Bei Insektenbefall: Wurzeln speichern Zucker für spätere Blütenbildung

Ein Gen gibt attackierten Pflanzen schon eine Stunde nach Raupenfraß das Signal: SOS - Save Our Sugars!

17. August 2006

Sobald der Tabakschwärmer Manduca sexta wilden Tabak (Nicotiana attenuata) anfrisst, fließen Photosyntheseprodukte aus den Blättern vermehrt in die Wurzel. Das haben Wissenschaftler der Max-Planck-Institute in Jena und Golm bei Potsdam und aus dem Forschungszentrum Jülich mit Hilfe radioaktiver Kohlenstoffmarkierung und gentechnisch verändertem Tabak herausgefunden. Fettsäurekonjugate, die Bestandteile des Raupenspeichels sind, lösen diese Notfallmaßnahme in der befallenen Pflanze aus. Daran beteiligt ist das Gen GAL83, das eine Untereinheit eines SNF-1 verwandten Proteins kodiert. Dieses Protein hilft Hefen und Säugetieren vor allem in Notzeiten mit ihren Kohlehydraten zu haushalten. Ökologische Untersuchungen zeigten, dass die gespeicherten Zucker der befallenen Pflanze eine Toleranz gegenüber dem gefräßigen Schädling verliehen: Nach Ende der Blüte bildete die Pflanze vermehrt Früchte und Samen. (PNAS Early Edition, 15. August 2006)

Tabakpflanzen wehren sich mit Nikotin gegen Schädlinge. Schädlinge entwickeln jedoch im Verlauf der Koevolution Resistenzen gegen Pflanzengifte. Zum Beispiel die Raupen des Tabakschwärmers Manducta sexta. Die Wissenschaftler aus der Abteilung von Prof. Ian T. Baldwin am Max-Planck-Institut für chemische Ökologie untersuchten daher, wie gut Tabakpflanzen mit solchen Schädlingen leben können. Tatsächlich gehen diese Pflanzen mit den Fraßfeinden nach einer Maxime Mahatma Gandhis um: "Toleriere den Schaden". Oder aus Sicht der Pflanze: Reguliere die wichtigsten Stoffwechselwege wenigstens so, dass sich der Verlust der Blätter so wenig wie möglich auf das Überleben der Pflanze und die Erhaltung der Art auswirkt.

Der in Nordamerika vorkommende wilde Tabak hat zwar trickreiche Methoden entwickelt, um die Tabakschwärmerraupen abzuwehren. Er kann zum Beispiel Feinde der Raupe anlocken, indem er Duftstoffe abgibt. Doch auch solche Maßnahmen garantieren nicht unbedingt das Überleben der Pflanze, und schon gar nicht, dass sie von Fraßfeinden verschont bleibt. Also haben sich die Pflanzen eine weitere Rückzugsposition geschaffen. Sie können mit wertvollen Nahrungsressourcen hauszuhalten, wenn sie attackiert werden - ähnlich wie dies Menschen in Krisensituationen tun. Wie die Wissenschaftler um Ian T. Baldwin bereits früher herausgefunden hatten, produziert etwa wilder Tabak nur noch wenig Nikotin oder transportiert das Gift zumindest nicht mehr in die befallenen Blätter, wenn ihn Manduca sexta anknabbert - das Gift ist gegen diese Raupe sowieso wirkungslos. Besonders den im Nikotinmolekül enthaltenen Stickstoff kann die Pflanze nun anderweitig und effektiver einsetzen.

Ähnliches scheint auch für den Kohlenstoff zu gelten, den die Pflanze photosynthetisch in Zucker und Stärke als ihre wichtigsten Energiequellen umwandelt. Sobald die Pflanze von Manducta sexta angefressen wird, reguliert sie die Expression eines Proteinkinase-Aktivator Gens (GAL83) stark herunter. GAL83 kodiert eine Untereinheit eines Protein-Komplexes (SNF-1 related kinase), der in Säugetieren und in Hefe die optimale Verwertung von Glukose und anderen Zuckern reguliert, vor allem, wenn Energie knapp ist. Fettsäurekonjugate aus dem Speichel von Manduca sexta lösen diese Maßnahme aus. Die Signalkette ist jedoch noch nicht bekannt, mit der die Pflanze das Notfallmanagement für ihre Zuckervorräte veranlasst.

GAL83 war den Wissenschaftlern ins Netz gegangen, als sie in raupenbefallenen Blättern gezielt die Expression von Genen untersuchten. Sie fanden, dass nur in den durch Insekten attackierten Blättern auffallend wenig Boten-RNA des GAL83 Gens vorlag. In transgenen Tabakpflanzen, in denen das GAL83 Gen ständig herunterreguliert vorliegt, haben sie anschließend denselben Effekt beobachtet wie in unveränderten, aber raupenbefallenen Pflanzen: Zum einen transportierten die Pflanzen mehr Kohlenstoff bzw. Zucker in die Wurzel, andererseits mobilisierten sie diese Vorräte später, um Samen zu bilden.

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