Ausgekochter Stahl für das Auto von morgen

Wissenschaftler wollen mit neuartigen Materialien den Fahrzeugbau revolutionieren

Der Treibstoffverbrauch gehört inzwischen zu den wichtigen Entscheidungskriterien beim Kauf eines neuen Wagens. Und tatsächlich brauchen die Fahrzeuge von Jahr zu Jahr bei gleicher Leistung weniger Kraftstoff. Dazu trägt wesentlich die Reduzierung des Fahrzeugsgewichts bei. Deshalb suchen die Autohersteller nach leichteren Materialien, die im Idealfall nicht nur weniger wiegen als herkömmliche Werkstoffe, sondern zugleich bessere Eigenschaften aufweisen. Eine solche Werkstoffklasse haben Wissenschaftler um Georg Frommeyer vom Max-Planck-Institut für Eisenforschung in Düsseldorf mit ihren neuartigen Leichtbaustählen entwickelt: Diese sind sehr leicht, zudem aber extrem stabil und besonders dehnungsfähig; große Stahlkonzerne loben sie als "deutlichen Entwicklungssprung" für die Fahrzeugproduktion.

Die Stahlhersteller haben längst erkannt, dass ihnen Aluminium und neue Materialien wie Magnesium oder Kunststoffe zunehmend Konkurrenz machen. Um im Rennen zu bleiben, müssen ihre Stähle leichter, fester und stabiler sein als die Produkte der Konkurrenten. Zudem wachsen die Ansprüche an Sicherheit und Crash-Stabilität. Stähle sollen fest genug sein, um das Gewicht des Fahrzeugs zu tragen, ohne sich zu verformen oder zu schwingen. Sie sollen starr genug sein, um die Insassen bei einer Kollision wie eine Schutzhülle zu umgeben. Und bei einem Unfall sollen sie sich kalkulierbar verformen, um die Aufprallenergie zu schlucken. Freilich lassen sich nicht alle Eigenschaften in einem einzigen Werkstoff bündeln. Der Stahl aus den Düsseldorfer Max-Planck-Labors aber ist ein wahrer Multifunktions-Werkstoff, der nicht alle, aber doch ganz unterschiedliche Funktionen übernehmen kann.

Aus langjähriger Erfahrung und thermodynamischen Berechnungen folgerte Georg Frommeyer, Direktor am Max-Planck-Institut für Eisenforschung, dass sich für die neuen Leichtbaustähle insbesondere eine Mischung (Legierung) von Eisen mit Mangan, Silizium und Aluminium eignen müsste. Diese sollten bestimmte Kristallstrukturen bilden, die dem Stahl die gewünschten Eigenschaften verleihen. Die Versuche glückten: Durch leichte Variation der Mischungsverhältnisse und Produktionsbedingungen ließen sich zwei Stahl-Charaktere mit bislang unerreichten Eigenschaften erzeugen.

Als besonders fest erwies sich zum einen Stahl mit einem Gehalt von 15 Prozent Mangan und jeweils 3 Prozent Aluminium und Silizium: Er lässt sich um mehr als 50 Prozent dehnen. Zugleich verfestigt er sich stark, ohne zu zerreißen. Er widersteht Spannungen von bis zu 1100 Megapascal - entsprechend etwa dem Gewicht von zehn Elefantenbullen auf einer Briefmarke. Herkömmliche höherfeste Karosseriestähle reißen bereits bei etwa 700 Megapascal. Der andere Stahl mit einem Anteil von 25 Prozent Mangan und jeweils 3 Prozent Aluminium und Silizium verfestigte sich zwar nicht so stark, ließ sich aber um etwa 90 Prozent in die Länge ziehen, ohne zu zerreißen. Frommeyer: "Eine solche Duktilität, also Dehnbarkeit, erreicht nicht einmal Gold, das als ausgesprochen duktil gilt. Bei 60 Prozent Dehnung ist Schluss."

Das macht diesen Stahl zum idealen Material für Crash-Bauteile im Motorraum, die sich bei einem Aufprall gezielt zusammenfalten. Hier ist hohes Energieabsorptions-Vermögen gefragt - und das besitzt Stahl-Typ Nummer 2. Beinahe noch wichtiger ist seine Fähigkeit, Kräfte extrem schnell aufzunehmen, selbst bei einem Aufprall mit hoher Geschwindigkeit. Frommeyers Arbeitsgruppe kooperiert seit längerer Zeit mit der Salzgitter AG und der ThyssenKrupp Stahl AG. Die Hersteller sind davon überzeugt, dass sich mit den neuen Stählen Bauteile realisieren lassen, die sogar leichter als Aluminiumkomponenten sind. Immerhin kommt man dank der verbesserten Eigenschaften zu dünneren Blechen. Die Stahlfirmen rechnen fest damit, dass Frommeyers Legierungen bei den neuen Fahrzeuggenerationen ab 2009 oder 2010 zum Einsatz kommen.

Eine weitere Spezialität aus den Düsseldorfer Labors sind Stähle, die sich fast wie ein Gummiband um bis zu 1000 Prozent dehnen lassen, ohne zu brechen. Diese so genannte Superplastizität ist auf sehr feine und gleichmäßige Körnchen (Kristallite) im Stahl zurückzuführen. Unter bestimmten Temperaturen und Umformbedingungen bilden sich gleichmäßig rundliche Kristallite in Mikrometergröße. Dehnt man den Stahl, gleiten und rotieren die Kristallite leicht aneinander vorbei. Superplastische Stähle lassen sich unter anderem zu Getriebeteilen wie Ritzeln schmieden. Ihr Vorteil: Da sie sich so stark dehnen, können sie leichter in Form gebracht werden. Die Umformwerkzeuge verschleißen dadurch weniger schnell. Das gleiche gilt für die Nachbearbeitung an Dreh- oder Fräsmaschinen. Die Stähle können zudem bei geringeren Temperaturen als andere geschmiedet werden. Das spart Energie. Bislang nutzen Hersteller die superplastischen Stähle vor allem für den Bau von Maschinen. Inzwischen zeigen aber auch die Automobilkonzerne Interesse an dem reißfesten Hightech-Material.

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