Zustände wie im Schlaraffenland

Feldversuche des Max-Planck-Instituts für chemische Ökologie zeigen, wie "Ameisenpflanzen" mit Hilfe von Nektar ihre Verteidigung gegen Fraßfeinde optimieren

7. Juli 2004

Ameisenpflanzen, wie die Akazie, verfolgen indirekte Strategien, um sich gegen Fraßfeinde zu verteidigen: Entweder beherbergen sie ganze Ameisenkolonien oder sie locken Ameisen aus der Umgebung an. Die Ameisen vertreiben oder töten dann die Fraßfeinde der Pflanze. Durch die Sekretion von Blattnektar werden die Wächter "bei der Stange gehalten". Wissenschaftler des Max-Planck-Institutes für chemische Ökologie in Jena haben nun in Kooperation mit deutschen und französischen Kollegen bei Feldarbeiten in Mexiko herausgefunden, wie weit die Pflanzen ihre Leistungen an diese Erfordernisse angepasst haben. So produzieren Akazien, die dauerhaft von Ameisenkolonien besiedelt sind, den Blattnektar permanent - diese Pflanzen müssen "ihre" Dauerbewohner auch entsprechend ernähren. Andere Arten, die Ameisen aus der Umgebung anlocken, liefern den süßen Saft dagegen nur dann, wenn sie tatsächlich angefressen werden. Ansonsten sondern sie keinen Zuckersaft ab, denn diese Investition wäre für die Ameisen dann auch nicht erforderlich (Nature, 8. Juli 2004). Ein in der Evolution entstandener Verteidigungsmechanismus der Pflanzen kann sich also je nach Bedarf oder auch auf Dauer ausprägen. Für die biologische Schädlingsbekämpfung sind diese Ergebnisse von großem Interesse.

Die Verteidigung gegen Fraßfeinde ist ein generelles Problem, für das Pflanzen in der Evolution viele unterschiedliche Lösungen gefunden haben. "Ameisenpflanzen" gehen hierbei einen besonderen Weg: Sie beherbergen entweder selbst ganze Ameisenkolonien oder sie locken Ameisen aus der Umgebung an. In beiden Fällen fungieren die generell ja auch räuberisch lebenden Ameisen als Schutzarmee: Sie vertreiben oder fressen die Fraßfeinde ihrer Wirtspflanze und wirken somit als "indirekte" Verteidigung der Pflanze.

Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für chemische Ökologie in Jena haben nun zusammen mit Kollegen der Universität Würzburg bei Freilandarbeiten herausgefunden, wie weit sich Pflanzen an diese Herausforderungen angepasst haben. Martin Heil, Sabine Greiner und Ralf Krüger von der von Prof. Wilhelm Boland geleiteten Abteilung für bioorganische Chemie hatten dazu in Mexiko verschiedene Akazienarten untersucht, die auf unterschiedliche Weise mit Ameisen kooperieren. Die Sträucher produzieren auf ihren Blättern Nektar ("Blattnektar"), der ausschließlich dazu dient, Schutzameisen anzulocken bzw. zu ernähren. Während einige Arten eigene Ameisenkolonien beherbergen, locken andere nur Ameisen aus der Umgebung an.

Die Forscher stellten fest, dass entsprechend dieser unterschiedlichen Ziele sich auch die Sekretionsmuster des Blattnektars sehr voneinander unterscheiden: Die erste Gruppe von Pflanzen muss "ihre" Ameisenkolonie dauerhaft ernähren - der Blattnektar wird daher ständig produziert. Die zweite Gruppe dagegen lockt Ameisen an, die nicht auf die Pflanzen angewiesen sind - der Nektarfluss wird daher erst durch Fraßschäden aktiviert: Der Blattnektar wird nur dann abgesondert, wenn er wirklich gebraucht wird.

Dieser Befund hat weitreichende Konsequenzen: Denn durch Fraß aktivierte pflanzliche Verteidigung gibt es nicht nur bei Ameisenpflanzen. Viele pflanzliche Gift- oder Bitterstoffe werden über denselben Signalweg aktiviert wie auch der Blattnektar. Das gilt sogar für Duftstoffe, mit denen viele Pflanzen ihre Schutzinsekten anlocken. Da diese Mechanismen eine pflanzeneigene Verteidigung darstellen, sind sie für die biologische Schädlingsbekämpfung sehr interessant. Die neuen Forschungsergebnisse zeigen nun, dass sich die Aktivierbarkeit der biologischen Schädlingsabwehr offenbar schnell ändern lässt.

Zu klären war aber auch, welche der beiden Formen des Nektarflusses evolutionär die ältere ist. Die Jenaer und Würzburger Wissenschaftler haben sich daher mit Harald Meimberg und Günther Heubl von der Universität München und Jean-Louis Noyer vom "CIRAD", dem "Centre de coopération internationale en recherche argonomique" in Montpellier, Frankreich, zusammen getan, um den Stammbaum der Ameisenakazien zu enträtseln. Ihre Analyse ergab, dass der dauerhafte Nektarfluss in der Evolution erst aus dem aktivierbaren hervorgegangen ist. Der aktivierbare Nektarfluss ist offensichtlich evolutionär der ältere, der ständige Nektarfluss eine Neuentwicklung bei denjenigen Arten, die selbst Ameisen beherbergen.

Jetzt wollen die Forscher untersuchen, inwieweit auch andere derartige Verteidigungsmechanismen bei Pflanzen von "aktivierbar" auf "permanent vorhanden" hochgeregelt werden können.

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