Heißes Molekül erklärt kalte Chemie

Forscher lösen Rätsel um energiereiche Moleküle in interstellaren Wolken

25. Januar 2012

In kalten interstellaren Gaswolken kommen Blausäure und die wesentlich energiereichere Isoblausäure überraschenderweise in nahezu gleichen Mengen vor. Wie es dazu kommt, haben Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Kernphysik mit Experimenten im Heidelberger Ionenspeicherring aufgeklärt. Bei der interstellaren Synthese entsteht zunächst eine heiße Mischform, aus der beide Isomere gleich häufig hervorgehen.

Wenn sich aus kalten Gaswolken Sterne bilden, finden sich in den Wolken bereits viele Moleküle, die aus wichtigen Grundelementen bestehen, nämlich Wasserstoff, Kohlenstoff, Stickstoff und Sauerstoff bis hin zu Schwefel. Mit empfindlichen neuen Observatorien lassen sich die Fingerabdrücke vieler dieser Moleküle im Licht und in der Radiostrahlung der Gaswolken identifizieren. Dabei zeigt sich, dass die Atome in den interstellaren Molekülen nicht immer in der energetisch günstigsten Anordnung vorliegen.

Manche der beobachteten Verbindungen werden in verwandten Formen (Isomeren) gefunden, die durch Platzwechsel einzelner Atome innerhalb des Moleküls entstehen können. Für solche Platzwechsel muss jedoch eine erhebliche Energie aufgewendet werden, die Temperaturen von vielen tausend Grad erfordert.

Eines dieser Moleküle ist Blausäure (HCN – das Wasserstoffatom ist an das Kohlenstoffatom gebunden), deren wesentlich energiereicheres Isomer Isoblausäure (HNC – das Wasserstoffatom ist an das Stickstoffatom gebunden) sich etwa genauso häufig findet wie Blausäure, die bei den tiefen Temperaturen im freien Raum eigentlich weit überwiegen sollte.

Schon lange vermuten die Forscher, dass letztlich die ionisierende Strahlung, die das Weltall durchdringt, diese oft sehr energetischen Isomere hervorbringt. Hierbei bildet sich auf einem verschlungenen Weg zuerst ein symmetrischer Vorläufer, das Ion HCNH+. Trifft ein HCNH+-Ion mit einem Elektron zusammen, wird es neutralisiert und zerfällt in Bruchstücke, wobei Energie frei wird. Auf diesem Weg ist die Bildung beider Isomere möglich.

Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Kernphysik haben nun diese elementare Aufbruchreaktion im Labor genau vermessen – unter Bedingungen, die denen in interstellaren Wolken sehr nahe kommen. Im Heidelberger Ionenspeicherring brachten sie Elektronen und DCND+-Ionen (Varianten des HCNH+ mit schwerem Wasserstoff, D = Deuterium) einzeln zum Stoß, und zwar bei extrem geringen Stoßenergien; sie entsprechen in interstellaren Wolken einer Temperatur von rund minus 260 Grad Celsius.

Mit einem kürzlich entwickelten großflächigen Detektor bestimmten die Forscher die Orte und die Teilchenmassen der Fragmente D und DCN sowie DNC. Nur so ließ sich sicherstellen, dass im Experiment immer nur genau der Aufbruch in zwei Teilchen registriert wurde. Eine Unterscheidung zwischen den beiden Isomeren des Produktmoleküls war zwar nicht möglich, dafür aber konnte die Bewegungsenergie der Bruchstücke genau bestimmt werden.

Hierbei beobachteten die Forscher, dass die freigesetzte Bewegungsenergie viel geringer war als erwartet. Die fehlende Energie kann nur im Produktmolekül stecken und ist extrem hoch – das Molekül ist also „heiß“, wie auch von einigen Theoretikern vorhergesagt. Das bedeutet jedoch, dass in dem heftig schwingenden Produkt der kalten Reaktion immer noch häufige Platzwechsel von Atomen möglich sind.

Das in interstellaren Gaswolken gebildete Molekül kann daher beide geometrischen Formen annehmen, während es seine hohe innere Energie allmählich – ähnlich wie eine langsam erlöschende Glühbirne – in die Umgebung abstrahlt. In etwa der Hälfte aller Fälle entsteht dabei das energiereiche Isomer. Sein Auftreten in den kalten interstellaren Molekülwolken spiegelt also, wie jetzt im Labor belegt, seinen dortigen Entstehungsprozess durch einen weiten Umweg über ionisierende Strahlung wider.

GH / HOR

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