"Out of Africa"-Population hat Europäern ihren genetischen Stempel aufgedrückt

Genetische Variationen, die die Funktion von Proteine verändern, werden häufiger

21. Februar 2008

Die Menschen, die vor mehr als 30.000 Jahren von Afrika aus aufbrachen, um erstmalig Europa zu besiedeln, haben offenbar Spuren in den Genen der heutigen Europäer hinterlassen. In der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins Nature (21. Februar 2008) stellen US-amerikanische Forscher eine Studie vor, im Rahmen derer sie einen Datensatz der Firma Celera Diagnostics mit mehr als 10.000 Gen-Sequenzen von 15 Afroamerikanern und 20 US-Amerikanern europäischer Abstammung untersucht haben. Danach weist letztere Gruppe mehr Variationen auf, die wahrscheinlich die Funktion von Proteinen beeinflussen. Steffen Schmidt vom Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie in Tübingen hat an dieser Untersuchung mitgearbeitet und erklärt die Ergebnisse.

Herr Schmidt, was genau haben Ihre US-amerikanischen Kollegen analysiert?

Schmidt: Wir wissen, dass jeder Mensch eine individuelle genetische Ausstattung besitzt, bestimmte Bevölkerungsgruppen aber gemeinsame genetische Merkmale teilen. Meine Kollegen haben die Verteilung von einzelnen Basenaustauschen, sogenannten SNPs (engl. single nucleotide polymorphisms) aus zwei Bevölkerungsgruppen in den USA genauer untersucht und klassifiziert. Wie erwartet, findet man bestimmte SNPs nur in einem der beiden Datensätze. Die einzelnen Basenaustausche können auch zu einem Austausch von Aminosäuren in Proteinen führen. Die Untersuchungen haben gezeigt, dass die von US-Amerikanern europäischer Abstammung stammenden Proben generell zwar eine geringere genetische Variation besitzen, dafür aber zu verhältnismäßig mehr Aminosäureaustauschen führen, die die Funktion von Proteinen signifikant beeinflussen.

Dieses Ergebnis hat die Wissenschaftler überrascht?

Schmidt:

Ja, wir hatten nicht unbedingt einen so großen Unterschied erwartet. Und dennoch sehen meine Kollegen auch in anderen Datensätzen aus unabhängigen Untersuchungen diesen Effekt.

Was war Ihr Beitrag zu dieser Forschungsarbeit?

Schmidt:

In Zusammenarbeit mit der Harvard Medical School in Boston, USA, habe ich ein Computerprogramm weiterentwickelt ("PolyPhen"), das den Effekt von Aminosäureaustauschen in Proteinen vorhersagt und den Kollegen der Cornell University die Klassifizierung der von ihnen untersuchten Austausche ermöglicht. Unter Verwendung von Informationen über die Konserviertheit von Aminosäuren - bestimmte Aminosäuren werden leichter, andere weniger leicht ausgetauscht -, der räumlichen Struktur des Proteins und Informationen aus bereits vorhandenen Untersuchungen ordnet das Programm die Aminosäureaustausche in Varianten ein, die wahrscheinlich die Funktion des Proteins nicht, kaum oder stark beeinflussen. Dieses Programm ist also nicht nur für populationsgenetische Untersuchungen interessant, sondern auch von medizinischer Relevanz, da es bei der Suche nach Veränderungen in unserem Genom helfen kann, die Krankheiten verursachen. Allerdings lassen die momentanen Ergebnisse keine Aussage darüber zu, ob ein größerer Anteil an Basenaustauschen, die die Funktion von Proteinen beeinflussen, tatsächlich eine Auswirkung auf die durchschnittliche Gesundheit eines Menschen hat.

Welche Schlüsse lassen sich dann aus den Ergebnissen der Studie ziehen?

Schmidt: Die Ergebnisse der Studie sind in erster Linie in einem evolutionstheoretischen Kontext zu sehen. Die gängige Theorie ist, dass Europa von einer aus Afrika stammenden Gruppe von Menschen besiedelt wurde. Computersimulationen meiner Kollegen aus Cornell zeigen, dass diese Gruppe sehr klein war und eine geringe genetische Variation besaß. Eine kleine Bevölkerung kann aber dazu führen, dass genetische Variationen, die die Funktion von Proteine verändern, häufiger werden - sie bleiben bestehen, solange diese Veränderungen das Überleben seines Träger nicht maßgeblich beeinflussen. Die Unterschiede, die meine Kollegen sehen, könnten also ein "populationsgenetisches Echo" der Besiedelung Europas sein.

Zur Person: Dr. Steffen Schmidt hat am European Molecular Biological Laboratory (EMBL) in Heidelberg gearbeitet und 2003 seine Promotion in Bioinformatik an der Universität Heidelberg abgelegt. Von 2003 bis 2005 war er Postdoctoral Fellow in der Abteilung Genetik am Brigham and Women's Hospital der Harvard Medical School in Boston, USA. Seit 2006 ist er Projektleiter am Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie in Tübingen in der Abteilung Biochemie von Dr. Elisa Izaurralde. Sein Forschungsinteresse gilt der Evolution und Variabilität von Proteinen und ihrer Funktion.

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