Max-Planck-Forscher machen "Drähte" im Gehirn sichtbar

Neue Methode zur Entschlüsselung neuronaler Schaltkreise aus dem Max-Planck-Institut für medizinische Forschung

18. Oktober 2004

Wissenschaftler am Max-Planck Institut für medizinische Forschung haben eine neue Methode entwickelt, um die "Verdrahtung" des Gehirns zu entschlüsseln und damit den Informationsfluss beim Denken zu verfolgen. Das von Winfried Denk und Heinz Horstmann entwickelte Gerät erlaubt es, automatisch dreidimensionale Bilder von biologischen Geweben zu erstellen, und das mit einer Auflösung, bei der man auch die dünnsten Ausläufer von Nervenzellen verfolgen kann. Diese Ausläufer sind die "Drähte" des Gehirns, mit Hilfe derer auch weit voneinander entfernte Nervenzellen miteinander Signale austauchen können. Da diese Nervenfortsätze oft weniger als einen zehntausendstel Millimeter (100 Nanometer) im Durchmesser sind, was deutlich unter der optischen Auflösungsgrenze liegt, können sie im Lichtmikroskop nicht verfolgt werden, besonders wenn sie - wie fast überall im Gehirn - dicht gepackt vorliegen (PloS Biology, 19. Oktober 2004).

Um die nötige Auflösung zu erzielen, haben die Max-Planck-Forscher ein Elektronenmikroskop verwendet und dieses - und das ist das Neue an der Methode - mit einem in der Probenkammer montierten Mikrotom kombiniert, einem Apparat, der sehr dünne Gewebeschnitte herstellt. Das Mikrotom schneidet etwa 50 Nanometer dicke Scheibchen von einem Plastikblock ab, in dem das zu untersuchende Gehirngewebe eingebettet ist. Nach jedem Schnitt macht das Elektronenmikroskop ein Bild der Schnittfläche. Dieser Vorgang kann beliebig oft wiederholt und auch automatisiert werden. Auf diese Weise entsteht ein digitaler Bilderstapel und damit ein dreidimensionales Abbild der Gewebeprobe. In diesem kann man selbst dünnste Nervenfortsätze erkennen und in drei Dimensionen verfolgen (vgl. Abb.).

Diese Methode, von den Autoren "Serielle Rasterelektronenmikroskopie der Blockoberfläche" (serial block-face scanning electron microscopy, SBFSEM) genannt, unterscheidet sich von bisher zur Beobachtung von biologische Proben verwendeten Verfahren zum einen dadurch, dass man zur Abbildung nicht Elektronen nutzt, die durch den dünnen Gewebeschitt hindurch scheinen (Durchlichtelektronenmikroskopie, transmission electron microscopy, TEM), sondern jene, die von der Oberfläche des Gewebeblocks zurückgeworfen werden. Hinzu kommt als zweiter wesentlicher Unterschied das in die Vakuumkammer des Elektronenmikroskops montierte Mikrotom.

Da konventionelle Mikrotome aus verschiedenen Gründen dafür nicht geeignet sind, haben die Autoren ein spezielles Mikrotom entwickelt, in dem sich insbesondere die Probe während des Schneidevorgangs nicht bewegt. Dies ist deshalb wichtig, da einer der Hauptvorteile der SBFSEM-Methode darin besteht, dass die Aufnahmen im Bilderstapel sehr gut überlappen, was das Verfolgen von neuronalen Fortsätzen erheblich erleichtert. Hingegen sind Ungenauigkeiten bei der Überlappung und Verzerrungen beim Schnittverzerrungen die Hauptprobleme bei der konventionellen Serienschnitt-Elektronenmikroskopie und müssen dort manuell korrigiert werden. Das macht die Aufnahme von großen Gewebebereichen praktisch unmöglich, während die Max-Planck-Forscher ohne weiteres Bilderstapel mit 2.000 Bildern mit SBFSEM aufnehmen können.

Die Wissenschaftler erwarten, dass neue Färbetechniken und automatischen Bilderkennungsmethoden es in Zukunft ermöglichen werden, Nervenfortsätze in SBFSEM-Bilderstapeln in großem Stil zu verfolgen. Während Wissenschaftler am Max-Planck Institut für medizinische Forschung speziell an der Entschlüsselung neuronaler Schaltkreise interessiert sind, dürfte die neue Technik zur Herstellung dreidimensionaler Gewebeaufnahmen auch in anderen Bereichen der Biologie sowie in der diagnostischen Medizin auf erhebliches Interesse stoßen.

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