Forschungsbericht 2011 - Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht

Das Recht von Post-Konflikt-Gesellschaften

Autoren
Grote, Rainer
Abteilungen
Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht
Zusammenfassung
Ein Forschungsprojekt am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht untersucht den Beitrag des Verfassungsrechts zur Herstellung stabiler Verhältnisse in Post-Konflikt-Staaten. Was können Verfassungen zur Integration leisten? Eignen sich rechtsvergleichend erarbeitete, verfassungsrechtliche Lösungsansätze, um Konflikte zu lösen? Erkenntnisse Die Erkenntnisse fließen in die vom Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht durchgeführten Beratungs- und Kooperationsprojekte unter anderem in Afghanistan, Irak, Sudan und Somalia ein.

Die Rolle des Verfassungsrechts in Post-Konflikt-Gesellschaften

Das Forschungsprojekt „Das Recht von Post-Konflikt-Gesellschaften“ untersucht, welchen Beitrag das Recht, vor allem das Verfassungsrecht, leisten kann, um stabile Verhältnisse in sogenannten Post-Konflikt-Staaten zu schaffen, das heißt Staaten, deren bisherige Ordnung durch Krieg oder Bürgerkrieg zerstört worden ist. Was können Verfassungen im Hinblick auf Integration leisten? Inwiefern eignen sich rechtsvergleichend gewonnene verfassungsrechtliche Lösungsansätze, um konkrete Konflikte zu überwinden?

Das Recht ist für die Stabilisierung von Post-Konflikt-Staaten in verschiedener Hinsicht wichtig: Etwa bei der Frage, ob föderale Staatsmodelle geeignet sind, asymmetrische Macht- und Ressourcenverteilungen zwischen den verschiedenen Gruppen zu beseitigen, oder wenn es darum geht, integrative zentralstaatliche Leitungsstrukturen zu schaffen, indem politische, religiöse oder ethnische Minderheiten einbezogen werden. Andere Aspekte betreffen die Menschenrechts- und Minderheitenschutzkonzeptionen von Verfassungen, die Ahndung schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen der Vergangenheit, die verfassungsrechtliche Auseinandersetzung mit der Religion als identitätsstiftendem Faktor und die verfassungskräftige Anerkennung von kulturellen Unterschieden als Voraussetzung eines friedlichen staatlichen Zusammenlebens.

„Darfur Peace Dialogue“: Förderung des Dialogs

Das Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht hat in der jüngeren Vergangenheit eine Reihe von Wissenstransferprojekten insbesondere in Afghanistan, Irak, Somalia und im Sudan durchgeführt, bei denen die stabilitätssichernden Funktionen des Rechts eine zentrale Rolle spielten. Im Rahmen des „Darfur Peace Dialogue“ unterstützt das Institut in Zusammenarbeit mit lokalen Partnern und mit Mitteln des Auswärtigen Amtes und der Max-Planck-Gesellschaft den internen Dialog der Zivilgesellschaft Darfurs. Ziel ist, zu einer dauerhaften und friedlichen Lösung des Konflikts in Darfur sowie zwischen den Darfuris und der Regierung des Sudan beizutragen.

Auf mehreren Symposien mit Juristen, Akademikern und Vertretern der Zivilgesellschaft aus Darfur entstand das „Heidelberg Darfur Dialogue Outcome Document“. Hierbei handelt es sich um einen umfassenden Entwurf für einen zukünftigen Friedensvertrag, der nicht nur die komplexen Hintergründe des Konflikts berücksichtigt, sondern auch die in Darfur praktizierten Rechtsgebräuche und -vorstellungen integriert und zugleich einen Verfassungsentwurf für die Region Darfur darstellt. Damit liegt ein Konzept vor, mit dem sich die Zivilgesellschaft in die Debatte der Kriegsparteien einbringen kann. Das Dokument sieht die Möglichkeit vor, für einen Übergangszeitraum eine autonome Region Darfur mit eigenen Kompetenzen und Institutionen als zusätzliche staatliche Ebene einzurichten, deren innere Ordnung auf den Grundsätzen der Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und guten Regierungsführung beruht. Es fasst zudem die Möglichkeit ins Auge, für die Region Darfur eine besondere Vertretung in der Zentralregierung in Gestalt eines zweiten Vizepräsidenten oder eines speziellen Beraters des sudanesischen Staatspräsidenten zu schaffen. Der Marginalisierung Darfurs in den zentralstaatlichen Organen soll durch eine adäquate Präsenz von Darfuris auf allen Regierungsebenen, in der staatlichen Zentralverwaltung und im Militär begegnet werden.

Das Institut unterstützt aber auch die sudanesischen und südsudanesischen Institutionen bei der Bewältigung der Probleme, die sich aus der Trennung des Südsudan vom Sudan ergeben. Voraussetzung für einen geordneten Übergang in die Zweistaatlichkeit waren transparente und stabile juristische Rahmenbedingungen bei der Durchführung des Unabhängigkeitsreferendums. Auf Workshops und in Schulungsprogrammen mit nord- und südsudanesischen Juristen wurden daher eingehend die rechtlichen Grundlagen des Referendums diskutiert. Auch die verfassungsrechtlichen und völkerrechtlichen Konsequenzen einer Abspaltung des Südens wurden dabei erörtert.

Nach dem überwältigenden Erfolg des Unabhängigkeitsreferendums wurden diese Bemühungen fortgesetzt: Nun ging es darum, den Südsudan bei der Schaffung der verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für eine unabhängige staatliche Existenz zu unterstützen. Das Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht lud Repräsentanten aus dem Südsudan nach Heidelberg ein, um in einem Forum aus hochrangigen Rechtsexperten über die südsudanesische Verfassungsordnung zu diskutieren. Auf der Konferenz überarbeiteten Mitglieder der südsudanesischen Judikative, insbesondere Richter des Supreme Court, und Mitglieder des südsudanesischen Parlaments die Interimsverfassung des Südsudan von 2005 (Interim Constitution of South Sudan). Sie erörterten eine Reihe von Änderungsvorschlägen, die vor allem darauf abzielten, die Souveränität des Staates im Verfassungstext abzubilden und alle Kompetenzen der nationalen Ebene auf die südsudanesische Regierung zu übertragen.

Recht und politischer Umbruch in Nordafrika

Das Institut beschäftigt sich ferner intensiv mit den verfassungsrechtlichen Implikationen des politischen Umbruchs in den Staaten Nordafrikas und des Nahen Ostens, der unter dem Namen „Arabischer Frühling“ eine breite Aufmerksamkeit in den Medien gefunden hat. Zu diesem Zweck wurde 2011 das Rahmenprojekt „Constitutional Reform in Arab Countries“ (CRAC) ins Leben gerufen. Mitarbeiter des Instituts beobachten und analysieren die völker- und verfassungsrechtlichen Entwicklungen, die sich aus dem Arabischen Frühling ergeben. Das Institut beschäftigt sich schon seit Längerem mit dem arabischen Rechtsraum: Das CRAC-Projekt beobachtet nun die Transformationsprozesse in Ägypten, Algerien, Bahrain, Irak, Jemen, Jordanien, Katar, Libanon, Libyen, Mauretanien, Marokko, Oman, den Palästinensischen Autonomiegebieten, Saudi-Arabien, Sudan, Syrien und Tunesien. Geschwindigkeit und Tiefe des Transformationsprozesses variieren von Land zu Land. Alle Protestbewegungen eint die Forderung nach grundlegenden Verfassungsreformen. Hier setzt das Projekt an. Es enthält eine Monitoring-Komponente sowie eine die Prozesse analysierende und aktiv begleitende Dimension.

Im Februar 2012 fand eine internationale Konferenz statt, auf der die im Verlauf der Transformationsprozesse zutage getretenen Probleme in staatsrechtlicher und verfassungsstruktureller Hinsicht diskutiert wurden. Ziel war, das Verständnis der staatlichen wie auch der zivilgesellschaftlichen Akteure für die besonderen Anforderungen legitimitätsstiftender Verfassungsgebungsprozesse zu schärfen, und damit die Akzeptanz internationaler Standards in der Region zu fördern.

Wissenstransfer und Grundlagenforschung

Die Durchführung der verschiedenen Beratungs- und Monitoring-Projekte befruchtet die Arbeit des Instituts im Bereich der Grundlagenforschung in vielfältiger Weise. Im Mai 2011 etwa organisierte das Institut zusammen mit dem Sonderforschungsbereich 700 des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung, der sich mit Räumen begrenzter Staatlichkeit befasst, und dem „WZB Rule of Law Center“, das in rechts- und politikwissenschaftlicher Perspektive das Problem der Voraussetzungen legitimer politischer Herrschaft untersucht, eine internationale Konferenz zum Thema „Decision-Making on Pluralist Normative Grounds“. Hier ging es um das Verhältnis zwischen traditionellen Methoden und Institutionen der Streitschlichtung, die in vielen ländlichen Gebieten Afrikas und Asiens nach wie vor dominieren, und den Konfliktbeilegungsmechanismen moderner Rechtssysteme westlicher Prägung.

Am Beispiel der Länder Afghanistan, Pakistan, Südafrika und Südsudan wurde erörtert, ob die erwähnte Pluralität der Streitbeilegungsmechanismen eher die Normen der betreffenden Gesellschaften zersplittert oder vielmehr stabilitätsfördernd wirkt. Im Vordergrund standen dabei die örtlichen Entscheidungsträger. In mehreren Diskussionsrunden erörterten Vertreter der ganz unterschiedlichen traditionalen Streitschlichtungseinrichtungen und der staatlichen Gerichtsbarkeit mit den deutschen Teilnehmern das Für und Wider eines Nebeneinanders von traditionalen und modernen Streitbeilegungsmechanismen. Die Diskussionen haben nicht nur das Verständnis für das Wesen nicht staatlicher Streitbeilegungseinrichtungen gefördert und ihre Zukunftsperspektiven aufgezeigt, sondern auch die ganz unterschiedliche Dynamik kolonial geprägter und nicht kolonialisierter, afrikanischer und asiatischer, muslimischer und nicht muslimischer Gesellschaften verdeutlicht.

Aus der Beschäftigung mit der Rolle des Rechts bei der Befriedung von Post-Konflikt-Gesellschaften ist eine ganze Reihe von Einzelprojekten der beteiligten Wissenschaftler hervorgegangen. Dissertationen, Aufsätze und Tagungsbände behandeln spezifische Aspekte dieser Problematik: etwa die kollektive Staatsführung als Instrument des Interessenausgleichs in Post-Konflikt-Staaten, den multiethnischen Staat und seine Integrationsstrategien gegenüber ethnischen Minderheiten in Afrika oder das Verhältnis zwischen Shari’a und völkerrechtlichen Verpflichtungen in der höchstrichterlichen Entscheidungspraxis ausgewählter islamischer Staaten.

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