Freischwimmer im Ei

Wissenschaftler beobachten neue Details beim Befruchtungsvorgang von Säugetier-Eizellen

4. Mai 2006

Bei zahlreichen Tierarten beeinflussen Asymmetrien im Ei direkt die weitere Entwicklung. Auch die Eizelle von Säugern weist klare Asymmetrien auf und wird - wie Beobachtungen an Mäusen zeigen - auch bevorzugt auf einer Ei-Hälfte befruchtet. Mit aufwändigen Markierungsexperimenten und Aufnahmen im Zeitraffer haben Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Immunbiologie zeigen können, dass die asymmetrische Befruchtung der Eizelle bei Mäusen nicht auf molekularen Asymmetrien innerhalb des Eies beruht, sondern auf einem vergrößerten Freiraum um den Polkörper (PloS, April 2006).

Es ist eine der spannendsten Fragen in der Entwicklungsbiologie: Wie wird aus einem Ei ein komplexer Organismus? Bei den Eizellen der Fruchtfliege Drosophila lässt sich bereits in diesem frühen Stadium der Entwicklung vorhersagen, wo sich Kopf, Rücken oder Bauch bilden werden, denn die Eizellen sind von vorne herein asymmetrisch organisiert. Auch beim Krallenfrosch beeinflussen Asymmetrien im Ei direkt die weitere Entwicklung. In diesen Tierarten gibt also das Ei den Bauplan für die spätere Entwicklung vor.

In Säugetieren sind solche klaren Vorhersagen nicht möglich. Man geht davon aus, dass die ersten zellulären Unterschiede nicht durch das Ei vorgegeben werden, sondern erst nach einigen Teilungen durch Zell-Zell-Interaktionen auftreten. Und das obwohl auch die Eizelle von Säugern klare Asymmetrien aufweist: So liegt die Eizelle nicht rund in ihrer Schutzhülle, der so genannten Zona Pellucida, sondern wird durch das Produkt einer vorausgegangen meiotischen Zellteilung, dem (ersten) Polkörper, leicht zusammengedrückt. Dadurch vergrößert sich der Raum (Perivitellin-Raum) zwischen Ei und Zona Pellucida um den Polkörper, ähnlich wie beim Aufspannen eines Zirkuszeltes, und wird gleichzeitig auf der gegenüberliegenden Seite kleiner.

Das Erbmaterial der Eizelle befindet sich meistens in einer der durch das Zusammendrücken gebildeten "Schultern" des Eies, direkt unterhalb der Membran. Dies markiert ein kleines Areal, das sich morphologisch und molekular vom Rest des Eies unterscheidet. Es ist verlockend solchen charakteristischen Asymmetrien molekulare Eigenschaften zuzuschreiben, die weitere Entwicklungsschritte regulieren. Gelänge dies eindeutig, so wäre die Säugerentwicklung der Entwicklung anderer Tierarten ähnlicher als bisher angenommen.

Takashi Hiiragi und seine Mitarbeiter am Max-Planck Institut für Immunbiologie in Freiburg konnten nun beobachten, dass bei Mäusen das Ei bevorzugt auf der Hälfte befruchtet wird, auf welcher der Polkörper liegt. In einer Reihe von Versuchen wollten sie herausfinden, ob ein molekularer Gradient (i.e. die unterschiedliche Konzentration einer chemischen Substanz innerhalb der Zelle) entlang der Eizelle der Grund für dieses Phänomen ist.

Entfernt man die Zona Pellucida, dann findet die Befruchtung willkürlich auf der Ei-Oberfläche statt. Eine ungleichmäßige Verteilung von Rezeptoren, die das Spermium binden und verschmelzen lassen, liegt also nicht vor. Die einzige Ausnahme bildet die Membran direkt über dem weiblichen Erbmaterial, wo keine Spermien binden können. Erste Hinweise, dass die beobachtete Präferenz nach dem Durchdringen der Zona Pellucida und vor der Bindung an die Ei-Oberfläche etabliert wird, erhielten die Forscher durch aufwändige Markierungsexperimente. Um diesen Vorgang zu dokumentieren, fertigten sie Zeitrafferaufnahmen der künstlichen Befruchtung von Eizellen an. Diese machten es möglich, dem Spermium auf seinem Weg bis zur Verschmelzung mit dem Ei direkt zu folgen.

Besonders interessant war die Beobachtung, dass das Spermium nach dem Durchdringen der Zona Pellucida für einige Minuten im Perivitellin-Raum umherschwimmt, bevor es an die Membran bindet. Dies weckte die Vermutung, dass die Befruchtung bevorzugt auf der Seite stattfindet, wo der Polkörper liegt, weil dort offensichtlich mehr Platz ist. Die Wahrscheinlichkeit, dass das Spermium sich während des Umherschwimmens dort aufhält, wird dadurch größer. Bestätigt wurde diese Vermutung durch Experimente in denen künstlich der Perivitellin-Raum vergrößert wurde, etwa durch Entnahme eines Teiles des Zytoplasmas oder durch Transplantation eines zusätzlichen Polkörpers. In diesen Fällen war eine gleichmäßige Befruchtung entlang der Oberfläche möglich. "Die asymmetrische Befruchtung der Eizelle bei Mäusen beruht also nicht auf molekularen Asymmetrien innerhalb des Eies, sondern auf einem vergrößerten Freiraum um den Polkörper", erklärt Takashi Hiiragi.

Die Untersuchungen der Freiburger untermauern die Auffassung, dass bei Mäusen die Eizelle keinen Bauplan für die nächsten Entwicklungsschritte vorgibt, und ist von großer Bedeutung für medizinische Anwendungen, wie die in vitro Fertilisierung, bei welcher der Ort, an dem das Spermium in die Eizelle eingebracht wird, mehr oder weniger willkürlich ausgesucht wird.

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