Ursachen für unruhige Beine gefunden

Wissenschaftler identifizieren Gene, die das Restless-Legs-Syndrom begünstigen

Acht Millionen Menschen leiden allein in Deutschland am Restless-Legs-Syndrom. Die Krankheit gehört damit deutschlandweit zu den häufigsten neurologischen Erkrankungen überhaupt. Über die Krankheitsursachen ist bislang jedoch wenig bekannt. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie und des Instituts für Humangenetik des Forschungszentrums für Umwelt und Gesellschaft (GSF) der Technischen Universität München entdeckten nun genetische Varianten, die die nächtliche Unruhe in den Beinen bis hin zur Schlaflosigkeit auslösen können. Besonders überraschend: diese RLS-assoziierten Gene kontrollieren unter anderem auch die frühe Embryonalentwicklung, so dass eine Entwicklungsstörung als Krankheitsursache nicht ausgeschlossen werden kann. (Nature Genetics, Advance Online Publication, 18. Juli 2007, doi:10.1038/ng2099)

Es reißt, sticht und zieht in der Wade: Patienten mit dem Restless-Legs-Syndrom (RLS) plagen plötzlich auftretendes Unbehagen und starker Bewegungsdrang, wenn ihre Beine ruhen. Die Betroffenen, die sich selbst auch Nightwalker nennen, sind deshalb gezwungen in Ruhephasen aufzustehen und umherzuwandern - besonders abends und nachts. In der Folge leiden sie unter einem gestörten Schlafrhythmus und erhöhter Tagesmüdigkeit. Die Anzahl der Krankheitssymptome und die Verbreitung der Erkrankung nehmen mit dem Alter zu. Sind in der Altersgruppe zwischen 20 und 30 Jahren nur vier Prozent vom RLS betroffen, steigt die Zahl in der Altersgruppe über 60 schon auf über zehn Prozent.

Ein internationales Forscherteam unter Leitung von Juliane Winkelmann, Bertram Müller-Myhsok und Thomas Meininger, gewann jetzt neue Einsichten bei der Ursachenforschung. Sie identifizierten einzelne Gene, die RLS begünstigen. "Seit 15 Jahren sind wir auf der Suche nach den Ursachen für das Restless Legs Syndrom, haben Hunderte von Patienten in großen Studien untersucht, und heute präsentieren wir die mutmaßlich an RLS beteiligten Gene", sagt Florian Holsboer, Direktor am Max-Planck-Institut für Psychiatrie, nicht ohne Stolz.

Fast zwei Drittel aller RLS-Patienten berichten, dass weitere Familienangehörige betroffen sind. Die Forscher vermuteten daher, dass es eine starke genetische Komponente beim Restless Legs Syndrom gibt. In einer ersten Studie verglichen sie das Genom von 401 RLS-Patienten und 1644 gesunden Kontrollpersonen aus Deutschland. Insgesamt wurden 236.000 Stellen im gesamten Genom auf Veränderungen eines einzelnen Nukleotids, also einem Buchstaben in der Basenabfolge, untersucht. Die Forscher fanden drei Regionen auf den Chromosomen 2p, 6p und 15q, deren Veränderung zu einem über 50 Prozent höheren Risiko an RLS zu erkranken führen kann. Dieses Ergebnis konnten die Wissenschaftler in zwei weiteren Patientengruppen mit insgesamt 1158 RLS-Patienten und 1178 Kontrollpersonen aus Deutschland, Österreich und Kanada bestätigen.

In den Regionen, die von den Wissenschaftlern identifiziert wurden, liegen so genannte Entwicklungskontrollgene (MEIS1, BTBD9, MAP2K5 und LBXCOR1). Sie steuern die Entwicklung eines Organismus, indem sie Gene an- oder abschalten und ganze Kaskaden von biochemischen Prozessen starten. So regeln sie unter anderem die Ausbildung der Extremitäten und des Nervensystems. Das Gen BTBD9 bildet zum Beispiel in der Fliege Drosophila die Strukturen des Beins aus. Die Proteine der Gene MAP2K5 und LBXCOR1 spielen eine wichtige Rolle, wenn sich Muskelzellen entwickeln und die sensorischen Wege, die Schmerz und Berührung weiterleiten, entstehen.

Neben den bekannten frühen Entwicklungsfunktionen spielen diese Gene auch im Erwachsenenalter eine wichtige Rolle. Aus Untersuchungen an Mäusen ist bekannt, dass das Protein MEIS1 im Gehirn die Produktion des Nervenbotenstoffs Dopamin regelt. Dadurch steuert und kontrolliert MEIS1 auch die Bewegungen des Organismus. Hier ergibt sich möglicherweise ein Hinweis zu RLS beim Menschen: Ein synthetisches Dopamin-Präparat ersetzt fehlendes, körpereigenes Dopamin und ist das Hauptmedikament in der RLS-Behandlung.

Wie genau jedoch die entdeckten Gene an der Entwicklung von RLS beteiligt sind und warum es erst so spät im Lebensalter auftritt, müssen zukünftige Untersuchungen zeigen. Mithilfe der Identifikation der assoziierten Gene kennen die Forscher nun aber potenzielle Kandidaten für die Auslösung der Krankheit und können gezielt an den molekularen Ursachen forschen. Damit ist die Grundlage für eine verbesserte Therapie des Restless-Legs-Syndroms gelegt.

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