Forschungsbericht 2011 - Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik

Mit Licht ohne Schaden virtuell schneiden – Selective Plane Illumination Microscopy (SPIM)

Autoren
Huisken, Jan
Abteilungen
Quantitative microscopy of zebrafish organogenesis (Huisken Lab)
Zusammenfassung
Fortschrittliche Lichtmikroskopie-Systeme sind Voraussetzung für neue Erkenntnisse zu Entwicklungsprozessen in lebenden Organismen. Bei innovativen Methoden entfällt lichtinduzierter Stress und Gesamtaufnahmen können schnell aus mehreren Blickwinkeln erstellt werden. Das ermöglicht eine Echtzeit-Analyse etwa der Organentwicklung ohne störende Eingriffe auf Ebene einzelner Moleküle, Zellen, Gewebe oder gar ganzer Embryonen.

‘Ein Bild sagt mehr als tausend Worte’ – schon immer war Bildgebung für die Lebenswissenschaften grundlegend wichtig und unverzichtbar. Mehr denn je hängt die Forschung in diesem Bereich heutzutage von leistungsstarken Geräten und bester Ausstattung ab. Der technologische Fortschritt hat Digitalkameras nun zum Standard werden lassen – damit können Bilder überall gemacht und auch umgehend angesehen werden. Das gilt auch in der Biologie: Mit Hilfe eines Mikroskops mit einer digitalen Kamera kann man biologische Phänomene einfach beobachten, aufzeichnen und messen. Allerdings ist auch hier die Welt komplexer geworden; ein Mikroskop allein reicht heute nicht mehr für gute Forschung aus. Vielmehr gehören aufwändige Arbeitsprozesse ebenso dazu wie sehr detaillierte Protokolle zur Probenvorbereitung, standardisierte Aufzeichnungssysteme und -schritte sowie der sehr anspruchsvolle Vorgang der Datenauswertung. Neue Erkenntnisse sind fast nur noch durch die immer weitergehende Verfeinerung und Entwicklung ausgeklügelten Equipments möglich.

Genau diese Weiterentwicklung der Technologie – beispielsweise das Streben nach einer besseren Auflösung der Bilder – erfolgte in der Fluoreszenzmikroskopie oft mit ‚Kollateralschäden’, nämlich auf Kosten der betrachteten Proben. Eine sehr hohe Lichtintensität oder lange Aufnahmezeiten erwärmen die zu untersuchenden Objekte unnötig oder setzen sie hohem lichtinduziertem Stress aus. In manchen Fällen muss die Probe fixiert oder gar geschnitten werden. Hier liegt ein Dilemma: Denn eigentlich sind Biologen daran interessiert, die Entwicklung lebender Organismen in Echtzeit in ihrer natürlichen Umgebung möglichst ohne Manipulation und Störung zu verfolgen und auch im Bild festzuhalten. Dementsprechend gehen die aktuellen Trends im Bereich der Bildgebung in der Entwicklungsbiologie eher weg von statischen Bildern und hin zu Zeitraffer-Filmen: Ein sich entwickelnder Organismus wird also über Stunden, ja gar Tage, „aufgezeichnet“. Zellbiologische Forschung bewegt sich zunehmend weg von der Zellkultur, bei der isolierte Zellen in der Petrischale recht unnatürlich agieren, und interessiert sich mehr und mehr für Zellverbände wie Gewebe oder ganze Organismen – auch, weil das kollektive Verhalten von Zellen ganz anders ist. Die Zeiten einzelner Zellen auf einem Objektträger sind mehr oder minder vorbei – heute wird beispielsweise mit Zell-Clustern gearbeitet, die auf einem dreidimensionalen Gerüst angeordnet werden und so die Bedingungen von echtem Gewebe nachahmen. Die Innovationen der letzten Jahrzehnte in der Mikroskopie eröffnen neue Wege und einen komplett anderen Ansatz. War es früher nötig, die Probe den Bedingungen des Mikroskops zu unterwerfen und sie dementsprechend zu manipulieren und anzupassen, kann man heute das Mikroskop an die Probe anpassen, es gleichsam um das in den Fokus gerückte Objekt herumbauen.

„Darf’s eine Scheibe mehr sein?“ – Lichtscheiben-Mikroskopie

Die Selective Plane Illumination Microscopy (SPIM) ist ein Beispiel für einen solchen neuen Mikroskopie-Ansatz (Abb. 1): Meist nur wenige Mikrometer dünne Ebenen der Probe werden mit Licht angeregt, und zwar in der Regel stunden- oder tagelang. Untersuchen lassen sich damit die unterschiedlichsten Objekte: Mikrotubuli, kultivierte Zellen, Fischlarven, Fruchtfliegen-Embryos oder Organschnitte der Maus. Bei SPIM liegt die Stärke auch in der hohen Flexibilität der Geräteanordnung: Das Mikroskop passt sich der Probe an.

Eigentlich ist die Technologie schon ein Kind des frühen 20. Jahrhunderts: Der Chemiker Richard Zsigmondy entwickelte gemeinsam mit dem für die Firma Zeiss arbeitenden Physiker Henry Siedentopf das erste Ultramikroskop – die Weiterentwicklung drang in neue Dimensionen vor und machte Partikel im Nanometer-Bereich sichtbar. 2004 wurde SPIM erstmals in der Biologie an einer lebenden Probe angewandt.

Die Vorteile der Selective Plane Illumination Microscopy liegen auf der Hand: Da nur eine hauchdünne Schicht der Probe beleuchtet und abgebildet wird, werden negative Effekte wie Bleichen oder lichtinduzierter Stress minimal gehalten. Auch entsteht keine Unschärfe. Das virtuelle Schneiden mit Licht liefert Schnittbilder, die zu einem 3D-Bild zusammengefügt werden können: Die Probe wird einfach durch die Lichtscheibe bewegt und gedreht, die Bildserie gibt die räumliche Struktur der Probe wieder. Bei Techniken wie der Laserscanning-Mikroskopie werden Photodioden oder spezielle Elektronenröhren als Detektoren eingesetzt – bei SPIM hingegen wird das Bild mit einer Kamera aufgenommen, was die Bildaufnahme ungleich schneller macht (ungefähr 30-200 Bilder pro Sekunde). In nur wenigen Millisekunden entsteht mit SPIM ein Bild, das Anfertigen von hunderten von Bildern dauert nur wenige Sekunden. Die Arbeitsgruppe von Jan Huisken am Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik in Dresden hat spektakuläre Bilder und Filme von lebenden Zebrafisch-Embryonen in gestochen scharfer Bildqualität erstellt. Sie machen sich die hohe Leistungsfähigkeit der SPIM-Mikroskopie bei Untersuchungen zur Entstehung des Herz-Kreislauf-Systems in diesem Modellorganismus zu Nutze.

Willkommen in der Lichtscheiben-Welt!

Bei der Lichtscheibenmikroskopie sind die Beobachtungsrichtung und die Richtung des anregenden Lichts im rechten Winkel angeordnet. Das hat zur Folge, dass beide Richtungen frei von Hindernissen sein müssen. Ein Hindernis im Strahl des anregenden Lichts etwa würde einen entsprechenden Schatten werfen und wäre im Bild als schwarzer Streifen zu sehen. Die für die Forschung interessanten Bereiche eines Embryos werden in der Regel in Richtung des Detektionsobjektivs angeordnet, das seitlich einfallende Anregungslicht muss also genau diese Bereiche erreichen können. Dies ist eine der Einschränkungen der Technologie – man muss sich vorher sehr genau überlegen, wie man die Probe im Mikroskopiesystem anordnet. Andererseits hat man viel Spielraum in der Art, wie man die Lichtscheibe entstehen lässt – ein weiteres Mal zeigt sich die Technologie hier extrem flexibel. Und noch ein Trick ist denkbar: Im sog. multidirektionalen SPIM (mSPIM) wird die Probe während der Belichtungszeit aus mehreren Winkeln beleuchtet – und eliminiert somit störende Streifen im Bild, die sonst entstehen, wenn die Lichtscheibe die Probe durchwandert. Neuere Anordnungen verwenden auch zwei entgegengesetzte Lichtquellen und überlagern dann die beiden entstehenden Bilder zu einem.

Der vielfache Blick bringt den Durchblick – Multi-view imaging

Allerdings: Selbst wenn die Lichtscheibe die gesamte Probe ohne jegliche Hindernisse durchleuchtet, streut die abstrahlende Fluoreszenz. Je tiefer die Scheibe in die Probe eindringt, desto mehr Streuung entsteht – und desto geringer wird die Bildqualität. Die Lösung für dieses Problem: Das Gesamtbild der Probe wird aus einzelnen Datensätzen aufgebaut, die alle unter idealen Bedingungen stattfinden – die Probe wird dazu rotiert. Die Seite des Objekts, die der lichtgebenden Richtung und gleichzeitig der Detektionsrichtung zugewandt ist, kann in bester Bildqualität abgebildet werden. Schrittweise wird die Probe gedreht und der nächste Datensatz generiert. In der Regel wird dieser Vorgang vier- bis zwölfmal durchgeführt. Die einzelnen Datensätze werden zu einem einzigen Bild verschmolzen – und ergeben eine 3D-Abbildung der Probe (Abb. 2).

Es ist unmöglich, einen lebenden, zwei Tage alten Zebrafisch-Embryo mit einer durchgehend guten Auflösung aus nur einem Winkel abzubilden. Aber auch hier kann das Multi-view imaging zu einem gestochen scharfen Bild verhelfen: Die Abbildung des gesamten Fisches wurde aus 18 Datensätzen aufgebaut, nämlich aus drei Bereichen des Fischkörpers, abgebildet aus jeweils sechs Blickwinkeln. Das Ergebnis nach der Zusammenführung aller Daten: Eine 3D-Momentaufnahme in bester Bildqualität (Abb. 3).

Was die Zukunft bringen wird

Da die Selective Plane Illumination  Microscopy die Störungen durch Bleichen und lichtinduzierten Stress auf einem sehr geringen Niveau hält, können ununterbrochen Unmengen an Bildern in schneller Folge hergestellt werden. Es ist nicht mehr die Probe, die die Anzahl der gewonnenen Bilder limitiert wie in gängigen Mikroskopie-Formen; einzig die Geschwindigkeit der verwendeten Kameras und der Datenauswertung setzen Grenzen. Die Datenmengen, die bei Zeitraffer-Experimenten mit SPIM anfallen, sind enorm: Es kommen bei nur einem Experiment schnell hunderte von Gigabytes oder gar einige Terabytes zusammen.

Die Zukunft wird – so ist anzunehmen – eine Weiterentwicklung der Technologie bringen und die bisherigen Grenzen der Bildgebungsverfahren weiter auflösen. Es bleibt zu hoffen, dass die Lichtscheiben-Mikroskopie mit ihren unglaublichen Möglichkeiten nicht mehr nur spezialisierten Arbeitsgruppen aus dem Gebiet der Optik vorbehalten bleibt, sondern bald auch anderen Forschungsprojekten zur Verfügung stehen wird. Die Probenvorbereitung für die SPIM-Technologie steckt noch in den Kinderschuhen, wird sich aber auch weiterentwickeln, die Begrenztheiten der Datengenerierung und -verarbeitung werden sich auflösen. Damit eröffnen sich ganz neue Möglichkeiten für Einsichten in die Echtzeit-Entwicklung von lebenden Organismen in ihrer natürlichen Umgebung.

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