Synchronspringen im Laserblitz

Elektronen sprechen sich ab, wenn sie gleichzeitig aus einem Atom geschleudert werden

24. Mai 2007

Elektronen haben ein Talent zum Synchronspringen: Wenn zwei Elektronen von intensiven Lichtblitzen gleichzeitig aus einem Atom katapultiert werden, scheint es als hätten sie sich abgesprochen. Mit etwa gleich viel Schwung und in genau entgegen gesetzte Richtungen stieben sie davon, während der Atomkern in Ruhe bleibt. Das haben Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Kernphysik in Zusammenarbeit mit Physikern der Universität Frankfurt und dem DESY Hamburg jetzt beobachtet, als sie ein Neon-Atom zweifach ionisierten. Die Forscher bedienten sich dazu der hochintensiven Röntgenblitze des Elektronenlasers FLASH, der seit Kurzem am DESY zur Verfügung steht. Die Ergebnisse der Forschungsgruppe um Joachim Ullrich und Robert Moshammer klären fundamentale Fragen des Zusammenspiels von Atomkern, Licht und Elektronen. So schaffen sie die Grundlage, um mit FLASH komplexe Strukturen zu untersuchen. Davon könnten zahlreiche Disziplinen wie die Materialwissenschaft oder die molekulare Biologie profitieren (Physical Review Letters, 14. Mai 2007).

Die Max-Planck-Wissenschaftler haben die Elektronen bei ihrer Absprache belauscht, indem sie den Rückstoß des Atomkerns nach der Ionisation maßen. Die Taumelbewegung also, in die der Atomkern beim Zerplatzen in Elektron und Ion gerät. Die Max-Planck-Wissenschaftler untersuchten diejenigen Fälle, bei denen die beiden Elektronen ein Edelgas-Atom nicht nacheinander, sondern gleichzeitig verlassen - und stellten fest, dass der Atomkern dabei fast völlig ruhig liegen bleibt. "Das kann man mit einem Boot vergleichen, von dem zwei Badende kopfüber ins Wasser springen", erklärt Ullrich. Das Boot bleibt nur dann halbwegs in Ruhe, wenn die Schwimmer mit etwa gleichem Schwung in entgegen gesetzte Richtungen ins Wasser stürzen. "Genauso bedeuten unsere Messergebnisse, dass auch die beiden Elektronen das Atom stets mit etwa gleich großen Geschwindigkeiten in diametraler Richtung verlassen", so Ullrich. Die Elektronen müssen sich also untereinander absprechen, damit ihnen der Absprung in entgegen gesetzte Richtungen gelingt. Bislang kursierten unter Physikern verschiedene Modelle, wie diese Form der Doppelionisation ablaufen könnte - untersuchen konnten sie den Prozess jedoch nicht.

Erst der neue Freie Elektronen Laser FLASH (Free Elektron LASer in Hamburg) machte das Experiment möglich. Der Knackpunkt ist die besonders hohe Photonendichte im weichen Röntgenbereich, die nur FLASH liefert: Damit zwei Elektronen gleichzeitig je ein Photon absorbieren können, müssen erst einmal genügend Photonen auf das Atom treffen. Den Rückstoß des Atomkerns messen die Heidelberger mit einem Reaktionsmikroskop, mit dem sie nach der Dissoziation eines Atoms oder Moleküls alle Bruchstücke genau nachweisen können. "Wir haben auf diese Weise jetzt herausgefunden, dass die beiden Elektronen gleichzeitig je ein Photon absorbieren und dass sie während der Ionisation wechselwirken", so Moshammer. "Die beiden Elektronen werden also nicht unabhängig voneinander aus dem Kern entfernt, ihre Dynamik ist vielmehr korreliert."

FLASH strahlt so intensiv, als würde man das gesamte auf die Erde fallende Sonnenlicht auf einen Quadratzentimeter bündeln - gleißende Lichtblitze, die alle Materie sofort zum Schmelzen bringen und Atome oder Moleküle zerreißen. Zahlreiche Disziplinen versprechen sich daher von den Messungen mit FLASH ganz neue Erkenntnisse: Die hohe Photonendichte - gekoppelt mit einer einmalig kurzen Pulslänge von wenigen Billiardstel Sekunden - könnte unter anderem ermöglichen, mit einem einzelnen Impuls große Biomoleküle abzulichten. In vielen aufeinanderfolgenden Aufnahmen ließe sich dann live verfolgen, wie chemische Bindungen entstehen oder wie sich Elektronen in einem Halbleiter bewegen. All diese Untersuchungen erfordern allerdings ein detailliertes Verständnis dessen, was in den Lichtpulsen des FLASH auf atomarer Ebene geschieht. Dem sind die Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Kernphysik mit ihrem Experiment einen Schritt näher gekommen.

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