Kosmischer Teilchenbeschleuniger entdeckt

H.E.S.S.-Forscherteam identifiziert erstmals Supernova-Explosionswolke als Quelle hochenergetischer Kosmischer Strahlung

3. November 2004

Die Erdatmosphäre wird ständig von einem Strom hochenergetischer nuklearer Teilchen aus dem Weltraum, der Kosmischen Strahlung, getroffen. Doch trotz intensiver Suche ist es bisher nicht gelungen, die Quellen dieser Teilchen zu finden. Man vermutet sie in Sternexplosionen, den so genannten Supernovae. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Kernphysik in Heidelberg um Prof. Heinrich Völk und Prof. Werner Hofmann haben jetzt derartige Supernovae im Licht hochenergetischer Gammastrahlung untersucht - gemeinsam mit Kollegen aus deutschen Universitäten, ausländischen Forschungsinstituten aus Frankreich und anderen europäischen Ländern sowie aus Namibia, Südafrika und Armenien. Dabei gelang ihnen mit dem gerade in Betrieb genommene H.E.S.S.-Teleskop (High Energy Stereoscopic System) in Namibia, eine derartige Quelle der Kosmischen Strahlung nachzuweisen. Die Gammastrahlung kommt aus der Explosionswolke einer Supernova und ist - wie erwartet - auf deren äußere Schale konzentriert. Dieser Fund bestätigt die Meldung einer japanisch-australischen Gruppe, die erste Anzeichen einer solchen Quelle vor einigen Jahren veröffentlicht hatte. Mit dem H.E.S.S.-Teleskop war es nun zum ersten Mal möglich, ein räumlich hoch aufgelöstes Gamma-Bild dieser Quelle zu erzeugen. Diese hat die doppelte Größe des Vollmonds am Himmel, ihr Energie-Spektrum ist konsistent mit den heutigen Vorstellungen über die Beschleunigung atomarer Teilchen in den Überresten von Supernovae (Nature, 4. November 2004).

Die Kosmische Strahlung wurde 1912 von dem österreichischen Physiker Viktor F. Hess entdeckt, der dafür 1936 den Nobelpreis erhielt. Diese Teilchenstrahlung trifft nicht nur auf die Raumfahrzeuge außerhalb der Atmosphäre, sondern dringt zum kleineren Teil bis hinunter zum Erdboden vor. Auf ihrem Weg erzeugt sie Störsignale in allen technischen Geräten, die gegen ionisierende Strahlung empfindlich sind, und ist ein Langzeit-Risiko für das Personal auf interkontinentalen Flügen. Allgemein gilt die ionisierende Wirkung der Kosmischen Strahlung über das gesamte Erdalter hinweg als einer der Motoren, die durch genetische Veränderungen in Pflanzen und Tieren die Entwicklung des Lebens auf der Erde vorantreiben. Zugleich zeigen Beobachtungen der Gammastrahlung aus der uns umgebenden Galaxis, der Milchstrasse, dass die Kosmische Strahlung praktisch überall existiert.

Da die Teilchen der Kosmischen Strahlung zum allergrößten Teil elektrisch geladen sind, werden sie durch die Magnetfelder im interstellaren Raum abgelenkt, so dass man aus ihrer Ankunftsrichtung nicht mehr auf ihre ursprüngliche räumliche Herkunft schließen kann. Um ein "Bild" der Teilchenquelle erzeugen zu können, muss man also elektrisch neutrale Strahlung, wie zum Beispiel Gamma-Teilchen, registrieren, die zusammen mit der geladenen Strahlungskomponente erzeugt werden. Ihre Ankunftsrichtung zeigt wie ein Lichtsignal auf die Quelle zurück, so dass man diese identifizieren kann. Deshalb benutzt man seit mehr als zwei Jahrzehnten Teleskope der Gamma-Astronomie.

Die Heidelberger Max-Planck-Wissenschaftler haben deshalb mit ihren Kollegen ganz spezielle erdgebundene Gammastrahlungs-Teleskope entwickelt und gebaut, um unter anderem auch die Quellen der Gammastrahlung aus Supernovae zu finden. Das erste Experiment dieser Art entstand unter dem Namen "HEGRA" auf La Palma und besteht aus fünf so genannten Cherenkov-Teleskopen, die ein Objekt gleichzeitig beobachten. Mit HEGRA gelang der Nachweis einer solchen Quelle in dem Supernova-Überrest Cassiopeia A im Sternbild Cassiopeia. Diese Beobachtung stimmte im Detail mit den Vorhersagen aus theoretischen Berechnungen und den Erwartungen an Supernova-Quellen überein. Allerdings war bislang kein anderes Teleskop auf der Nordhalbkugel empfindlich genug, um dieses Resultat zu bestätigen. Deshalb ist es wichtig, dass man diese Quelle mit neu entstehenden Teleskopen auf der Nordhalbkugel im Einzelnen untersucht, wie etwa dem MAGIC-Teleskop auf La Palma, an dem Forscher des Max-Planck-Instituts für Physik in München maßgeblich beteiligt sind.

Mit dem mittlerweile in Namibia auf der südlichen Halbkugel in Afrika aufgebauten, zehnmal empfindlicheren Nachfolge-Experiment H.E.S.S., einem koinzidenten System vom vier wesentlich größeren Teleskopen, war es nun möglich, schon während der Aufbauphase Ende 2003 den Supernova-Überrest mit dem Katalognamen RX J1713.7-3946 nicht nur bei sehr hohen Gamma-Energien von etwa 1012 Elektronenvolt (= 1 TeV) zu entdecken, sondern erstmals davon auch eine zweidimensionale Karte mit einer Winkelauflösung im Bogenminuten-Bereich zu erzeugen (siehe Abb. 2).

Der Supernova-Überrest wurde bereits 1996 von Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts für extraterrestrische Physik in Garching mit dem Röntgen-Satelliten ROSAT bei einer etwa eine Milliarde Mal kleineren Energie entdeckt. Das neue Gamma-Bild stimmt erstaunlich gut mit den inzwischen auch verfeinerten Röntgenbildern überein. Da die Gammaquanten nur von geladenen Teilchen noch höherer Energie erzeugt werden können, zeigt die Entdeckung mit dem H.E.S.S.-Teleleskop eindeutig, dass in dieser Quelle die geladenen Teilchen tatsächlich auf Energien von über 100 TeV beschleunigt werden. Allerdings stellt sich diese Quelle als ein komplexes astronomisches Objekt heraus. Deshalb bedarf es noch weiterer Untersuchungen dieser Himmelserscheinung insbesondere im Radiobereich, um sicher sagen zu können, dass sie nicht nur höchstenergetische Elektronen, sondern auch nukleare Teilchen dieser Energien erzeugt.

"Das erste Bild eines Supernova-Überrests im Bereich von Teraelektronenvolt ist ein wichtiger Schritt, um die Frage nach dem Ursprung der galaktischen Kosmischen Strahlung zu beantworten. Gleichzeitig markiert diese Entdeckung den erfolgreichen Start einer neuen astronomischen Abbildungstechnik bei Photonenenergien, die um einige zwölf Größenordnungen höher sind als die des sichtbaren Lichts," sagt Prof. Heinrich Völk, Direktor der Abteilung "Astrophysik" am Max-Planck-Institut für Kernphysik.

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