vegetation bleiben, streifen die Männchen uneingeschränkt durch den Wald auf der Suche nach Weibchen, die bereit wären, sich ihnen anzuschließen.

Diese Studie bestätigt, wie wichtig die Erfahrung der Jungtiere für ein erfolgreiches Leben als ausgewachsener Gorilla ist. Weibchen, die in eine Gegend kommen, wo sich sich mit der Pflanzennahrung nicht auskennen, werden auf wenige bekannte Pflanzen zurückgreifen müssen. Dies kann sich negativ auf ihren Fortpflanzungerfolg auswirken. Linda Vigilant, die Koordinatorin der Studie: "Diese Erkenntnis könnte wichtig sein für Auswilderungsprogramme und Wiederbesiedlungsprognosen von Menschenaffen und anderen gefährdeten Tierarten."

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