Gläsernes Gehirn schafft Durchblick

Forschern am Max-Planck-Institut für Psychiatrie gelingt hochauflösende 3D-Rekonstruktion von neuronalen Strukturen des Mäusegehirns

1. April 2007

Der gläserne Mensch wirkt eher bedrohlich, mit dem gläsernen Gehirn erfüllt sich ein großer Wunsch - zumindest für Neurologen: Es verschafft ihnen die Möglichkeit, die komplexen Strukturen der Nervenzellen und ihrer Verbindungen untereinander sichtbar zu machen und räumlich zu erfassen. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie in München präsentieren nun erstmals dreidimensionale Abbildungen der neuronalen Struktur von Mäusegehirnen. An solchen gläsernen Gehirnen lässt sich in Zukunft möglicherweise untersuchen, wie sich das Gefüge der Nervenzellen beispielsweise beim Lernen verändert. (Nature Methods, April 2007)

Jede einzelne Nervenzelle in einem Gehirn abzubilden, war trotz der rasanten Entwicklung neuer Abbildungsverfahren bislang nicht möglich. Techniken wie Computertomographie (CT) und Magnetresonanztomographie (MRI) liefern zwar detaillierte Abbildungen großer Organe, erreichen dabei aber lediglich Auflösungen von etwas weniger als einem Millimeter. Andererseits versagen hochauflösende mikroskopische Methoden bei ausgedehnten Präparaten. Der Forschungsgruppe um Prof. Hans-Ulrich Dodt ist am Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München nun ein großer Schritt gelungen, diese Lücke zu schließen.

Indem die Wissenschaftler eine spezielle Präparationsmethode mit der Ultramikroskopie kombinierten, einer von ihnen neu entwickelten und besonders hochauflösenden Mikroskopiertechnik, rekonstruierten sie die neuronalen Strukturen eines Mäusegehirns mit einer Auflösung von wenigen Mikrometern. Isolierte Hippocampi aus Mäusegehirnen bildeten sie mit solcher Präzision ab, dass darauf einzelne dendritische Dornen, feinste Auswüchse der verzweigten Nervenzellen, deutlich zu sehen sind. Bilder von Mäuseembryonen und Fruchtfliegen belegen, dass sich die Methode auch auf andere Organismen anwenden lässt.

Hans-Ulrich Dodt interessiert vor allem, ob sich mit diesem Verfahren neuronale Veränderungen nach Lernprozessen ausfindig machen lassen. "Der vergleichsweise schnelle und einfache Prozess könnte sich gut eignen, um die neuronalen Strukturen vieler Hirne untereinander zu vergleichen", sagt Dodt. Die detaillierten anatomischen Informationen ergänzen auch die bereits existierenden bildgebenden Verfahren: Sie könnten also dazu beitragen, funktionale Zusammenhänge im Gehirn besser zu verstehen.

Um die Technik der Ultramikroskopie auf ein Mäusegehirn anzuwenden, mussten die Forscher das Gewebe zunächst durchsichtig machen. Dazu dehydrierten sie die Organe und legten sie anschließend in ein Öl ein, dessen Brechungsindex dem von tierischem Protein entspricht. So verhinderten sie, dass das Licht des Mikroskops auf seinem Weg durch das Präparat Bereiche unterschiedlicher Brechzahl passieren muss. Licht, das auf das präparierte Gewebe fällt, wird daher nicht gestreut, und das Organ erscheint durchsichtig. "Das ist eine uralte Technik, die vor über hundert Jahren erfunden wurde, dann aber in Vergessenheit geraten ist", erläutert Dodt. Und fügt hinzu, dass man denselben Effekt auch im Alltag beobachten kann: "Gibt man einen Tropfen Öl auf ein Blatt Papier, so wird das Papier an dieser Stelle auch lichtdurchlässig."

Derart präparierte Organe lassen sich mittels Ultramikroskopie untersuchen. Dabei richten die Forscher ein wenige Mikrometer flaches Band aus Laserlicht von der Seite auf das Mäusegehirn, so dass nur eine dünne Schicht des Präparats durchleuchtet wird. Nervenzellen innerhalb dieser Schicht fluoreszieren, und das Fluoreszenzlicht zeichneten Dodt und seine Mitarbeiter mit Hilfe eines umgebauten Mikroskops und einer CCD-Kamera auf. Da sie das Präparat schrittweise durch den Laserstrahl nach oben bewegten, erhielten sie eine Folge von digitalen Bildern, welche sie anschließend wie bei einer CT im Computer zu einer dreidimensionalen Abbildung des Gehirns zusammensetzten.

Technisch ist die vielversprechende Methode allerdings noch nicht ganz ausgereift. So sind beispielsweise die optischen Elemente nicht auf die Abbildung eines in Öl lagernden Präparats abgestimmt. "Das, was wir momentan benutzen ist eine absolute Notlösung", so Dodt, der inzwischen auf den Lehrstuhl für Bioelektronik der Technischen Universität Wien berufen wurde. Auch mit Hilfe adaptiver Optik ließe sich die Qualität der Bilder wesentlich verbessern. "Dabei handelt es sich um eine Technik aus der Astronomie", erklärt Dodt. Astronomen unterbinden damit das Flackern der Sterne, indem sie die Schwankungen des Brechungsindex in der Atmosphäre mit deformierbaren Spiegeln ausgleichen. Sie erhalten so wesentlich schärfere Abbildungen von Sternen und Galaxien. "Das ließe sich wunderbar bei der Ultramikroskopie anwenden", sagt Dodt.

Neben dem wissenschaftlichen Einsatz bietet die unter der Regie von Dodt entwickelte Methode die Möglichkeit, anhand der aufgenommenen Daten einen Flug durch das neuronale Netz des gläsernen Gehirns zu simulieren. "So könnten die Aufnahmen zukünftig in einer Playstation Brain, etwa für Medizinstudenten und Schüler zum Einsatz kommen", sagt Dodt.

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