Radikale Stoffwechselreaktionen

Max-Planck-Biochemiker enthüllen Funktion chemischer Radikale bei Stoffwechselreaktionen zur Energiegewinnung

24. November 2004

Zusätzlich zu den bekannten Oxidationen und Reduktionen, die Organismen zur Energiegewinnung bei ihren Stoffwechselwegen einsetzen, haben nun Wissenschaftler aus Martinsried und Marburg die Möglichkeit der Radikal-Bildung in Wasserabspaltungen erklärt. In der Zeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences of America (PNAS) präsentieren die Forscher erstmalig die Struktur einer radikal-abhängigen Dehydratase mit Eisen-Schwefel-Clustern und Flavinen (4-Hydroxybutyryl-CoA Dehydratase). Sie können damit einen Stoffwechselweg mit Radikalen erklären (PNAS, 2. November 2004).

Ohne Eisen-Schwefelproteine können Lebewesen nicht existieren. Bei allen wichtigen Stoffwechselprozessen; wie z. B. der Atmung der Tiere, der Photosynthese bei Pflanzen oder der Stickstofffixierung der Knöllchenbakterien in Erbsenwurzeln; sind Energietransportketten beteiligt, die nur mit diesen Proteinen funktionieren. Die Proteinmoleküle enthalten außer den organischen Aminosäuren anorganische Bestandteile, die aus Eisen-Schwefel-Verbindungen - so genannten Eisen-Schwefel-Clustern - bestehen. Sie kommen in einer Vielzahl unterschiedlicher Strukturen vor; je nach Anzahl der beteiligten Eisen- und Schwefelatome werden lineare, kubische oder komplexere Reaktionszentren gebildet, um die sich das übrige Protein anordnet.

Seit rund 40 Jahren sind die biologischen Eisen-Schwefel-Cluster bekannt, die auch an Katalyse-Prozessen beteiligt sein können, in denen die Abspaltung von Wasser erfolgt. Ein wichtiges Beispiel ist die Aconitase, die im Zitronensäurezyklus die Umwandlung von Zitrat zu Isozitrat durch Abspaltung und Wiederanlagerung von Wasser ermöglicht. Während diese Reaktion chemisch einfach ist, muss das Substrat bei der Wasserabspaltung aus 4-Hydroxybutyryl-CoA erst durch eine radikalische Einelektronen-Oxidation in die reaktionsbereite Form überführt werden.

Eisen-Schwefel-Cluster kommen nicht nur in aeroben Prozessen (unter Anwesenheit von Sauerstoff) vor, sondern spielen besonders im Stoffwechsel anaerober Organismen Schlüsselrollen. Das Fehlen von Sauerstoff in der Uratmosphäre und das reichliche Vorhandensein von Eisen und Schwefelwasserstoff führten zu der Hypothese, dass einfache Eisen-Schwefel-Verbindungen (Pyrite) zum Ursprung des Lebens beigetragen haben könnten. Die Wissenschaftler konzentrieren sich in ihrer Forschung deshalb auf die Reaktionsmechanismen dieser Verbindungen unter Abwesenheit von Sauerstoff.

Die Bakterienfamilie der Clostridien, zu denen das Wundstarrkrampf erregende Clostridium tetani gehört, kann mit Unterstützung von Eisen-Schwefel-Proteinen bestimmte Aminosäuren - die Bausteine von Proteinen - zur Energiegewinnung nutzen. Clostridien können nur in sauerstofffreier Umgebung als Bodenbakterien oder auch im Verdauungstrakt von Säugetieren überleben. Clostridium aminobutyricum ist Spezialist für die Energiegewinnung aus 4-Aminobuttersäure, die im Nervensystem die Weiterleitung von Signalen zwischen Nervenzellen hemmt.

Clostridium aminobutyricum benötigt für die Vergärung von 4-Aminobuttersäure das Eisen-Schwefel-Enzym 4-Hydroxybutyryl-CoA-Dehydratase (4-BUDH). Aus den Kristallen des Enzyms konnten die Wissenschaftler der Abteilung Strukturforschung am Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried - in enger Kooperation mit dem Laboratorium für Mikrobiologie der Universität Marburg - durch Röntgenstrukturanalyse die dreidimensionale Struktur des Proteins rekonstruieren.

Die Strukturforscher haben eindeutig gezeigt, dass 4-BUDH aus vier Untereinheiten besteht, wobei jede der Untereinheiten jeweils ein aktives Zentrum mit einem Eisen-Schwefel-Cluster (bestehend aus vier Schwefel- und vier Eisen-Atomen) und Flavin enthält. Während Eisen-Schwefel-Cluster normalerweise nur durch die Schwefelatome der Aminosäure Cystein mit dem Protein verbunden sind, verankern in der 4-BUDH drei Cysteine sowie die Aminosäure Histidin den Cluster. Ein Vergleich der Faltung der Proteinstruktur mit anderen bekannten Strukturen offenbarte eine Verwandtschaft von 4-BUDH zum Enzym Acyl-CoA Dehydrogenase (MCAD), das im Fettsäure-Stoffwechsel des Menschen eine wichtige Rolle spielt, jedoch keine Eisen-Schwefel-Verbindungen besitzt.

Berta Martins, Holger Dobbek (jetzt Juniorprofessor an der Universität Bayreuth), und Albrecht Messerschmidt aus der Abteilung Strukturforschung (Prof. Robert Huber) des Martinsrieder Instituts und Irfan Cinkaya (jetzt Mitarbeiter bei Chiron Vaccines in Marburg) und Wolfgang Buckel an der Universität Marburg, konnten aus der ausgeprägten Ähnlichkeit der beiden Enzyme, 4-BUDH und MCAD, Rückschlüsse auf die Funktion der Enzyme und den genauen Stoffwechselweg schließen: Beide Enzyme besitzen so genannte Flavin-Strukturen, die an der Umsetzung ihrer jeweiligen Substrate (bei 4-BUDH ist es 4-Hydroxybutyryl-CoA) beteiligt sind. Die Wissenschaftler vermuten, dass - im Gegensatz zu bisherigen Theorien - MCAD ebenso wie 4-BUDH die Reaktion über Flavinradikale katalysiert. Zusätzlich wird von der 4-BUDH das Eisen-Schwefel-Cluster zur Wasserabspaltung benötigt.

Weil beide Enzyme ähnliche Struktur und Funktionsweisen haben, gehen die Wissenschaftler von einer gemeinsamen Ursprungsform in der Evolution aus. Jedoch nur 4-BUDH besitzt Eisen-Schwefel-Verbindungen. Daraus kann geschlossen werden, dass die Natur die stabile Struktur des Vorgängers beider Enzyme erhalten hat und eine Evolution durch kleine Veränderungen an einem bestehenden katalytischen System stattfand. Die Strukturaufklärung der 4-Hydroxybutyryl-CoA Dehydratase (4-BUDH) hat jetzt völlig neue Erkenntnisse der Beteiligung von Radikalen bei Stoffwechselreaktionen zur Energiegewinnung geliefert, denn nun können sich die Wissenschaftler die genauen Reaktionswege erklären. Sie eröffnen damit auch für andere Stoffwechselreaktionen, an denen Flavin und Eisen-Schwefel-Verbindungen beteiligt sind, wesentliche Details, die zum weiteren Verständnis des Mechanismus dieser Enzymreaktionen notwendig sind.

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