Drum prüfe, wer sich ewig bindet

Max-Planck-Polymerforscher entwickeln hochsensiblen Test für die Genom- und Proteomforschung sowie für die Lebensmittelkontrolle

27. März 2003

Biologisch relevante Makromoleküle, wie DNS, RNS oder Proteine, können sich wechselseitig erkennen. Das macht man sich heute intensiv bei neuen Techniken zur Untersuchung von Genen und Proteinen, aber auch von intrazellulären Prozessen in lebenden Organismen zunutze. Grundprinzip ist dabei: Passen zwei Moleküle zueinander, "erkennen" sie sich und binden aneinander. Auf diese Weise kann man diejenigen Moleküle aus einer Lösung heraus fischen, die zu den Strukturen des "Köder-Moleküls" passen. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Polymerforschung haben jetzt ein neues Detektionsverfahren für Biomoleküle vorgestellt, das auf einer Kombination aus Oberflächenplasmonen-Anregung und Fluoreszenzmikroskopie beruht (Langmuir, 4. März 2003). Mit bisher unerreichter Genauigkeit können sie damit Erkennungsreaktionen von Biomolekülen beobachten und beispielsweise bestimmte Gene oder unbekannte DNS nachweisen. Dank der extrem hohen Empfindlichkeit können Bindungsreaktionen in kleinsten Probenmengen untersucht und zudem parallel, in-situ und in Echtzeit gemessen werden. Daher eignet sich das neue, in mehreren Patenten abgesicherte Verfahren hervorragend für neue Biochips in der Genom- und Proteomforschung, aber auch für die Bestimmung gentechnisch veränderter Bestandteile in Lebensmitteln.

Unsere Erbanlagen bestehen aus aneinander gekoppelten Nukleinsäuren, die sich mit ihrem jeweiligen komplementären Partner durch Basenpaarungen zu einem Doppelstrang, der Doppelhelix, verbinden. Wird diese Paarbildung gestört, können genetische Probleme auftreten. Viele Analysesysteme, mit denen man solche genetischen Abweichungen feststellen kann, konzentrieren sich auf die so genannte Hybridisierung, d.h. die Zusammenführung komplementärer Nukleinsäure-Einzelstränge mittels Basenpaarung. Dazu wird eine Test-Oligonukleinsäure-Sequenz markiert, oft mit einem Farbstoff, so dass die Hybridbildung beobachtet und jede Unregelmäßigkeit festgestellt werden kann.

Heute stoßen diese Analysemethoden in Empfindlichkeit und Spezifität aber immer mehr an ihre Grenzen, während die weitere Erforschung von Genen und Proteinen neue, schwierige Herausforderungen aufwirft: Zum einen liegen die interessantesten Proteine - wie Hormone, Wachstumsfaktoren und intrazelluläre Signal-Proteine - in biologischen Proben nur in geringsten Konzentrationen vor. Deshalb müssen "Köder"-Moleküle auf Biochips in der Lage sein, Ziel-Proteine aus picomolaren (10-12 mol) oder sogar femtomolaren (10-15 mol) Lösungen zu identifizieren. Zudem kann die Konzentration von Biomolekülen in einer Probe über mehrer Größenordnungen hinweg variieren. Zum anderen möchte man diese Analysen möglichst realtime mit einer immer größeren Anzahl an Proben durchführen.

Die von den Mainzer Polymerforschern jetzt entwickelte Detektionsmethode ermöglicht es nun tatsächlich, diese Hybridisierungsreaktionen in Echtzeit zu beobachten und zum Beispiel Gene mit Hilfe winziger "Köder", die auf einem chipförmigen Glasträger fixiert sind, gezielt aus einem Zellextrakt herauszufischen. Dazu werden bekannte einsträngige DNS-Sequenzen auf einem mit Gold beschichteten, speziell präparierten Glaschip aufgebracht, der dann in einer Durchfluss-Zelle unter ein Oberflächenplasmonen-Mikroskop gebracht wird. Die Target-Moleküle werden markiert, so dass sie ein Fluoreszenz-Signal aussenden, wenn sie an ein Fänger-Molekül gebunden haben. Dann werden komplementäre DNS-Sequenzen, die zuvor mit einem speziellen Farbstoff markiert wurden, durch diese Zelle geleitet. Da das System energetisch hoch angeregt ist, wird beim erfolgreichen Ankoppeln der Test-Nukleinsäuresequenz diese Zusatzenergie freigesetzt. Diese Fluoreszenz-Energie kann online mit einer entsprechenden optisch hochsensiblen CCD-Kamera aufgezeichnet werden. Die Bilder werden an einen Computer übertragen und mit Hilfe einer Bildauswertungssoftware quantifiziert, ihre Häufigkeit bestimmt.

Die Oberflächenplasmonen-Resonanz (Surface plasmon Resonance, SPR) in Kombination mit Fluoreszenzmikroskopie auf einem biospezifischen Sensor-Chip ist eine relativ neue Methode zur Untersuchung biomolekularer Interaktionen. Oberflächenplasmonen (genauer: plasmonische Oberflächen-Polaritonen) sind gekoppelte Anregungszustände zwischen einer elektromagnetischen Welle und den plasmonischen Elementaranregungen des fast freien Elektronengases eines (Edel-) Metalls. Man kann sie als eine Art "Oberflächengebundenes Licht" betrachten, welches in gleicher Weise mit Materialien wechselwirkt, wie das "ebene" elektromagnetische Wellen, normale Photonen, auch tun. Wegen seiner elektromagnetischen Natur werden Farbstoffmoleküle in einem Plasmonenfeld angeregt und zur Emission von Fluoreszenzphotonen veranlasst.

Grund-Idee des Verfahrens ist es, die physikalisch-chemischen Veränderungen zu erfassen, wenn ein Fänger-Molekül ein Target-Molekül an sich bindet. Dazu wird ein Glasträger mit einer Goldschicht (ca. 50 Nanometer) überzogen, welche wiederum mit einer funktionellen Interaktionsschicht (100 Nanometer) versehen wird. An den Liganden oder Bindungspartner auf der Interaktionsschicht wird eines der interagierenden Moleküle, das Ziel- oder das Targetmolekül, gebunden und bildet eine biospezifische Erkennungsschicht. Die von den Max-Planck-Forschern entwickelte funktionelle Grenzflächenarchitektur besteht aus einer Thiol-Monolage, daran angebunden eine Monoschicht aus dem Protein Streptavidin, die als universelle Matrix dient, an der DNS-Stränge als "Köder" (Catcher Probes) andocken. Diese Oberfläche muss so beschaffen sein, dass eine unspezifische Adsorption verhindert wird.

Der mit den "Köder"-Nukleotiden besetzte Chip wird dann mit seiner reaktiven Seite in einer Durchflusszelle installiert, die mit einem entsprechenden Ein- und Auslass im Durchfluss betrieben werden kann. Über die spezifische Beschichtung des Sensors fließen dann im eigentlichen Hybridisierungs-Experiment mehrere Lösungen mit verschiedenen Farbstoff-markierten Target-Sequenzen, die dann selektiv an der Grenzfläche koppeln. Diese Vorgänge werden mit einer optischen Aufnahme-Einheit erfasst. Diese besteht aus einem Laser als Lichtquelle, der über ein Prisma die Oberfläche des Biochips in der Durchfluss-Zelle - gewissermaßen von außen - unter einem bestimmten Winkel beleuchtet, so dass der Lichtstrahl total reflektiert wird. Unter diesen Bedingungen wird eine Oberflächenplasmonen-Welle auf der Gold-Oberfläche angeregt. Nach einem Versuch kann der Chip mit einer Regenerationslösung gespült werden, um gebundene Zielmoleküle zu entfernen und den Ausgangszustand für neue Tests wieder herzustellen.

Die neue Technologie kann vor allem für so genannte Microarrays, auch DNS-Arrays, DNS-Chips, Biochips oder Genchips genannt, genutzt werden. Sie nutzen die präferentielle Bindung komplementärer einsträngiger Nukleotid-Sequenzen: Der unbekannte Target DNS-Strang wird auf einem geordneten Biochip mit gebundenen Gen-Proben hybridisiert, deren Sequenz bekannt ist. So kann man feststellen, welche Gene in einem gegebenen Zelltyp zu einer bestimmten Zeit und unter bestimmten Bedingungen vorhanden werden. Man kann sie auch dazu verwenden, um die Gen-Expression in zwei verschiedenen Zelltypen oder Gewebeproben zu vergleichen, beispielsweise gesundes und Diabetiker-Gewebe, oder um die Gen-Expression während verschiedener Stadien des Zell-Zyklus oder der embryonalen Entwicklung zu vergleichen. Microarrays werden auch für den Genom-weiten Vergleich chromosomaler Veränderungen genutzt, oder um natürliche genetische Unterschiede zwischen Individuen festzustellen, wie die single-nucleotide polymorphisms (SNP's). Diese können Informationen liefern, für welche Krankheit ein Individuum eine Prädisposition zeigt bzw. wie ein Patient auf eine spezielle Klasse von Wirkstoffen reagiert. Ein SNP ist die Substitution von einem einzelnen Nukleotid an einer speziellen Stelle in einem Gen: So können einige Individuen einer Population die Base "A" haben, während andere an der selben Stelle die Base "C" besitzen.

Der Betrieb des Biochips in einer Durchflusszelle kann auch in Verbindung mit einer künstlichen Membran genutzt werden, um den Transport durch eine Zellmembran und die dort stattfindenden Interaktionen zu erforschen, oder um zu untersuchen, wie Wirkstoffe von bestimmten Proteinen zum Beispiel im Blut absorbiert und transportiert werden können. Doch ihr Einsatz ist nicht beschränkt auf die biologische Grundlagenforschung. Sie finden auch Anwendung bei der Identifikation neuer Targets für therapeutische Wirkstoffe, in der Krankheitsdiagnose oder dem Studium der genetischen Basis für die Antwort eines Individuums auf Umweltfaktoren. Entsprechend können pharmazeutische Firmen die neuartige Technologie nutzen, um Gene zu finden, die bei Krankheiten eine Rolle spielen oder die Antwort auf neue Wirkstoff-Kandidaten überprüfen. Zudem ermöglicht es diese hochsensible Technik, pflanzliche und tierische DNS in Lebensmitteln zu untersuchen und Fragen zu beantworten wie "Wo kommt unser Lachs tatsächlich her?" oder "Ist dieses Müsli frei von genetisch verändertem Mais?".

Noch ist die Oberflächenplasmonen-Fluoreszenzspektroskopie eine sehr junge Technologie. Doch für Prof. Wolfgang Knoll steht fest, dass dafür wegen der hohen Empfindlichkeit sowie der Möglichkeit, viele Tests parallel und in Echtzeit durchführen zu können, bereits jetzt interessante Anwendungen vor allem in der Biosensorik absehbar sind. Knoll, unter dessen Leitung das Testsystem entstand, meint: "Unser neues Detektionssystem ist in mehr als zehn Jahren intensiver Grundlagenforschung entstanden. Heute ist es technisch überprüft und patentiert. Unsere Industriepartner sind jetzt dabei zu testen, ob es für den großtechnischen Einsatz - mit den Herausforderungen einer weiteren Miniaturisierung, Automation und Parallelisierung - als ein Auslese-Schema für Gen- oder Proteinchips geeignet ist."

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