Neutronen als Spione in der Nanowelt

Max-Planck-Gesellschaft und TU München starten weltweit einmaliges Neutronenspektrometer an der Forschungs-Neutronenquelle Heinz Maier-Leibnitz in Garching

24. November 2005

Ein neuartiges Neutronen-Röntgen-Reflektometer "N-REX+" wird vom Max-Planck-Institut für Metallforschung in Stuttgart und der Technischen Universität München am Donnerstag, den 24. November 2005, ab 11.30 Uhr an der Forschungsneutronenquelle Heinz Maier-Leibnitz in Garching eingeweiht. Das N-REX+ ("Neutron Reflectometry & X-Rays") und das an der Neutronenquelle bereits in Betrieb genommene TRISP ("Triple axis resonance spin echo spectrometer") sind zwei weltweit einzigartige Neutronenspektrometer, die von den Stuttgarter Max-Planck-Forschern in den vergangenen fünf Jahren konzipiert und an der Neutronenquelle aufgebaut wurden. Die Kosten dafür belaufen sich auf mehrere Mio. Euro. Von diesen HighTech-Messgeräten werden neue Erkenntnisse über Nanomaterialien erwartet, insbesondere über den mikroskopischen Mechanismus der Hochtemperatur-Supraleitung sowie über atomare Prozesse an den inneren Grenzflächen von künstlichen Vielfachschichten und dünnen Filmen. Die beiden Neutronen-Spektrometer sind der experimentelle Dreh- und Angelpunkt der Institutsübergreifenden Forschungsinitiative "Material- und Festkörperforschung mit Neutronen", welche die Max-Planck-Gesellschaft gleichzeitig mit der Einweihung präsentiert. Die Initiative wird von den Stuttgarter Max-Planck-Instituten für Metallforschung und Festkörperforschung koordiniert.

Neue Technologien erfordern es, auch bisher unbekannte Materialien zu entwickeln und deren Eigenschaften und Funktionen auf mikroskopischer und nanoskopischer Ebene zu verstehen. Künftige Materialstrukturen werden immer kleiner und komplexer, bis hin zu atomaren Abmessungen. Dabei geht es um Materialien und Materialkombinationen aus allen Klassen, also Metalle, Halbleiter oder Keramiken bis hin zu organischen und biologischen Materialien. Um die Funktionen derartig komplexer Systeme gezielt manipulieren zu können, müssen die Wissenschaftler zuerst über detaillierte Kenntnisse ihrer chemischen, elektronischen oder magnetischen Strukturen verfügen. Hierbei spielen Neutronen als "Spione in der Nanowelt" eine entscheidende Rolle.

Seit einem Jahr erzeugt die Garchinger Hochflussquelle Neutronen von hoher Brillanz. Sie durchdringen Materie spurlos und völlig zerstörungsfrei. Dabei liefern sie ein detailliertes mikroskopisches Bild vom atomaren Innenleben des durchstrahlten Materials. Insbesondere magnetische Nanostrukturen und strahlungsempfindliche organische und biologische Materialien können geradezu ideal mit Neutronen bis auf die atomaren Strukturen entschlüsselt werden.

Die Neutronenspektrometer N-REX+ und TRISP untersuchen komplexe Festkörperstrukturen und funktionale Dünnfilmsysteme mit einem neuen Analyse-Konzept. Dabei nutzen die Forscher die quantisierte Eigendrehung des Neutrons ("Spin"), dessen Drehgeschwindigkeit man durch ein äußeres Magnetfeld präzise einstellen kann. Prof. Helmut Dosch, Koordinator des Forschungsprojektes, meint dazu: "Jedem Neutron wird mit dem Spin auf seiner Reise durch die Nanowelt eine individuelle Uhr auf den Weg gegeben, die man am Ende der Reise, wenn also das Neutron detektiert wird, wieder auslesen kann. Damit lassen sich kleinste Ablenkungen und Geschwindigkeitsänderungen des Neutrons nachweisen, aus denen man dann wiederum auf Struktur und Eigenschaften des untersuchten Materials schließen kann."

In der neuen Forschungsinitiative arbeiten mehrere Max-Planck-Institute Hand in Hand, um die schwierigen Probleme bei diesen Messungen effizient zu lösen: Die beiden Spektrometer sind von den Stuttgarter Max-Planck-Instituten für Metallforschung und für Festkörperforschung installiert worden. Zusammen mit den Max-Planck-Instituten für Polymerforschung (Mainz), für Grenzflächen- und Kolloidforschung (Golm), für Plasmaforschung (Garching), für die chemische Physik fester Stoffe (Dresden) und für Eisenforschung (Düsseldorf) sollen in den nächsten fünf Jahren die ersten entscheidenden Experimente in Garching durchgeführt werden.

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