Die Wissenschaft als Brückenbauer

Eröffnung des "Max Planck – Weizmann Center for integrative Anthropology and Archaeology"

9. Januar 2012

„Intelligenz, so Chaim Weizmann, ist der „einzige Rohstoff“ über den Israel verfügt.“ Entsprechend stellte der erste Staatspräsident Israels die Weichen für die Zukunft des kleinen und an Ressourcen armen Landes. Und auch die folgenden Regierungen haben vor allem in Forschung und Bildung investiert. Heute gehört Israel mit seinen sechs Universitäten, dem Weizmann-Institut und zahlreichen staatlichen, industriellen und öffentlichen Forschungsinstituten zu den führenden Wissenschaftsnationen der Welt. Mit einer Aufwandsquote von fast fünf Prozent des Brutto-Inlands-Produkts für Forschung und Entwicklung führt Israel seit vielen Jahren die Weltrangliste an und weist gleichzeitig die höchste Dichte an Wissenschaftlern und Ingenieuren auf.

Israel zeigt, wie sehr sich hohe Investitionen in Forschung und Entwicklung langfristig auszahlen: So hat das Land bei einer Gesamtbevölkerung von knapp 7,8 Millionen Einwohnern seit der Staatsgründung 1948 bereits sechs Nobelpreisträger in den Bereichen Chemie, Wirtschaft und Weltraumforschung hervorgebracht - das belegt die hohe wissenschaftliche Qualität. Wirtschaftlich wandelte sich Israel in kurzer Zeit vom Kibbuz-Staat zur High-Tech-Nation. Dies konnte gelingen, weil die Politik in der Krebs- und Stammzellforschung, Kommunikations- und Biotechnologie, Medizintechnik sowie Solarenergie Raum und Geld für innovative und kreative Lösungen geschaffen hat.

Beeindruckend ist auch, wie weit vorn Israel im Vergleich zu Europa in der Mobilisierung von privatem Risikokapital liegt. Zahlreiche Forschungsdurchbrüche stammen aus Industrielaboren sowie kleineren und mittleren High-Tech-Firmen. Doch auch die Universitäten spielen hier seit den 1990er-Jahren eine zunehmend wichtigere Rolle, was sich an kommerziellen Vermarktungsagenturen ebenso zeigt wie an der hohen Anzahl universitärer Patentträger und Industrieparks in der Nähe von Hochschulen.

Weitere Erfolgsfaktoren für Israels Wirtschaft und Forschung waren von Beginn an die Unterstützung und enge Kooperation mit den USA, später zunehmend mit Europa. Heute ist Deutschland nach den USA der wichtigste Wissenschaftspartner Israels. Während am Anfang der deutsch-israelischen Beziehungen nach dem Holocaust auf deutscher Seite vor allem der Wunsch nach Wiedergutmachung stand, verbindet uns mittlerweile ein Dialog auf Augenhöhe. Ein Symbol für die gleichberechtigte Partnerschaft beider Länder im Forschungsbereich ist für mich die kommende Eröffnung des ″Max Planck – Weizmann Center for integrative Anthropology and Archaeology″ mit dem Weizmann-Institut und dem Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig. Für ein weiteres Center in der Neurobiologie sind wir derzeit noch in Abstimmung mit der Hebräischen Universität in Jerusalem.

Hier haben sich hervorragende Partner gefunden, die ihre Synergien in einem solchen Center nutzen und von beiden Seiten, von der Max-Planck-Gesellschaft und einer israelischen Forschungsinstitution, hervorragend ausgestattet werden. Diese Kooperation auf vielversprechenden Themenfeldern lässt große Erwartungen zu. Jährlich stehen themenabhängig bis zu einer Million Euro zur Verfügung, von denen wir und die Partnereinrichtung jeweils die Hälfte aufbringen. Diese Form der Zusammenarbeit ist möglich, weil die israelischen Universitäten ihre Mittel qualitätsorientiert einsetzen und ihren Wissenschaftlern gleichzeitig die für die kreative Entfaltung nötige Unabhängigkeit bieten.

Max Planck Center gründen wir weltweit nur mit wenigen ausgesuchten erstklassigen Partnern, mit denen wir in zukunftsweisenden Forschungsfeldern intensiv zusammenarbeiten wollen. Die Kooperation geht dabei deutlich über eine bilaterale Partnerschaft hinaus. Mit den Centern wollen wir insbesondere den Austausch von Nachwuchswissenschaftlern stimulieren, sei es über die gemeinsame Doktorandenausbildung in einer International Max Planck Research School, über den Ausbau von gemeinsamen Postdoktoranden-Programmen oder die Einrichtung von Nachwuchs- und Partnergruppen. Labore, Geräte und Bibliotheken werden gemeinsam genutzt und auch Förderanträge bei Drittmittelgebern für die Projektzusammenarbeit gemeinsam gestellt – wie es im Bereich von EU-Förderanträgen zwischen israelischen und deutschen Forschern seit Jahren bestens funktioniert.

In den schwer belasteten deutsch-israelischen Beziehungen kam der Wissenschaft nach 1945 die Rolle eines Brückenbauers zu. Wissenschaft ist per se transnational, und so wirkten gemeinsamer Forschergeist und Neugier als Motor der gegenseitigen Annäherung. Allerdings sollte es bis 1959 dauern bis es – nach dem Grauen des Holocausts, in dessen Folge zahlreiche jüdische Wissenschaftler ermordet wurden oder aus Deutschland emigrieren mussten – zu ersten Begegnungen von deutschen und israelischen Forschern kam. Gegen Widerstände aus beiden Ländern reiste auf Einladung des Weizmann-Instituts erstmals eine Delegation der Max-Planck-Gesellschaft unter Leitung des damaligen Präsidenten, des Chemie-Nobelpreisträgers Otto Hahn, nach Rehovot. Damit wurde der Weg für eine bis heute andauernde fruchtbare wissenschaftliche Zusammenarbeit bereitet.

Ein Jahr später kam es in New York zu einer politisch folgenreichen Begegnung zwischen dem israelischen Ministerpräsidenten Ben Gurion und Konrad Adenauer. Der deutsche Bundeskanzler versprach unter anderem eine drei Millionen DM-Spende für das Weizmann-Institut, womit der Grundstein für eine enge institutionelle Zusammenarbeit von Max-Planck-Gesellschaft und Weizmann-Institut gelegt wurde. Nur vier Jahre später – und noch immer vor der Aufnahme diplomatischer Beziehungen – sicherte der Minerva-Vertrag die Zusammenarbeit zunächst exklusiv mit dem Weizmann Institut, bald aber auch mit israelischen Universitäten.

Die Minerva Stiftung GmbH, eine Tochtergesellschaft der Max-Planck-Gesellschaft, ist ein wichtiger Pfeiler in der seit den 1960er-Jahren gewachsenen Förderung der Forschung in Israel. Diese Förderung ist kein einseitiger Transfer. Sie dient vielmehr dem wissenschaftlichen Dialog beider Länder. Aktuell existieren 34 Minerva-Zentren an israelischen Universitäten und Forschungseinrichtungen, wo in unterschiedlichsten Feldern von den Geschichtswissenschaften bis zur Umwelttechnologie, von der Informatik bis zu den Rechtswissenschaften geforscht wird. Die Zentren finanzieren sich aus gleichen Teilen durch Kapital, das die Bundesregierung über die Jahre zur Verfügung gestellt hat und durch einen Eigenbetrag der jeweiligen israelischen Universität, die das Zentrum betreibt.

Das Programm stellt sich gerade neu auf: Minerva-Zentren werden nun im Wettbewerb gegründet und stellen für einen befristeten Zeitraum von fünf bis zehn Jahren neue innovative Forschungsbereiche in beiderseitigem Interesse in den Fokus. Die Minerva-Zentren stimulieren den intensiven Austausch zwischen israelischen und deutschen Wissenschaftlern, die auch von deutschen Universitäten kommen. Als Einrichtung der Max-Planck-Gesellschaft sichern wir die Qualität durch erprobte und exzellente Evaluationsverfahren.

Die Geschichte der deutsch-israelischen Wissenschaftsbeziehungen macht deutlich, dass beide Seiten nach den traumatisierenden Erfahrungen des Holocausts einen Weg zueinander finden konnten. Gerade für die Max-Planck-Gesellschaft ist die Geschichte ihrer Vorgängerorganisation, der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, eine besondere Verpflichtung. Denn auch die Kaiser-Wilhelm-Institute waren keine sichere Heimstatt für jüdische Forscher, viele von ihnen wurden während der nationalsozialistischen Diktatur vertrieben. Die Rolle der Max-Planck-Gesellschaft als Brückenbauer ist uns auch heute noch ein Anliegen und wird gleichzeitig von dem Wunsch unserer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler getragen, mit den besten Kolleginnen und Kollegen nach wissenschaftlicher Erkenntnis zu suchen.

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