Betriebliche Bündnisse für Arbeit - das Ende des Flächentarifvertrags?
Neue Studie des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung belegt: Betriebliche Regelungen führen nicht zur Abschaffung des Flächentarifs
In den 1990er Jahren hat sich in deutschen Unternehmen eine neue Art von Abkommen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern etabliert. Noch ist wenig über die Merkmale und Funktionsweise der so genannten Bündnisse für Arbeit auf betrieblicher Ebene bekannt. Doch wird ihnen ein bedeutender Beitrag zur Dezentralisierung des deutschen Lohnverhandlungssystems zugeschrieben. Eine Studie am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung macht deutlich, dass die Bündnisse zwar erheblich zum Wandel, aber keineswegs zur Abschaffung des Flächentarifs beigetragen haben.
Sie sind eine Antwort auf verschärfte Wettbewerbsbedingungen auf internationalen Produktmärkten: die so genannten betrieblichen Bündnisse für Arbeit. Arbeitnehmer und Arbeitgeber vereinbaren (meist wechselseitige) Konzessionen zur Beschäftigungssicherung und Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens auf. Damit sollen die Arbeitskosten gesenkt und die Arbeitsbedingungen flexibilisiert werden. Als Gegenleistung erhalten die Arbeitnehmer Beschäftigungsgarantien oder Investitionszusagen.
Von traditionellen Betriebsvereinbarungen unterscheidet sich ein betriebliches Bündnis dadurch, dass auch Themen verhandelt werden, die nach den Bestimmungen des Betriebsverfassungsgesetzes nicht der Mitbestimmung unterliegen, sondern dem Weisungsrecht der Unternehmensleitung oder der Regulierung durch die Tarifparteien. Betriebliche Pakte sind damit komplexer als herkömmliche Betriebsvereinbarungen und erfassen auch Themenfelder wie Personalpolitik, Lohnfindung, Arbeitsbedingungen, Investitionsentscheidungen oder die Organisation der Produktionsbedingungen. Die mit den Bündnissen einhergehende schleichende Erweiterung der betrieblichen Mitbestimmung um das Themenfeld der Investitionsentscheidungen stellt besonders die Betriebsräte vor große Herausforderungen.
Betriebliche Pakte antworten auf eine akute und existenzielle Krisensituation, und sie beinhalten verpflichtende Regelungen für jede Seite. Die Spielräume geltender Flächentarifverträge werden dabei genutzt, gedehnt und manchmal auch überschritten. Betriebliche Pakte sind ein neues und innovatives Instrument im deutschen Lohnverhandlungssystem, sagen die einen. Andere betrachten sie als Vorboten des Zusammenbruchs des zentralen Lohnverhandlungssystems in Deutschland.
Die Anzeichen für eine Schwächung des Flächentarifes sind deutlich. Sein Geltungsbereich schrumpft kontinuierlich, die Zahl der Haustarifverträge steigt parallel dazu an. Immer weniger Beschäftigte sind flächentarifgebunden. 1998 waren es in Westdeutschland nur noch rund 69 Prozent. "Dennoch ist die überbetriebliche Regulierung der Arbeitsbedingungen in Deutschland noch der Regelfall," betont Britta Rehder, Nachwuchswissenschaftlerin am Kölner Max-Planck-Institut und Autorin der Studie. "Das heißt nicht, dass sich nichts verändert hätte. Vielmehr hat sich der Flächentarif selbst tief greifend gewandelt und für die betrieblichen Bündnisse geöffnet." Die Normierungskraft des Flächentarifes hat abgenommen. Er ist jedoch weit davon entfernt, obsolet zu werden.
"Wandel kann eine wichtige Voraussetzung für Stabilität sein", stellt die Wissenschaftlerin fest und zeigt in ihrer Studie, wie Arbeitgeber und Arbeitnehmer gemeinsam den Wandel ihres Verhandlungssystems vorantrieben, ohne den Fortbestand des Flächentarifs in Frage zu stellen. Die Verbetrieblichung hat zugenommen, für die meisten Unternehmen fand dies jedoch innerhalb des "dualen Systems" der deutschen Arbeitsbeziehungen statt. Die Arbeitsteilung zwischen betrieblicher und überbetrieblicher Regulierung wurde nicht aufgehoben, sondern neu gestaltet. Tarifverträge markieren heute vielfach immer noch die Grenzen für betriebliche Vereinbarungen. Neu ist, dass die Möglichkeit, betriebliche Vereinbarungen abzuschließen ihrerseits gleichzeitig Restriktionen für das Tarifvertragssystem setzt.
Rehders Studie zeigt zudem, dass die betrieblichen Bündnisse keine spezifisch deutsche Erscheinung sind. Ihre Wurzeln liegen im amerikanischen "Concession Bargaining" der achtziger Jahre, das von in den USA ansässigen Automobilkonzernen nach Deutschland importiert wurde. Durch schrittweise Anpassung an das deutsche Institutionensystem entwickelte sich das "Concession Bargaining" zum "betrieblichen Bündnis". Lohnkonzessionen der Arbeitnehmer, wie sie in den USA üblich sind, sind aufgrund tarifvertraglicher Regulierungen und des großen Einflusses der Arbeitnehmervertretungen in Deutschland nur begrenzt möglich. So wurden in deutschen Bündnissen alternative Konzessionen entwickelt, die produktivitätssteigernde Maßnahmen und Programme zur Arbeitsumverteilung beinhalten. Und während in den USA Konzessionsverhandlungen häufig mit gewerkschaftsfeindlichen Strategien der Arbeitgeber einhergingen, geschah in Deutschland das Gegenteil: Betriebliche Bündnisse wurden meist mit den Gewerkschaften geschlossen und nicht ohne oder gegen sie.
Für ihre Studie analysierte Britta Rehder Daten der 100 größten deutschen Unternehmen aus dem Zeitraum von 1986 bis 1996. In 52 dieser Unternehmen wurden im angegebenen Zeitraum 156 Vereinbarungen geschlossen. Diese bilden das Herzstück der Untersuchung. Interviews mit Vertretern der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite sowie Verbandsvertretern waren ebenso Bestandteil der Studie wie eine Dokumentenanalyse und die Auswertung bereits vorliegender Datensammlungen zum Thema. Die Studie ist als Dissertation im Rahmen eines Forschungsprojekts zum Einfluss der Internationalisierung auf das deutsche System der Arbeitsbeziehungen am Kölner Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung entstanden und im Oktober 2003 im Campus Verlag erschienen. Rezensionsexemplare erhalten Sie von der Pressestelle des Verlags unter Tel. 069/976516-20.