Spermien können rechnen

Das Schwimmverhalten von Spermien hängt davon ab, wie schnell sich die Kalzium-Konzentration in der Zelle ändert

2. März 2012

Spermien haben nur ein Ziel: die Eizelle zu finden. Die Eizelle unterstützt die Spermien bei der Suche, indem sie Lockstoffe aussendet. Kalzium-Ionen bestimmen das Schlagmuster des Schwanzes, mit dem sich das Spermium fortbewegt. Wissenschaftler des Bonner Forschungszentrums caesar, eines Instituts der Max-Planck-Gesellschaft, haben zusammen mit Kollegen vom Max-Planck-Institut für Physik Komplexer Systeme in Dresden und der Universität Göttingen herausgefunden, dass Spermien nur auf Änderungen der Kalzium-Konzentrationen reagieren, nicht aber auf die Kalzium-Konzentration an sich. Möglicherweise führen die Spermien diesen Rechenschritt durch, um auch bei hohen Kalzium-Konzentrationen noch manövrierfähig zu sein.

Auf welchen Schwimmbahnen Spermien dem Lockruf der Eizelle folgen, hängt von der Tierart ab. So schwimmen Spermien von Meeresbewohnern im chemischen Konzentrationsgefälle des Lockstoffes auf gewundenen Bahnen. Der Schwimmstil wird dabei durch die Kalzium-Ionen im Spermienschwanz gesteuert. Bislang ging man davon aus, dass bei hohen Kalzium-Konzentrationen die Spermien peitschenförmig, asymmetrisch schlagen, und die Schwimmbahn stark gekrümmt ist. Bei geringen Kalzium-Konzentrationen dagegen schlägt der Schwanz symmetrisch und die Spermien schwimmen geradeaus. Das Wechselspiel von hoher und niedriger Kalzium-Konzentration treibt die Spermien auf spiralförmigen Schwimmbahnen voran. Experimente an frei schwimmenden Spermien widersprachen jedoch diesem einfachen Modell und gaben den Forschern Rätsel auf.

Den Wissenschaftlern ist es nun gelungen, dieses Rätsel zu lösen. Mit einer raffinierten stroboskopischen Laser-Beleuchtung, wie sie man sie auch aus Diskotheken kennt, konnte der Leiter des Projekts Luis Alvarez die Bewegung eines Spermiums genau verfolgen und gleichzeitig die Änderungen der Kalzium-Konzentration messen. Das Ergebnis war verblüffend: Der Spermienschwanz reagierte nur auf die zeitliche Ableitung der Kalzium-Konzentration. Die absolute Konzentration spielte keine Rolle. Salopp gesagt: Spermien können rechnen! Wie sie das genau machen, ist unklar. Die caesar-Wissenschaftler vermuten, dass Spermien mit Hilfe von zwei Proteinen, die Kalzium binden, sozusagen eine „chemische Ableitung“ bilden.

Wieso führen Spermien eine solch komplizierte Rechenoperation aus, die man erst in der gymnasialen Oberstufe lernt? In der Nähe der Eizelle ist die Konzentration der Lockstoffe und damit auch die Kalzium-Konzentration in den Spermien sehr hoch. Wahrscheinlich ermöglicht der mathematische Trick den Spermien, selbst bei solch hohen Kalzium-Konzentrationen immer noch reagieren zu können.

Neben Kalzium gibt es viele andere Botenstoffe, die Zellfunktionen steuern. Könnte es sein, dass Zellen auch mit anderen Botenstoffen chemische Rechenkünste durchführen? Dieser wichtigen Frage wollen die Bonner Forscher nun nachgehen.

SH/HR

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