Nachbarschaftshilfe im Gehirn
Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für experimentelle Medizin klären die Funktion von Cholesterin in den Myelinmembranen der Nervenfasern
Welche Funktion übt Cholesterin in den Myelinmembranen aus? Dieser Frage sind jetzt Forscher vom Göttinger Max-Planck-Institut für experimentelle Medizin nachgegangen. Myelin umhüllt als dicht gepackter Membranstapel Nervenfasern und bewirkt so deren elektrische Isolation. An gentechnisch veränderten Mäusen konnten die Neurogenetiker beweisen, dass der Einbau von Cholesterin für die Bildung von Myelin unentbehrlich ist. Das fast vollständige Fehlen von Myelin in den mutanten Versuchstieren führte zu ständigem Zittern und Koordinationsstörungen und bei einem Drittel der Mutanten sogar zum Tod. (Nature Neuroscience, April 8 (4):468-75. 2005).
Zu wissen, wie Cholesterin in den verschiedenen Organen des Körpers wirkt und wie seine Selbstregulation im Organismus, die so genannte Homöostase, bewerkstelligt wird, ist eine essenzielle Frage bei der Suche nach Risikofaktoren für die Entstehung von Krankheiten, wie zum Beispiel Arteriosklerose. Ein gestörter Cholesterinstoffwechsel wird auch in Verbindung zum Schlaganfall und zum Morbus Alzheimer gebracht. Defekte führen ebenfalls zu schwerwiegenden Krankheiten (Smith-Lemli-Opitz-Syndrom, Niemann-Pick-Syndrom).
Cholesterin wird in allen Organen gebildet und ist im gesamten Körper zu finden. Ein Drittel des Cholesterins wird über die Nahrung aufgenommen, zwei Drittel hingegen stellt der Körper selbst her. In Säugetieren enthält jede Membran eine spezifische Menge an Cholesterin. Diese beeinflusst ihre physikalischen und biologischen Eigenschaften. Normalerweise sind daher die Bildung und Verteilung von Cholesterin strikt reguliert.
Das Gehirn hat hierbei eine Sonderstellung: Es synthetisiert sein gesamtes Cholesterin eigenständig und ist somit vollkommen unabhängig vom Cholesterinstoffwechsel des übrigen Körpers, also auch von der Nahrung. Überdies ist das Gehirn das cholesterinreichste Organ des menschlichen Körpers. Im Gehirn ist Cholesterin in den Nervenhüllen der weißen Substanz, die auch als Myelin bezeichnet werden, besonders stark angereichert. Myelin wird im zentralen Nervensystem von einem speziellen Zelltyp hergestellt, den so genannten Oligodendrozyten. Es entsteht vorwiegend während der ersten Lebenswochen. Myelin umhüllt als dicht gepackter Membranstapel Nervenfasern und bedingt so deren elektrische Isolation. Dies ermöglicht unter anderem eine effiziente Kontrolle der Körperhaltung, genauso wie es höhere Denkleistungen gewährleistet
An gentechnisch veränderten Mäusen konnten die Göttinger Max-Planck-Neurogenetiker nun beweisen, dass der Einbau von Cholesterin für die Bildung der Myelinmembranen unentbehrlich ist. Das fast vollständige Fehlen von Myelin in den mutanten Versuchstieren führt zu ständigem Zittern und Koordinationsstörungen und bei einem Drittel der Mutanten sogar zum Tod.
Bei ihrer Studie entdeckten die Forscher einen bis jetzt unbekannten Mechanismus in den Oligodendrozyten der mutanten Mäuse: Die mutanten Oligodendrozyten, deren Cholesterinsynthese genetisch unterbunden wurde, mussten "von außen" Cholesterin aufnehmen, anstatt wie üblicherweise ihren großen Bedarf an Cholesterin durch Eigenproduktion zu decken.
Dieser Service der Cholesterinbeschaffung wird von anderen Zellen des Gehirns geleistet, die nicht genetisch verändert wurden. Die Versorgung der Oligodendrozyten mit Cholesterin ist dabei sogar so immens, dass sich die Myelinausstattung der Mutanten mit fortschreitendem Alter weitgehend normalisierte. Durch gehirninterne Umverteilung der Cholesterinproduktion konnten die Versuchstiere ihren schweren genetischen Defekt mit der Zeit überwinden.
Mit ihren Mausmutanten können die Max-Planck-Wissenschaftler nun systematisch die biologische Funktion von Cholesterin im lebenden Organismus erforschen.