Ein Tausendsassa für die Zellzüchtung

Eine poröse Aluminiumstruktur ermöglicht gesteuertes Wachstum von Zellen und erhält durch Polymerbeschichtungen oder eingebrachte Wirkstoffe vielfältige Funktionen

9. Januar 2012

Implantate, die Wirkstoffe speichern und ans umgebende Gewebe abgeben oder sich selbst von Bakterienbelag befreien; aktive Oberflächen, die das Wachstum bestimmter Zellarten zu bestimmten Orten auf der Oberfläche lenken und somit das Züchten von komplexen Geweben, vielleicht sogar ganzen Organen ermöglichen: Diesen Zielen sind Materialforscher des Max-Planck-Instituts für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Golm nun einen entscheidenden Schritt näher gekommen. Sie haben ein Material entwickelt, das gewebeverträglich und mechanisch belastbar ist, gleichzeitig das Wachstum von Zellen sowohl in der Zeit als auch räumlich steuern und Wirkstoffe in seiner porösen Struktur speichern und bei Bedarf abgeben kann.

Die Golmer Wissenschaftler um Katja Skorb haben in Zusammenarbeit mit Forschern der Universität Bayreuth eine simple Aluminiumoberfläche in einen Tausendsassa für biologische Anwendungen verwandelt. Das Material bietet Halt für Zellen, speichert Wirkstoffe, die bei Bedarf abgegeben werden können, ermöglicht ein gemustertes Wachstum von Zellen und reinigt sich selbst.

Die Forscher bestrahlen die Aluminiumoberfläche in einem Wasserbad mit Ultraschall, wodurch sich eine ungefähr 200 Nanometer (Millionstel Millimeter) dicke schwammähnliche Struktur entwickelt, die mit dem darunterliegenden Aluminium fest verbunden bleibt. Der Ultraschall erzeugt Hitze und chemisch reaktive Moleküle aus dem Wasser, die mit der Oberfläche reagieren. So bildet sich die poröse Struktur. Diese bietet ausgezeichneten Halt für Zellen oder Schutzschichten. Darüber hinaus lassen sich in den Poren Wirkstoffe, etwa Antiseptika, Desinfektionsmittel oder Medikamente, speichern.

Die Golmer Forscher zeigten, dass sich auf ihrer porösen Struktur Bakterien in definierten räumlichen Mustern und zeitlich gesteuert züchten lassen. Zu diesem Zweck beschichteten sie die poröse Aluminiumoberfläche mit einem Kunststoff, der Mizellen bildet. Dabei handelt es sich um winzige Kunststoff-Kapseln, die aus einem Kern, einer Schale und einer Korona bestehen, welche die Schale wie eine zweite Hülle umgibt. Die Korona besteht aus fadenförmigen Molekülen, die wie die Stacheln eines Igels flach an der Schale anliegen oder strahlenförmig von ihr wegweisen können. Ersteres tun sie bei einem hohen und letzteres bei einem niedrigen pH-Wert der Lösung, in der sich die Mizellen befinden. Denn bei sinkendem pH-Wert verliert die Schale ihre negative Ladung. Dann haften die positiv geladenen Koronafäden zum einen nicht mehr an ihr. Zum anderen bewirkt die positive elektrische Ladung der Mizellen, dass diese sich gegenseitig abstoßen und strahlenförmig ausrichten.

Selbstreinigung durch eine pH-empfindliche Kunststoffbeschichtung

Über diesen Mechanismus kontrollierten die Golmer Forschern die Bindung von Bakterien an die Aluminiumoberfläche: Sie tauchten Aluminiumproben mit poröser Oberfläche in eine Bakterienlösung. Im Mikroskop war zu sehen, dass sich die Mikroorganismen auf der Oberfläche niederließen. Durch ihren Stoffwechsel versauerten die Bakterien die Lösung, senkten also ihren pH-Wert. Dadurch streckten sich die Fadenmoleküle der Mizellen mit den Mikroorganismen – ähnlich wie ein Igel seine Stacheln aufstellt. Daraufhin lösten sich die Milchsäurebakterien von der Oberfläche. „Das ist ein spektakulärer Selbstreinigungs-Effekt, der bei einem ganz bestimmten pH-Wert ausgelöst wird“, sagt Katja Skorb.

Das Team um Skorb demonstrierte außerdem, wie der Aluminiumschwamm mit einem Wirkstoff beladen werden kann. Ebenfalls mithilfe von Ultraschall brachten die Forscher Silber in die Poren ein. Bei Proben, die Silber enthielten, starben die anhaftenden Milchsäurebakterien ab. „Dieser Effekt zeigt deutlich die antimikrobielle Aktivität der porösen Oberfläche“, erläutert Skorb. Andere Wirkstoffe lassen sich in die Poren füllen und bei Bedarf gezielt freisetzen, etwa durch eine Änderung des pH-Wertes, der Temperatur, eines magnetischen oder elektromagnetischen Feldes.

Auch wie sich die Anhaftung der Bakterien räumlich regulieren lässt, untersuchten die Golmer Forscher. In einem weiteren Versuch beschichteten sie die Aluminiumoberfläche streifenförmig mit Teflon. Anschließend brachten sie die Mizellen auf die Oberfläche. Nach der Entfernung des Teflons blieb ein streifenförmiges Muster der Mizellen zurück, quasi das Negativ des vorherigen Teflonmusters. „So entsteht eine Oberfläche, auf der die Hafteigenschaften für die Bakterien räumlich variieren“, erläutert Skorb. Bei Erniedrigung des pH-Wertes lösten sich die Bakterien nämlich nur von den mit Mizellen besetzten Streifen ab, wie die Forscher unter dem Mikroskop beobachteten. In Zukunft könnten solche Oberflächen dazu dienen, komplexe Gewebestrukturen zu züchten, sagt Skorb. Dies könne etwa bei der Zucht von Organen eine Rolle spielen.

Wechselwirkungen zwischen Zellen und der Oberfläche lassen sich steuern

Der Selbstreinigungseffekt wiederum könne zum Schutz von biokompatiblen Oberflächen, etwa bei Implantaten, genutzt werden. „Ein Vorteil besteht darin, dass die Energie dafür von den Bakterien selbst geliefert wird und nicht von außen zugeführt werden muss“, sagt Skorb. Weitere Anwendungsmöglichkeiten könnten Fäulnis verhütende Oberflächen sein. Auch für die Stammzellforschung sei die Technik interessant, sagt die Chemikerin. „Insgesamt zeichnet sich unsere dreidimensionale Oberflächenstruktur sowohl durch ihre raum- als auch ihre zeitabhängige Funktionalität aus“, sagt Skorb. Darüber hinaus verbrauche die Methode weniger Energie und umweltschädliche Chemikalien als andere Verfahren zur Herstellung poröser Oberflächen.

Die Golmer Forscher planen, die Funktionalität des Materials künftig auch über andere Mechanismen als den pH-Wert zu steuern. So ließen sich für die Beschichtung auch temperaturempfindliche Polymere verwenden. Eine derart beschichtete dreidimensionale Schwammstruktur könnte als Temperatursensor dienen, der räumliche Temperaturunterschiede registriert.

Denkbar ist auch, die porösen Oberflächen künftig als intelligente multifunktionelle Wirkstoff-Depots einzusetzen. „Das ist besonders vielversprechend für medizinische Anwendungen, bei denen die Wechselwirkung von Zellen mit Oberflächen über einen längeren Zeitraum sehr gezielt und lokal gesteuert werden muss“, sagt Skorb. Dies sei etwa bei Implantaten, in der Stammzellforschung und in der Sensorik der Fall. So wollen die Forscher nun das Wachstum von Stammzellen auf der porösen Aluminiumstruktur untersuchen. „Moderne Entwicklungen der Materialwissenschaften können also auch in den Lebenswissenschaften erheblich an Bedeutung gewinnen“, resümiert Skorb.

CM/PH

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