Wie man "Kontakt" hält

Max-Planck-Forschern gelingt erster Einblick in die molekularen Vorgänge, die Synapsen in Form halten

17. Januar 2006

Nervenzellen können über spezielle Verbindungsstellen, die Synapsen, Informationen speichern und untereinander weitergeben. Synapsen entscheiden also mit darüber, was wir uns merken und was nicht. Beim Lernen verändern sich diese Kontaktstellen sowohl in ihrer Struktur als auch in ihren funktionellen Eigenschaften. Die dafür verantwortlichen molekularen Vorgänge sind jedoch nahezu unverstanden. Forscher um Michael Kiebler am Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie in Tübingen (jetzt: Zentrum für Hirnforschung der Medizinischen Universität Wien) haben nun ein Protein identifiziert, dass für die Aufrechterhaltung von Synapsen unverzichtbar ist: Wird in einer Nervenzelle das Staufen2-Protein ausgeschaltet, verliert sie einen großen Teil ihrer Synapsen. Die Signalübertragung an den verbleibenden Kontaktstellen ist darüber hinaus stark beeinträchtigt. Staufen-Proteine sind am Transport von molekularen Blaupausen (Boten-RNA) an spezielle Orte in einer Zelle beteiligt. Das ermöglicht es einer Zelle, Proteine nur dort herzustellen. Weil Synapsen ohne Staufen2-Protein in ihrer Struktur und Funktion gestört sind, liegt es nahe, dass der Transport von Boten-RNA an die Synapse für deren Erhalt und auch für die Speicherung von Gedächtnisinhalten von zentraler Bedeutung ist (Journal of Cell Biology, 17. Januar 2006).

Nervenzellen empfangen Signale von anderen Nervenzellen über weit verzweigte Ausläufer, die Dendriten, die den Ästen eines Baumes ähneln. Die eingehenden Informationen werden im Körper der Zelle verrechnet und über das Axon, einem langen Fortsatz der Zelle, an nachgeschaltete Nervenzellen weitergegeben. Jeder Kontakt zwischen Nervenzellen erfolgt an hoch-spezialisierten Bereichen, den Synapsen. An diesen Kontaktstellen werden Informationen nicht nur passiv weitergegeben. Sie können sich auch - je nach Input - verändern und so neue Gedächtnisinhalte speichern.

Eine Synapse besteht aus zwei Teilen - einer entspringt dem Axon der sendenden Zelle, der andere einem Dendriten der empfangenden Zelle (s. Abb. 1). Beide Teile verfügen über eine spezielle Ausstattung an Molekülen, die sie klar vom Rest der Zelle unterscheiden. Darüber hinaus können diese Kontaktstellen durch eingehende Signale sowohl ihre Struktur als auch ihre Eigenschaften verändern. In Dendriten entstehen diese Veränderungen unter anderem erst dann, wenn bestimmte Proteine an der Synapse hergestellt werden. Wichtige Voraussetzung für diese Proteinsynthese ist jedoch, dass die entsprechenden Boten-RNAs (mRNAs), die Informationen über den Bauplan des zu produzierenden Proteins in sich tragen, tatsächlich zu dieser Synapse gelangen. Dazu müssen diese mRNAs im Zellkörper von speziellen RNA-bindenden Proteinen erkannt und an die unter Umständen sehr weit entfernte Synapse transportiert werden. Das Staufen2-Protein ist an diesem Transportvorgang beteiligt.

Bernhard Götze und Paolo Macchi in der Gruppe von Michael Kiebler konnten nun erstmals nachweisen, dass Staufen2-Protein unverzichtbar für den Erhalt von Synapsen ist. Dazu hatten die Forscher einzelne Proteine in den Nervenzellen ausgeschaltet. Fehlte das Hirn-spezifische Staufen2-Protein, so war die Architektur der Synapsen empfindlich gestört. Statt vieler pilzförmiger Ausstülpungen bildet die Zelle nur wenige lange und dünne Ausläufer (s. Abb. 2), die in ihrer Form unreifen Synapsen ähneln. Eine genauere Analyse des Aktin-Zellskeletts ergab einen ersten Hinweis auf eine mögliche Erklärung für die beobachteten Änderungen an den Synapsen. Aktin ist ein zentrales Protein des Zellgerüsts, das Synapsen ihre Form gibt. Die formlosen Synapsen in Nervenzellen ohne Staufen2-Protein enthalten sehr viel weniger Aktinfäden als die Synapsen in normalen Zellen. Die Boten-RNA für Aktin wird normalerweise in die Dendriten transportiert und zum Teil erst dort in Proteine abgeschrieben. Ist Staufen2 als Transportprotein in der Nervenzelle nicht vorhanden, gelangen weniger Boten-RNA an die Synapsen, was die veränderte Form der Synapsen verursachen könnte.

"Wir wollten deshalb wissen, ob die Signalübertragung in den Zellen auch ohne Staufen2 noch funktioniert", erläutert Michael Kiebler. Um das herauszufinden, arbeiteten die Forscher mit der Arbeitsgruppe von Stefan Boehm am Pharmakologischen Institut der Medizinischen Universität Wien zusammen. Bei der Messung der elektrischen Aktivität einzelner Synapsen stellte sich heraus, dass die Signalübertragung zwischen Zellen ohne das Staufen2-Protein nur noch eingeschränkt funktionierte. "Das war ein wichtiger Hinweis darauf, dass Staufen2 in Nervenzellen für die Ausbildung funktionierender Synapsen unverzichtbar ist," so Kiebler. Seiner Arbeitsgruppe ist es damit zum ersten Mal gelungen, eine Brücke zu schlagen zwischen molekularen Vorgängen im empfangenden Teil einer Nervenzelle und Veränderungen in Struktur und Funktion ihrer Synapsen. Dies könnte zu einem besseren Verständnis der molekularen Mechanismen beitragen, die der zentralen Fähigkeit des Gehirns, zu lernen und sich zu erinnern, zugrunde liegen.

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