Aussteiger machen Egoisten kooperativ

Evolutionsforscher vom Max-Planck-Institut für Limnologie weisen nach, dass Aussteiger zum Erhalt gemeinschaftlich genutzter Ressourcen beitragen

24. September 2003

Zu Gemeinschaftsgütern, "public goods", hat jeder freien Zugang und profitiert in der Regel davon, wenn er sie auf Kosten anderer übermäßig nutzt. Da es sich für jeden lohnt, das Gemeinschaftsgut zu übernutzen, bleibt es nicht erhalten bzw. bricht schließlich zusammen wie Krankenversicherungssysteme, Fischpopulationen in den Weltmeeren oder möglicherweise auch unser Klima. Ökonomen, Sozialwissenschaftler und seit einiger Zeit auch Evolutionsbiologen untersuchen spieltheoretisch und empirisch, ob es nicht doch Bedingungen gibt, unter denen sich Egoisten kooperativ verhalten und Gemeinschaftsgüter nicht übernutzen, also soziale Dilemma vermeiden. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Limnologie haben jetzt experimentell nachgewiesen (Nature, 25. September 2003), dass die kooperative Bewirtschaftung gemeinschaftlicher Ressourcen durch soziale Aussteiger gestärkt wird.

In den letzten Jahren hat man in der evolutionstheoretischen Forschung große Fortschritte bei der Untersuchung kooperativer Lösungen für den Erhalt von Gemeinschaftsgütern erreicht. Allerdings sind diese Modelle schwer in empirische Studien zu übertragen, mit denen man dann testen kann, ob Menschen in solchen Situationen wirklich die vorausgesagte kooperative Lösung von sich aus erreichen. In einem "Public Goods-Spiel" fragt man zum Beispiel vier Spieler, ob sie bereit sind, jeder einen Euro in einen Gemeinschaftstopf einzuzahlen. Dann verdoppelt man die Summe im Topf und verteilt sie wieder gleichmäßig auf alle vier Spieler - unabhängig davon, ob sie wirklich etwas eingezahlt haben oder nicht. Haben alle eingezahlt, bekommt jeder zwei Euro zurück, würde also einen Euro Gewinn erzielen. Zahlt aber nur ein einziger Spieler nicht ein, bekommt jeder nur durchschnittlich 1,50 Euro heraus, was einen tatsächlichen Nettogewinn von 1,50 Euro für den unkooperativen Spieler und nur 0,50 Euro für jeden kooperativen Spieler bedeutet.

Die Evolutionsökologen Dirk Semmann, Hans-Jürgen Krambeck und Manfred Milinski vom Max-Planck-Institut für Limnologie in Plön haben nun mit 280 Studentinnen und Studenten der Universitäten Bonn, Hamburg und Kiel und einem interaktiven Computerprogramm dieses Szenario experimentell nachgestellt und getestet. Doch dazu haben sie nicht einfach die "Aussteiger"-Option in das Public Goods-Spiel eingeführt, was auch bestenfalls zu rein deskriptiven Ergebnissen geführt hätte. Vielmehr haben sie eine Methode entwickelt, das Spiel so zu manipulieren, dass in den ersten sieben Runden jeweils nur eine Strategie im Display dominiert, egal, was die Spieler tatsächlich gespielt haben. Dies wurde so arrangiert, dass jeder einzelne der sechs Spieler seine Strategie wieder finden konnte und so das Spiel als real ansah. Ab der achten Runde wurden dann die realen Entscheidungen aller Spieler für 50 weitere Runden im Display angezeigt. Das Ergebnis dieser Tests war überraschend klar: Unter jeder Startbedingung konnte die jeweils vorausgesagte Folgestrategie initiiert werden: Kooperatoren folgten auf Aussteiger, Nicht-Kooperatoren den Kooperatoren, Aussteiger den Nicht-Kooperatoren, also die im Modell vorausgesagte Dynamik. Doch auch in den folgenden unbeeinflussten 50 Runden trat deutlich dieselbe Dynamik mit den vorausgesagten Strategiewechseln ein.

Auf diese Weise wurde im Public Goods-Spiel ein im Durchschnitt ungewohnt hoher Anteil von Kooperation erreicht, und alle drei Strategien führten, wie vorausgesagt, zu etwa dem gleichen Nettogewinn. Im Gegensatz zu klassischen Public Goods-Spielen gingen die Studenten also mit einem ansehnlichen Stundenlohn nach Hause. Die Moral von der Geschicht: Die an sich unsoziale Aussteiger-Strategie verhindert, dass unkooperatives Verhalten die Oberhand gewinnt und verhilft durch ihre bloße Existenz kooperativem Verhalten immer wieder zum Durchbruch. Dieses Ergebnis der Tests dürfte auch von allgemeinem Interesse sein, so Milinski: "Es gibt sicher viele Beispiele dafür, dass kleine Gruppen kooperativer sind und mit steigender Gruppengröße immer unkooperativer werden. Vielleicht zeigen sich ja auch vergrößerte Ich-AGs, die von Aussteigern gegründet wurden, einmal als produktiver pro Person als größere Firmen."

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