Forschungsbericht 2011 - Max-Planck-Institut für Chemie

Untersuchungen zur Rolle der Vegetation beim Austausch von Stickstoffdioxid mit der Atmosphäre

Autoren
Kesselmeier, Jürgen
Abteilungen
Biogeochemie (Meinrat O. Andreae)
Zusammenfassung
Der Austausch von Stickstoffdioxid (NO2) zwischen Vegetation und Atmosphäre wurde an insgesamt sechs Baumspezies unter kontrollierten Laborbedingungen und an zwei Spezies im Freiland untersucht. Die Aufnahme ist stark korreliert mit der stomatären Öffnungsweite (Leitfähigkeit) von Pflanzen. Bei Stomataschluss findet keine Deposition statt. Die Aufnahmeraten sind linear abhängig von der NO2-Außenkonzentration. Die Ergebnisse sprechen gegen die Existenz eines Kompensationspunktes für natürliche Ökosysteme und für die eindeutige Rolle der Vegetation als Senke für dieses Spurengas.

Stickstoff im Kreislauf zwischen Atmosphäre und Biosphäre

Stickstoff ist ein essentieller Baustein für Proteine in allen Lebewesen. Seine Verfügbarkeit ist abhängig von einem Zyklisierungsprozess in einem engen Wechselspiel zwischen der Atmosphäre, mikrobiologischen und pflanzenphysiologischen Vorgängen (Abb. 1). Stickstoff in seiner molekularen und freien Form (N2) ist mit 78% wesentlicher Bestandteil der Luft. Die biologische Fixierung des Luftstickstoffs erfolgt durch freilebende Cyanobakterien (prokaryotische Mikroorganismen) sowie durch sogenannte Knöllchenbakterien, die in einer engen Symbiose in den Wurzeln von Leguminosen (Hülsenfrüchtler) leben. Beide Gruppen zeichnen sich durch den Besitz des Enzyms Nitrogenase aus. Diese Mikroorganismen liefern höheren Pflanzen Ammonium (NH4+) und auch Aminosäuren. Ammonium kann aber auch durch eine weitere Gruppe von Mikroorganismen oxidiert werden, wobei über flüchtiges Stickstoffmonoxid (NO) sowohl Nitrit (NO2-) als auch Nitrat (NO3-) synthetisiert werden. Dieser Vorgang wird als Nitrifizierung bezeichnet. Das Nitrat kann dann durch Pflanzen über die Wurzel aufgenommen und nach Reduktion zu Ammonium in organische stickstoffhaltige Verbindungen eingebaut werden. Alle diese Schritte münden in einem Pool von organischen N-Verbindungen, der wiederum einem Abbau durch Tiere und Mikroorganismen unterliegt. Nitrat kann aber auch über die Denitrifikation durch Mikroorganismen wieder zu Nitrit, NO und N2O und schließlich zu molekularem Stickstoff reduziert werden, womit sich der Stickstoffkreislauf schließt. Einen wesentlichen Eingriff in diesen Kreislauf stellte das von Fritz Haber und Carl Bosch entwickelte Verfahren dar [1], mit dem unter hohem Druck und hohen Temperaturen aus N2 und H2 Ammoniak (NH3) synthetisiert werden kann. Mit diesem Verfahren war der Mensch in der Lage, das Pflanzenwachstum unter Zufuhr von Kunstdünger zu steigern. Die anthropogene Stickstoffzufuhr hat heute Ausmaße erreicht, die die natürliche Stickstofffixierung deutlich überschreiten. Das in Böden durch Nitrifizierung und Denitrifizierung gebildete Stickstoffmonoxid (NO) als auch das Treibhausgas Distickstoffoxid (N2O, auch als Lachgas bezeichnet) kann in die Atmosphäre entweichen. Von besonderem Interesse ist dabei der Stickstoffverlust für ein Ökosystem wie zum Beispiel einen Wald. Dabei muss man berücksichtigen, dass das sehr reaktive NO in Anwesenheit von Ozonmolekülen, also guter Durchmischung der Waldluft, noch in den untersten Luftschichten im Wald sehr schnell und vollständig zu NO2 oxidiert wird [2]. Vor dem Hintergrund des Stickstoffbedarfs eines Waldes unter natürlichen Bedingungen ist es von großem Interesse, die Aufnahme von Stickoxiden durch die Vegetation zu charakterisieren und zu verstehen.

Mechanismen der Aufnahme von Stickstoffdioxid durch die Vegetation

Die Rolle von Wäldern als Senke für NO2 ist seit vielen Jahren Gegenstand der Forschung. Als Mechanismen für diese Assimilation werden sowohl die Disproportionierung des NO2 im pflanzlichen Apoplast, also der Gesamtheit aller Zellwände und den Zellzwischenräumen, zu NO2- und NO3- als auch die Umwandlung zum NO2- durch den Radikalfänger Ascorbat diskutiert [3]. Die Folgeprodukte können dann durch die Nitrit- und Nitratreduktase verstoffwechselt werden. Der Metabolismus erscheint also ausreichend verstanden. Im Gegensatz dazu ist der Aufnahmeprozess selbst bis heute Gegenstand intensiver Untersuchungen. Es erscheint gesichert, dass die Aufnahme über die pflanzlichen Spaltöffnungen erfolgt, aber die Diskussionen um ein Wechselspiel zwischen Aufnahme und Abgabe dauern an. Solch ein potentieller bi-direktionaler Austausch unterliegt einer messtechnisch erfassbaren Größe, dem Kompensationspunkt. Ein Kompensationspunkt beschreibt die Situation, bei der sich Aufnahme und Emission die Waage halten, also die enzymatische Assimilationsrate einer simultanen Produktionsrate entspricht, wobei der Austausch dann bei Null liegt [4]. Verschiedene Arbeiten berichten über NO2 Kompensationspunkte im Bereich von 0,1 bis 3,2 ppb, was aber im Fall der höheren Werte bedeuten würde, dass ein Wald eine kontinuierliche Quelle von NO2 darstellen würde. Vor diesem Hintergrund haben Lerdau et al. [5] die Existenz eines Kompensationspunktes in Frage gestellt.

Spezifische Messmethoden

Wir konnten in den letzten Jahren den Austausch von NO2, unbeeinflusst von Wechselwirkungen mit anderen N-Verbindungen, mithilfe eines hochspezifischen und sehr empfindlichen Gerätesystems (Photolytischer Konverter, PLC 762, in Kombination mit einem Gerät zur Bestimmung der Chemilumineszenz des NO, CLD 780 TR, beide Eco Physics, Schweiz) untersuchen. Verschiedene europäische Baumspezies wurden unter kontrollierten Bedingungen in einem Klimaschrank unter Verwendung von dynamischen Küvetten verschiedenen NO2-Konzentrationen ausgesetzt und der Austausch in Abhängigkeit von der Konzentration und der stomatären Öffnungsweite (Leitfähigkeit) bestimmt. Zusätzlich wurden Messungen unter Freilandbedingungen in die Untersuchungen einbezogen [6,7]. Alle Arbeiten wurden durch Messungen der CO2-Assimilation und Transpiration begleitet. Die chemischen Umsetzungen der Stickoxide während der Messungen unter Freilandbedingungen wurden rechnerisch in Relation zur Ozonkonzentration korrigiert, so dass bei Ermittlung der Austauschraten ein Einfluss von UV-induzierten photochemischen Reaktionen der Triade NO2-NO-O3 ausgeschlossen werden konnte.

Laboruntersuchungen zeigen ausschließlich eine Aufnahme von NO2

In enger Übereinstimmung mit Gut et al. [8] und Eller und Sparks [9] fanden wir in allen Fällen eine klare Abhängigkeit des NO2-Austausches von der stomatären Öffnungsweite. Die durch das Hormon Abscisinsäure induzierte Schließung der Stomata wurde begleitet von einer linearen Abnahme der NO2-Aufnahme bis zum Nullpunkt. Auch die Verringerung der maximalen Aufnahmeraten unter höheren Lichtstärken konnte klar mit einer geringeren Stomataöffnung unter erhöhten Blatttemperaturen erklärt werden. Unter Laborbedingungen konnten wir bei keiner der fünf untersuchten Baumspezies einen Kompensationspunkt finden (Abb. 2). Es wurde keinerlei Emission beobachtet. Im Bereich des 95%igen Vertrauensbereichs wurde kein Schnittpunkt der Regressionsgeraden mit der x-Achse gefunden. Bei Einbeziehung des 95%igen Vorhersageintervalls wäre ein Kompensationspunkt <1 ppb vorstellbar. Allerdings spricht das Fehlen von Emissionen dagegen. Konsequenterweise stellen wir die Existenz eines Kompensationspunktes bei den untersuchten Spezies in Frage.

Felduntersuchungen lassen kaum Raum für einen Kompensationspunkt

Messungen unter Feldbedingungen an zwei Baumspezies bestätigen den Eindruck der Laboruntersuchungen. Abbildung 3 zeigt die NO2-Austauschraten nach rechnerischer Korrektur der chemischen Vorgänge in Korrelation zu den gemessenen Außenkonzentrationen in der Pflanzenküvette. Bei beiden Baumspezies (Picea abies, Fichte und Quercus robur, Stieleiche) zeigten sich auch unter diesen Feldbedingungen die deutliche Abhängigkeit der Austauschraten von der stomatären Leitfähigkeit. Die Abbildung zeigt die Messdaten bei entsprechend gut geöffneten Stomata (Leitfähigkeit gH2O = 45–58 mmol m-2 s-1; projizierte Blattfläche). Für diese Bedingungen zeigte die Stieleiche einen Kompensationspunkt im Bereich von 0–1 ppb (95%iger Vertrauensbereich). Es ist auffällig, dass die Fichte im Vergleich mit der Stieleiche um den Faktor zehn niedrigere Austauschraten zeigt, was die erforderliche hohe Genauigkeit der Messungen verdeutlicht. Aber auch hier wurde ein relativ niedriger Wert für einen Kompensationspunkt im Bereich von 0–1,2 ppb festgestellt.

Wir gehen davon aus, dass sich durch unsere hochspezifischen Messungen Interferenzen mit anderen Spurengasen ausschließen lassen und dass die rechnerische Korrektur der Messdaten unter Feldbedingungen eine absolut notwendige Maßnahme für die Gewinnung glaubwürdiger Daten ist. Vor diesem Hintergrund lassen unsere Daten im Gegensatz zu zahlreichen Untersuchungen die Existenz eines Kompensationspunktes für den NO2-Austausch unwahrscheinlich erscheinen und unterstützen die Vermutungen von Lerdau et al. [5]. Wir gehen davon aus, dass ein Waldökosystem eine Senke für NO2 darstellt und sich auf diese Weise den Bedarf an essentiellem Stickstoff sichert. Dieses Phänomen kann von herausragender Bedeutung für natürliche Ökosysteme sein, da auf diese Weise kaum Stickstoff an die Atmosphäre verloren geht.

Ertl, G.
Primary steps in catalytic synthesis of ammonia
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Eddy covariance measurements of nitric oxide flux within an Amazonian rain forest
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The dynamic chamber method: trace gas exchange fluxes (NO, NO2, O3) between plants and the atmosphere in the laboratory and in the field
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Exchange fluxes of NO2 and O3 at soil and leaf surfaces in an Amazonian rain forest
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Eller, A. S. D.; Sparks, J. P.
Predicting leaf-level fluxes of O3 and NO2: the relative roles of diffusion and biochemical processes
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