Ein kosmologischer Visionär wird mehrfach geehrt

Prof. Rashid A. Sunyaev, ein Pionier der Hochenergie-Astronomie, erhält den Dannie Heineman-Preis für Astrophysik sowie den Kosmologiepreis 2003

20. März 2003

Mit zwei hohen internationalen Auszeichnungen wird Prof. Rashid A. Sunyaev, Direktor am Max-Planck-Institut für Astrophysik in Garching, ausgezeichnet. Vom American Institute of Physics und der Amerikanischen Astronomischen Gesellschaft erhält er den Dannie Heineman-Preis für Astrophysik 2003 "für seine visionären Einblicke in die Wechselwirkung von Strahlung mit Materie in der Umgebung Schwarzer Löcher ebenso wie bei großen Entfernungen im Universum". Zudem erhält Sunyaev den mit 150.000 US-$ dotierten Kosmologie-Preis 2003 und die Goldmedaille der Peter Gruber Foundation und der Internationalen Astronomischen Union "für seine Pionierarbeiten zur Natur der kosmischen Hintergrundstrahlung und ihrer Wechselwirkung mit der kosmischen Materie". Der Kosmologie-Preis wird am 15. Juli 2003 während der 25. Hauptversammlung der Internationalen Astronomischen Union in Sydney/Australien vergeben.

Rashid A. Sunyaev wurde 1943 in Taschkent/Usbekistan in der früheren Sowjetunion geboren. 1966 schloss er sein Studium am Moskauer Physikalisch-Technischen Institut ab. Danach arbeitete er als Doktorand bei Yakov B. Zeldovich, Mitglied der Akademie der Wissenschaften, am Moskauer Institut für Angewandte Mathematik der Akademie der Wissenschaften der UdSSR. 1968 wurde er von der Staatlichen Moskauer Universität in Astrophysik promoviert. Von 1974 bis 1982 leitete Sunyaev das Labor für Theoretische Astrophysik am Raumforschungsinstitut (IKI) der Akademie der Wissenschaften der UdSSR. 1982-2002 richtete er die Abteilung für Hochenergie-Astrophysik am IKI ein. R.A. Sunyaev war Projektwissenschaftler für das Forschungsmodul "Quant" der Raumstation MIR sowie den russisch-französischen Gammastrahlensatelliten "GRANAT". Er leitet jetzt die russische Beteiligung am ESA-Gammastrahlenobservatorium "INTEGRAL". Im Oktober 1995 wurde Rashid A. Sunyaev zum Direktor und Wissenschaftlichen Mitglied des Max-Planck-Instituts für Astrophysik in Garching berufen. Prof. Rashid A. Sunyaev ist Träger vieler hochrangiger internationaler Auszeichnungen und Mitglied mehrerer Akademien.

Rashid A. Sunyaevs wissenschaftliches Interesse konzentriert sich vor allem auf die physikalische Kosmologie, die relativistische Astrophysik, die Wechselwirkung zwischen Materie und Strahlung sowie die Röntgenastronomie. Sein Name ist heute mit einer Reihe fundamentaler astrophysikalischer und kosmologischer Erkenntnisse verknüpft. Dazu gehören die nach ihm benannte Shakura-Sunyaev-"Standard"-Theorie von Akkretionsscheiben, der Sunyaev-Zeldovich-Effekt und die analytische Sunyaev-Titarchuk-Formel für die Entstehung von Spektren in heißen Plasmen durch den Comptonprozess (Photon-Elektron-Streuung). Der gemeinsam mit N.I. Shakura verfasste Aufsatz "Black holes in binary systems. Observational appearance" (Schwarze Löcher in Doppelsternsystemen. Beobachtbare Eigenschaften) [Astronomy & Astrophysics 24, 337-55 (1973)] ist eine der beiden meist zitierten Arbeiten in der modernen Astrophysik. Ausgehend von den Annahmen, dass eine Staubscheibe eine hohe Strahlungseffizienz besitzt und dass turbulente Viskosität der bestimmende Mechanismus für den Transport von Drehimpuls ist, haben die beiden Autoren eine Theorie für eine geometrisch dünne Staubscheibe entwickelt, die heute als die "Sha-kura-Sunyaev-Standardscheibe" bekannt ist. Solche Scheiben werden auch als "Shakura-Sunyaev-alpha-Scheiben" bezeichnet, weil die von den Forschern vorgeschlagene spezielle Parametrisierung der Viskosität sich als besonders einfach und nützlich herausstellte. Ihre Theorie erlaubt es, sehr detaillierte Vorhersagen für das entstehende Strahlungsspektrum der Akkretionsscheibe zu machen und Beobachtungen und Theorie direkt miteinander zu vergleichen. Die Theorie der geometrisch dünnen Akkretionsscheiben ist nicht nur für Schwarze Löcher von stellarer Masse wichtig, sondern auch direkt auf Aktive Galaxienkerne anwendbar, indem man alle wesentlichen Parameter auf einfache und klare Weise skaliert. Die moderne Theorie der Akkretion entwickelt sich weiter, und viele Fragen sind noch unbeantwortet (insbesondere auf dem Gebiet der Akkretionsströmungen, die ineffizient strahlen), aber die "Shakura-Sunyaev-Standardscheibe" bleibt einer der Eckpfeiler der Theorie.

Mehr als 30 Jahre sind vergangen, seitdem Rashid Sunyaev und Yakov Zeldovich die ersten Aufsätze zur Wechselwirkung zwischen der Kosmischen Mikrowellen-Hintergrundstrahlung (Cosmic Microwave Background, CMB) und der Materie im frühen Universum veröffentlicht haben. Inzwischen haben sich in diesem Gebiet aus eleganten theoretischen Ideen eine Vielzahl sehr nützlicher Werkzeuge für die beobachtende Kosmologie entwickelt. Die bekannteste dieser Ideen ist der so genannte "thermische Sunyaev-Zeldovich-Effekt" (SZ-Effekt), der zu einer kleinen spektralen Verformung führt, wenn man den CMB in Richtung auf einen Galaxienhaufen beobachtet. Der Effekt kommt daher, dass die Photonen des CMB von der Verteilung heißer Elektronen im Gravitationspotenzial des Galaxienhaufens gestreut werden. Inzwischen liegen Beobachtungen hoher Qualität und Bilder des Effekts für mehr als 50 Galaxienhaufen vor, deren Rotverschiebung bis zu z = 1 reicht. Neue Teleskope am Südpol, in 5.000 Meter Höhe in der Chilenischen Atacama-Wüste und an Bord des geplanten ESA-Satelliten "Planck Surveyor" werden es ermöglichen, Zehntausende entfernter Galaxienhaufen zu entdecken, die im Röntgen- oder optischen Licht nicht beobachtbar sind. Das APEX-Teleskop der Max-Planck-Gesellschaft in Chile wird eines der ersten Teleskope sein, die diesen neuen Weg zur Erforschung der Entstehung der ersten massereichen Objekte in unserem Universum eröffnen. Diese Galaxienhaufen werden uns auch Informationen über wesentliche Parameter des Universums liefern: die Dunkle Energie, die Dunkle Materie und die Hubble-Konstante.

Ein weiteres Phänomen ist der "kinetische Sunyaev-Zeldovich-Effekt", der auf Grund der Doppler-Verschiebung durch die Bewegung ganzer Galaxienhaufen eine weitere Verformung im Spektrum der gestreuten CMB-Photonen verursacht. Diese Verformung ermöglicht es, die Eigenbewegung entfernter Galaxienhaufen relativ zu dem Koordinatensystem zu messen, in dem der CMB am Ort des Galaxienhaufens ruht. Diese Effekte sind zu Lehrbeispielen geworden und fest etablierte Methoden der beobachtenden Kosmologie. Erstaunliche Fortschritte bei der Entwicklung immer empfindlicherer Ballon-, Satelliten- und bodengebundener Radio- und Sub-Millimeter-Teleskope haben es kürzlich ermöglicht, Leistungsdichte-Schwankungen im CMB auf Winkelskalen zu entdecken, die durch Schallwellen während der Rekombinationsphase festgelegt wurden (die Experimente sind die Ballonflüge Boomerang und Maxima-1 sowie der Satellit WMAP). Genau diese Maxima waren Inhalt des Aufsatzes "Small scale fluctuations of relic radiation" (Kleinskalige Schwankungen in der Hintergrundstrahlung) von Sunyaev und Zeldovich (1970). Die Eigenschaften dieser Maxima (insbesondere ihre Positionen und Amplituden) hängen empfindlich von den kosmologischen Parametern ab und stellen daher ein extrem nützliches Werkzeug für "Präzisionskosmologie" dar. Es ist sehr bemerkenswert, dass die Ideen, die Sunyaev vor über 30 Jahren vorgeschlagen hat, heute zu den fortschrittlichsten Methoden der beobachtenden Kosmologie gehören.

Rashid Sunyaev arbeitet weiterhin aktiv auf diesen Gebieten. Er hat kürzlich eine Reihe von Aufsätzen über die Polarisation des CMB und eine detaillierte Analyse der Verbreiterung schmaler Linien durch Compton-Streuung an relativistischen Elektronen veröffentlicht. Ein neues, elegantes physikalisches Modell der Grenzschicht zwischen einem Neutronenstern und einer Akkretionsscheibe wurde kürzlich vorgeschlagen. Dabei geht es darum, wie der Strom akkretierter Materie, der sich mit Geschwindigkeiten nahe der halben Lichtgeschwindigkeit bewegt, durch die Reibung am Neutronenstern abgebremst wird. Der erzeugte (und beobachtete) Strahlungsfluss in solchen Grenzschichten übersteigt den Fluss der leistungsfähigsten Laser in irdischen Laboratorien.

Der Heineman-Preis für Astrophysik wird gemeinsam durch das American Institute of Physics und die American Astrophysical Society verliehen. Er wird von der Heineman Foundation gestiftet, die 1979 gegründet wurde, um herausragende Arbeiten auf dem Gebiet der Astrophysik zu würdigen.

Der Kosmologie-Preis der Peter Gruber Foundation würdigt Personen, die zu grundlegenden Fortschritten auf dem Gebiet der Kosmologie beigetragen haben. Seit dem Jahr 2001 wird der Kosmologie-Preis auch durch die International Astronomical Union mitgefördert.

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