Erstmaliger Nachweis kleinster Wasserstoff-Tröpfchen

Internationalem Forscherteam gelingt mit verbesserter Raman-Spektroskopie wichtiger Schritt auf dem Weg zu suprafluidem Wasserstoff

3. Juni 2004

Suprafluidität ist ein ungewöhnlicher Zustand von Flüssigkeiten, bei dem die Flüssigkeit ohne Reibung oder Widerstand fließt. Bisher konnte dieses Phänomen nur für flüssiges Helium nachgewiesen werden. Einem spanisch-deutsch -amerikanischen Forscherteam ist es jetzt gelungen, erstmals das schrittweise Wachstum winziger Cluster von bis zu acht Wasserstoffmolekülen zu beobachten (Physical Review Letters, 2. Juni 2004). Die Forscher nutzten dazu eine speziell für den Nachweis von molekularem Wasserstoff von ihnen entwickelte Spektroskopie-Technik. Obwohl die Cluster viel kälter waren als der Gefrierpunkt von Wasserstoff (-259 Grad Celsius = 14 Kelvin), bewegten sich die Moleküle immer noch frei wie in einer Flüssigkeit und nicht auf festen Positionen wie in einem Festkörper. Damit sollte die neue Technik dafür geeignet sein, die immer noch offene Frage zu beantworten, ob reiner Wasserstoff ausreichend "unterkühlt" werden kann, bis er superfluide wird.

Wasserstoff - ein ungewöhnliches Molekül

Wasserstoff ist das häufigste Element im Universum. So entsteht die Energie unserer Sonne und die der vielen anderen Sonnen und Sterne im Weltall durch die Verschmelzung von Wasserstoffkernen zu Heliumkernen. Die Wasserstoffmoleküle spielen eine entscheidende Rolle bei der Entstehung neuer Galaxien und bestimmen das chemische Verhalten des interstellaren Raums. Auf der Erde wurde in den letzten Jahren Wasserstoff als Energieträger der Zukunft propagiert. Er hat die höchste Energiedichte pro Masse, und bei seiner Verbrennung mit Sauerstoff entsteht ausschließlich sauberes Wasser. Als einfachstes aller Atome hat das Wasserstoffatom auch ganz wesentlich zur Entwicklung der Quantenphysik beigetragen (Bohrsches Atommodell).

Als das einfachste aller Moleküle mit nur zwei Elektronen hat es in der theoretischen Chemie lange Zeit als Testsystem für die Entwicklung wirksamer Algorithmen zur Berechnung chemischer Bindungen und Reaktionen gedient. Diese Vorzüge, die auf die nur zwei Elektronen im Molekül und seine geringe Masse zurückzuführen sind, stellen sich aber andererseits als schwerwiegendes Hindernis bei der Untersuchung des Wasserstoffs in seinen verschiedenen Aggregatzuständen heraus. Die Empfindlichkeit vieler Messmethoden, wie die Beugung von energetischen Elektronen oder Röntgenstrahlen, steigt mit der Anzahl der Elektronen im Element an, so dass sie auf Wasserstoff recht unempfindlich reagieren. Auch bei der theoretischen Beschreibung der Aggregatzustände bereitet die kleine Masse einige Probleme. Die meisten anderen Atome und Moleküle sind hinreichend schwer, so dass ihre quantenmechanische Unschärfe nach dem Heisenbergschen Unbestimmtheitsprinzip nur eine ganz untergeordnete Rolle spielt. Dagegen führt bei den leichten Wasserstoffmolekülen, besonders bei tiefen Temperaturen, die quantenmechanische Unschärfe dazu, dass die Teilchen keine wohldefinierten klassischen Positionen einnehmen, sondern quantenmechanisch verschwommen sind.

Bei dem etwas schwereren Helium führt dies dazu, dass es selbst bis zu den tiefsten Temperaturen nicht fest wird und unterhalb von 2,2 Kelvin in einen anderen einmaligen, kollektiven Quantenzustand übergeht, den man aufgrund des ungewöhnlichen Verhaltens den suprafluiden Zustand nennt. In dem suprafluiden Zustand zeigt das Helium viele Eigenschaften, die sonst in der Natur bei keiner anderen Flüssigkeit vorkommen. Vielleicht die markanteste davon ist die Fähigkeit, ohne Widerstand fließen zu können, ähnlich wie in einem Supraleiter, bei dem Strom ohne Widerstand fließt. Wasserstoff dagegen wird unterhalb von 13,8 Kelvin fest und zeigt ein scheinbar normales Verhalten. Bei noch tieferen Temperaturen führen die Quanteneffekte allerdings auch im festen Zustand zu einem ungewöhnlichen Verhalten. So können die Wasserstoffmoleküle, anders als bei allen anderen Stoffen, im Festkörper frei rotieren.

Unterkühlte Flüssigkeiten

1972 haben Vitali Ginzburg (Nobelpreis für Physik 2003) und sein Mitarbeiter Alexander Sobyanin vorgeschlagen, dass auch Wasserstoff in einen suprafluiden Zustand umgewandelt werden könnte, falls es gelänge, den Übergang in den festen Zustand bis zu Temperaturen von etwa 6 Kelvin aufzuhalten. Man nennt einen solchen metastabilen Zustand eine unterkühlte Flüssigkeit. Ähnliche Zustände spielen in der heutigen Physik eine sehr große Rolle. So sind die Bose-Einstein kondensierten Gase (Nobelpreis für Physik 2001) in Wirklichkeit stark unterkühlte metastabile Systeme, die nach einiger Zeit spontan in den festen Aggregatzustand übergehen.

Versuche, den suprafluiden Zustand im Wasserstoff durch eine Unterkühlung der flüssigen Phase zu erreichen, sind jedoch bis heute gescheitert. 1991 konnten David Ceperley und seine Mitarbeiter jedoch mithilfe einer aufwändigen theoretischen Simulation zeigen, dass kleine Cluster aus bis zu etwa 18 Molekülen in einen suprafluiden Zustand übergehen können. Bei so wenigen Molekülen ist die kollektive Bindung so schwach, dass der Cluster auch bei tiefen Temperaturen flüssig bleibt und nicht fest wird. Dagegen ist der suprafluide Zustand bei größeren Clustern mit etwa 33 Molekülen vernachlässigbar klein. Bereits vor vier Jahren hatten Prof. Jan Peter Toennies und seine Mitarbeiter vom Max-Planck-Institut für Strömungsforschung über das Auftreten des suprafluiden Zustands bei kleinen Clustern aus 14 bis 17 Wasserstoffmolekülen berichtet, die allerdings an einem OCS-Molekül (Carbonylsulfid) angebunden waren. Bei diesen Experimenten diente das OCS-Molekül als spektroskopische Sonde. Durch Einbetten dieser Cluster in Tröpfchen aus 4He oder eines 4He/3He-Gemisches war es den Forschern möglich, die Cluster auf eine sehr niedrige Temperatur von 0,37 bzw. 0,15 Kelvin abzukühlen und damit den Übergang in den suprafluiden Zustand auszulösen. Doch in diesem Experiment beeinflussten das OCS-Sonden-Molekül und die Heliumtröpfchenumgebung die Beobachtungen. Deshalb versucht man, Experimente an reinen Wasserstoff-Clustern ohne den Einbau eines Fremdmoleküls durchzuführen.

Erstmalige Untersuchung kleinster Wasserstoff-Cluster

Seit den 1960er Jahren ist bekannt, wie man kleine Cluster durch die Expansion eines Gases unter hohem Druck in eine Vakuumkammer experimentell erzeugen kann. Dabei entsteht ein gerichteter Strahl aus kleinen Clustern, die anschließend mit den verschiedenen physikalischen und chemischen Methoden auf ihre Eigenschaften untersucht werden können. Doch wegen der bereits erwähnten experimentellen Schwierigkeiten, die von den nur zwei Elektronen im Wasserstoff-Molekül herrühren, konnte man diese Methoden bisher nicht auf Wasserstoffmoleküle anwenden. Doch jetzt ist es einem spanisch-deutsch-amerikanischen Forscherteam um Montero (Madrid) und Toennies (Göttingen) gelungen, solche molekularen Wasserstoff-Cluster nicht nur zu erzeugen, sondern auch nachzuweisen und zu charakterisieren.

In dem neuen Experiment, ausgeführt im Instituto de Estructura de la Materia-CSIC in Madrid, konnte das Forscherteam die Empfindlichkeit einer weitverbreiteten Untersuchungsmethode, der Raman-Spektroskopie, genannt nach dem indischen Entdecker Sir Chandrasekhara Venkata Raman (Nobelpreis 1930), soweit verbessern, dass erstmals der Nachweis kleiner Wasserstoff-Cluster möglich wurde. Die verbesserte Methode ist so empfindlich, dass sogar die örtliche Konzentration der einzelnen Wasserstoff-Cluster mit einer räumlichen Auflösung von nur zwei Mikron (1 Mikron = 10-6 Meter) bestimmt werden konnte. Damit war es auch möglich, die Entstehung und Wachstum der Cluster entlang der Expansion zu verfolgen (vgl. Abb. 2). Zur Deutung der Spektren wurde das quantenmechanische Verhalten der Moleküle in den einzelnen Clustern mit einer der von Ceperley angewandten ähnlichen Methode simuliert. Diese Rechnungen bestätigten, dass die Cluster aufgrund der erwarteten Quanteneffekte stark delokalisiert (verschwommen) sind und nicht, wie man sonst erwartet hätte, in den festen Zustand übergegangen sind (vgl. Abb. 2).

Durch diese Experimente wurde erstmals der Weg zum Nachweis der Suprafluidität in reinen Wasserstoff-Clustern geebnet. Andere Untersuchungen zeigen, dass die Cluster kälter als ein Grad Kelvin sein sollten. Die Cluster müssten also hinreichend kalt sein, um suprafluide zu werden. Eine solche Temperatur kann durch die Beimischung eines Überschusses an Helium erreicht werden. Dazu wollen die Forscher auch die Empfindlichkeit und Auflösung der Spektren weiter verbessern. Erst dann können die theoretischen Vorhersagen von Ginzburg und Sobyanin sowie Ceperley und Mitarbeitern endgültig überprüft werden.

Welche Bedeutung die Suprafluidität von Wasserstoff haben könnte, erläutert Prof. Jan Peter Toennies, inzwischen emeritierter Direktor am Max-Planck-Institut für Strömungsforschung: "Obwohl es sicher viel zu früh ist, um über Anwendungen der Suprafluidität von Wasserstoff nachzudenken, könnte man darüber spekulieren, ob ein stabiler suprafluider Zustand in kaltem Wasserstoff durch eine geeignete Beimischung von schwach wechselwirkenden 3He-Atomen erreicht werden könnte. Vielleicht werden dann die Tankstellen der Zukunft durch den reibungslos in kalten unterirdischen Röhren fließenden suprafluiden Wasserstoff versorgt."

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