Forschungsbericht 2011 - Fritz-Haber-Institut der Max-Planck-Gesellschaft

Die Chemie als wissenschaftliche Grundlage der Energiewende 

Chemistry's stategic role in the energy challenge

Autoren
Schlögl, Robert
Abteilungen
Anorganische Chemie (Robert Schlögl)
Zusammenfassung
Die politisch eingeleitete Energiewende verlangt nicht nur technologische und ökonomische Anstrengungen. Vielmehr zeigt eine wissenschaftliche Bestandsaufnahme, dass wir derzeit nicht über die grundlagenwissenschaftlichen Erkenntnisse verfügen, um das Energiesystem nachhaltig auf regenerative Primärenergie umzustellen. Der Beitrag skizziert den Stand der Überlegungen und aktuelle Forschungsergebnisse aus der Abteilung Anorganische Chemie des Fritz-Haber-Institutes.
Summary
The German "Energiewende" requires substantial technological and economic efforts. The objective of replacing nuclear energy by regenerative sources is not feasible without solving the challenge of energy storage in grid dimensions. We lack fundamental knowledge to design sustainable processes of the scale necessary. The contribution gives some conceptual insight and illustrates research at the department Inorganic Chemistry of the Fritz Haber Institute.

Die Energiewende des Jahres 2011 ist als ein starker Impuls zum ohnehin nötigen Umbau des Energiesystems zu sehen. Bei der nun anstehenden Umsetzung stellt man fest, dass mehrere Jahrzehnte Zeit erforderlich sein werden und dass sogar erhebliche Teile eines skalierbaren nicht-fossilen Energiesystems weder technologisch, noch von den Grundlagen her existieren [1]. Die Wende ist somit nicht nur ein Imperativ zum Ausbau regenerativer Technologien und zum Sparen von Energie. Vielmehr ist die Wende eine Herausforderung für die Grundlagenforschung, ohne deren Ergebnisse regenerative Energie nicht als vollwertiger Ersatz für die fossilen Energieträger und die Kernspaltungsenergie dienen kann.

In Abbildung 1 sind einige Fakten zur Struktur der Energieversorgung zusammengefasst. Im Primärenergiemix für Deutschland fällt auf (Abb. 1(A)), dass die regenerativen Energien stark zunehmen und den Gesamtenergieverbrauch, der leicht steigt, von Zuwächsen fossiler Träger entlastet. Der Anteil der Kernspaltungsenergie scheint gering, verdoppelt aber sein Gewicht wenn man den Einsatz von Primärenergie für die Stromerzeugung alleine betrachtet. Die Wende sieht nun vor, in 10 Jahren den Nuklearanteil stufenweise auf Null zu bringen und die Lücke vor allem durch regenerative Energie und durch Sparen auszugleichen.

Dies dürfte nur begrenzt möglich sein, da einmal der Ausbau der Strominfrastruktur mit regenerativen Primärerzeugern nicht so schnell vorankommt und da zum Anderen regenerative Energiewandler nur eine vergleichsweise geringe Jahresdauerleistung (typisch 950–2.500 h/a) im Vergleich zu Kernkraftwerken (typisch 7.000 h/a) aufweisen. Selbst wenn man die entsprechende Kapazität ausbaut, so gibt es das Phänomen der "dunklen Flaute", das sind Zeiten, zu denen sehr wenig oder keine regenerative Energie verfügbar ist und gespeicherte Energie in Dimensionen der Netzauslastung gebraucht wird. Hier liegt ein zentrales Problem der gegenwärtigen Planungen, welches durch zusätzliche Kraftwerke, die mit fossilen Trägern betrieben werden, ausgeglichen wird. Damit entsteht ein zusätzlicher CO2 Ausstoß in Höhe von ca. 50–100 Mio t/a, der dem ebenfalls angestrebten Ziel der Treibhausgasminderung durch das Energiekonzept der Bundesregierung entgegen wirkt.

Der Umbau des deutschen Energiesystems ist mit erheblichen Kosten verbunden. Die Größenordnung lässt sich aus den Daten der Abbildung 1(B) zu etwa einem Bundeshaushalt in 20 Jahren abschätzen. Alleine daher werden sich erheblich längere Zeiträume für die Energiewende ergeben als heute angenommen wird. Die Lücke dürfte mit fossiler Zusatzfeuerung ausgefüllt werden. Erschwerend kommt hinzu, dass sich der prognostizierte leichte Rückgang des Gesamtverbrauches (Abb. 1(A)) negativ auf die Anlagenlaufzeiten und damit auf die Kapitalrendite auswirken wird, was die Geschwindigkeit des Umbaus nicht erhöhen wird.

Aus Abbildung 1(C) geht hervor, wie die Primärenergie in Deutschland verwendet wird. Der größte Posten sind die Energiewandlungsverluste. Energie kann entgegen dem Sprachgebrauch nicht erzeugt, sondern nur gewandelt werden, wobei unvermeidliche Verluste entstehen. Allerdings ist die Höhe der Verluste von der Technologie anhängig; hier gibt es trotz erheblicher Fortschritte noch Möglichkeiten, durch chemische Forschung Grundlegendes zu verbessern, wenn Oxidationsprozesse von Energieträgern in flammenlosen Reaktionen geführt werden. In den anderen Positionen der Abbildung 1(C) erkennt man die Schwerpunkte des Energieeinsatzes: Für die Industrie nimmt dieser Wert langsam ab, während er beim persönlichen Verbrauch konstant ist, oder leicht ansteigt. Im Haushaltsbereich bestehen durch Verbesserungen von Heizung und Isolierung sowie durch Ausbau der Kraft-Wärmekopplung signifikante Einsparpotenziale. Im Verkehrsbereich müssten enorme Anteile der Mobilität in die e-Mobilität mit regenerativer Energieerzeugung verschoben werden, um einen signifikanten Effekt zu bewirken. Hier ist erhebliche Forschungsarbeit, aber auch ein gesellschaftlicher Umdenkprozess zur Mobilität, vonnöten.

Somit muss vor allem auf der Wandlungsseite der Energie erheblich umgebaut werden. Da die Energieversorgung ein verkoppeltes Netzwerk von Prozessen darstellt, benötigt man einen Bauplan, der grob – wie in Abbildung 2 dargestellt – aussehen könnte. Aus diesem Plan ist für jeden, in Abbildung 1(C) aufgeführten, Verbrauchszweig eine Entwicklungsstrategie abzuleiten, die sich den wechselnden Randbedingungen und dem wissenschaftlichen Fortschritt anpassen sollte.

Für den Bereich der Grundlagenforschung in der Chemie sind die rot und grün dargestellten Prozessstränge relevant. Diese existieren heute nicht in nachhaltigen und skalierbaren Technologien, werden aber dringend benötigt, um die zeitliche Fluktuation der regenativen Quellen auszugleichen. Gesucht werden für die Funktionen in Abbildung 2 jeweils mehrere parallele und systemisch verbundene Lösungsansätze [2]. Diese Lösungen dürfen die Gebote der Nachhaltigkeit nicht verletzen; weder der Verzicht auf Klimaschutz noch der raum-zeitliche Export nationaler Versorgungsprobleme sind akzeptabel. Ein nachhaltiges Energiesystem baut auf stofflich geschlossene Kreisläufe auf. Dies ist gegenwärtig nicht der Fall, da die Chemie der Umwandlung kleiner stabiler Moleküle (Wasser, CO2) in Energieträger (Wasserstoff, Methan) nicht beherrscht wird.

(1)     CO2 + 4 H2 → CH4 + 2 H2O

(2)     2 H2O → O2 + 2H2

Die scheinbar einfachen Grundreaktionen der Energiespeicherung (1,2) entpuppen sich als komplexe Umwandlungen wenn ihr mechanistischer Ablauf betrachtet wird, da jeweils Transferprozesse mit mehreren beteiligten Elektronen auftreten. Dies gilt gleichermaßen für die analogen Reaktionen der Natur, die in der Photosynthese [3] ablaufen. Die Natur hat daher extrem komplexe biologische Systeme entwickelt, deren Entschlüsselung wichtige Hinweise für den Aufbau der technologischen Prozesse, die wir benötigen, liefert.

Gemäß Abbildung 2 ist der zentrale Prozess die Umwandlung elektrischer Energie in chemische Energie. Dies geschieht in Akkumulatoren und in der Wasserspaltung. Der nach Gleichung (2) entstandene Wasserstoff kann direkt verwendet werden, oder in einer "Sonnenraffinerie" [1] zu solaren Energieträgern veredelt werden. Gleichung (1) beschreibt die Bildung von "solarem" Methan, das völlig gleichwertig mit fossilem Methan in existierende Erdgassysteme eingespeist werden kann. Das nötige CO2 (nun ein Wertstoff!) kann aus fossilen Quellen oder aus der Umwandlung von Biomasse stammen. Die Veredelung von Rohbiogas, das reich an CO2 ist, mit solarem Wasserstoff wäre nach Abbildung 2 ein geschlossener Stoffkreislauf, der nicht mit Gleichgewichten der Ökosysteme kollidiert, solange diese nicht durch die Ernte der Biomasse überbelastet werden. Sollte der ökologisch verträgliche Anteil der Biomasse dafür nicht ausreichen, steht mit dem Stoffsystem Stickstoff/Ammoniak [4] (Gleichungen (3)–(5)) ein nicht mit der Ökologie verbundenes Speichersystem mit unbegrenzter Kapazität zur Verfügung.

(3)     6 H2O + 2 N2 → 3 O2 + 4 NH3

(4)     4 NH3 → 6 H2 + 2N2

(5)     6 H2 + 3 O2 → 6 H2O

Wie aus Abbildung 2 hervorgeht, können derartige Speicher gut in die konventionelle Energieversorgung [5] eingebunden werden, ohne dass der Nutzer davon erheblich betroffen wäre. Allerdings fehlen für die chemischen Speichersysteme bisher die nötigen konzeptionellen und funktionalen Grundlagen für einen nachhaltigen Einsatz in der benötigten Größenordnung. Die Schließung dieser Wissenslücke wird zur Vorraussetzung, um die heute beginnende empirische Entwicklung chemischer Speicher langfristig in die benötigte Größenordnung zu führen.

Solarer Wasserstoff entsteht in relevanten Mengen durch Spaltung von Wasser mit der primären Elektrizität aus Windkraft und Photovoltaik. Die stoffliche Speicherung dieser primären Energie ist neben der Direkterzeugung von Wasserstoff durch Photochemie und Thermochemie ein Hauptziel [1] der chemischen Energiewandlung. Eine zentrale Herausforderung für den Prozess der Wasserspaltung, ebenso wie für die Direktspeicherung elektrischer Energie in Batterien, ist die Bereitstellung stabiler Materialien, welche die doppelte chemische Beanspruchung aus der Umwandlung von Stoffen an ihren Grenzflächen und des Transportes von Ladungen durch ihr Inneres ermöglichen. Konventionelle Metalle erfüllen die letztere Bedingung gut, halten aber auch als (nicht nachhaltige) Edelmetalle der chemischen Beanspruchung nicht stand. Stabile chemische Verbindungen erfüllen dagegen oft nicht die Anforderungen für den Ladungstransport.

Ein Lösungsansatz liegt in der Verwendung von Kompositmaterialien. Als chemisch robuster elektrischer Leiter bewährt sich dabei Kohlenstoff in nanostrukturierter Form, der sich bei geeigneter chemischer Veredelung [6] sehr gut mit Katalysatoren wie Metalloxiden [7] verbinden lässt. In Abbildung 3 sind charakteristische Forschungsergebnisse dargestellt, die teilweise in enger Zusammenarbeit mit anderen Max-Planck-Instituten in Golm [8] und Stuttgart [7] entstanden sind.

In den Beispielen (A,C) werden vorfabrizierte Kohlenstoff-Nanostrukturen als elektrische Leiter benutzt, um Strom an die Oberfläche von Oxidteilchen zu transportieren, die nur weinig elektrisch leitfähig sind, dafür aber sehr gut die chemischen Funktionen eines Elektrokatalysators ausüben. Dazu müssen diese Teilchen aber selbst nanostrukturiert sein und mit einer geeigneten chemischen "Klebeschicht" am Kohlenstoff befestigt werden, wofür jeweils geeignete Verfahren [6] entwickelt wurden. Im Beispiel (B) wirkt eine Metallphosphatelektrode [9] als Katalysator für die Umwandlung organsicher Moleküle des Elektrolyten in eine dichte teilweise geordnete Kohlenstoffschicht. Das elektronenmikroskopische Bild zeigt gut, dass die Schicht fest an der Phosphatoberfläche angebunden ist. Sie spielt vermutlich eine wichtige Rolle beim Übergang von Li in den Speicherzustand der Elektrode.

Diese Beispiele deuten an, dass es für die Darstellung derartiger komplexer Materialien erforderlich ist, präzise Vorstellungen über die gewünschte Funktion zu entwickeln. Die danach durch eine zielgerichtete Synthese entstandenen Proben bedürfen einer gründlichen Charakterisierung, um die Tragfähigkeit der ursprünglichen Vorstellung zu überprüfen. Damit können in mehreren Zyklen der Verbesserung Lösungen entstehen, die ausreichend funktional sind, um an technologie-orientierte Anwendungen übergeben zu werden. Die Grundlagenforschung [10] hat in diesem Prozess die modellhaften Vorstellungen und den Nachweis ihrer korrekten Beschreibung der interessierenden Funktion erbracht. Dieser Ansatz bietet im Allgemeinen als Ergänzung und Grundlage zu empirischen Entwicklungen die Gewähr, die unterschiedlichen chemischen Aufgaben – welche in Abbildung 2 skizziert wurden – jeweils mit der wissenschaftlich bestmöglichen Lösung zu erfüllen. Die Max-Planck-Gesellschaft stellt sich dieser gesellschaftlichen Erwartung durch eine institutionelle Verankerung der Grundlagenforschung zur chemischen Energiekonversion in einem neu zu gründenden Institut.

Schlögl, R.
Chemistry's Role in Regenerative Energy
Angewandte Chemie – International Edition 50, 6424-6426 (2011)
Schlögl, R.
The role of chemistry in the energy challenge
ChemSusChem 3, 209-222 (2010)
Lubitz, W.; Reijerse, E. J.; Messinger, J.
Solar water-splitting into H2 and O2: design principles of photosystem II and hydrogenases
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Zheng W.; Zhang J.; Zhu B.; Blume R.; Zhang, Y.; Schlichte, K.; Schlögl, R.; Schüth, F.; Su, D. S.
Structure-Function Correlations for Ru/CNT in the Catalytic Decomposition of Ammonia
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Synthesis and Electrode Performance of Nanostructured V2O5 by Using a Carbon Tube-in-Tube as a Nanoreactor and an Efficient Mixed-Conducting Network
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Hu, Y.-S.; Demir-Cakan, R.; Titirici, M.-M.; Müller, J.-O.; Schlögl, R.; Antonietti, M.; Maier, J.
Superior storage performance of a Si@SiOx/C nanocomposite as anode material for lithium-ion batteries
Angewandte Chemie – International Edition 47, 1645-1649 (2008)
Popovic, J.; Demir-Cakan, R.; Tornow, J.; Morcrette, M.; Su, D. S.; Schlögl, R.; Antonietti, M.; Titrici, M. M.
LiFePO4 Mesocrystals for Lithium-Ion Batteries
small 7, 1127-1135 (2004)
Schlögl, R.; Abd Hamid, S. B.
Nanocatalysis: Mature science revisited or something really new?
Angewandte Chemie – International Edition 43, 1628-1637 (2004)

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