Forschungsbericht 2011 - Max-Planck-Institut für Kohlenforschung

Erst flach, dann chiral: Ein neuer Ansatz zur asymmetrischen Synthese

Autoren
Maulide, Nuno
Abteilungen
Homogene Katalyse (Prof. Ben List)
Zusammenfassung
Die Herstellung chiraler, enantiomerenreiner Substanzen ist ein zentrales Bestreben der Chemie und von hoher Bedeutung für unsere Gesellschaft. Hier wird ein neuer Ansatz zur asymmetrischen Synthese präsentiert, welcher auf der sauberen und atomökonomischen Umwandlung von aromatischen Ausgangsmaterialien in enantiomerenreine Produkte beruht.

Einleitung

Chiralität ist eine faszinierende Eigenschaft von Objekten, die nicht mit ihren jeweiligen Spiegelbildern zur Deckung gebracht werden können. Dies ist der Grund dafür, dass unsere Hände nicht deckungsgleich sind, weshalb zum Beispiel ein Handschuh für die linke Hand nicht auf die rechte Hand passt. Ebenso ist Chiralität ubiquitär in vielen organischen Substanzen, etwa den „Molekülen des Lebens“, wie Aminosäuren, Zuckern und Nucleotiden (den Bausteinen unserer DNA), aber auch einer Fülle von Pharmazeutika und anderen biologisch aktiven Stoffen. Die Fähigkeit solche Substanzen in nur einer der beiden spiegelbildlichen Formen (den „Enantiomeren“) erzeugen zu können, ist als asymmetrische Synthese definiert und von zentraler Wichtigkeit für die moderne Gesellschaft [1]. Thalidomid ist ein sehr wichtiges Beispiel (Abb. 1), und ein chirales Molekül, das als Paar von Enantiomeren existiert (in der Abbildung als R und S-Form dargestellt). Diese beiden Formen haben jedoch sehr unterschiedliche biologische Eigenschaften: während das R-Enantiomer ein wirksames Sedativ ist, hat die S-Form fruchtschädigende Wirkung (was bei erfolgter Anwendung zu einem drastisch erhöhten Risiko von Geburtsfehlern führt) [2]. Daher wird deutlich, warum die Synthese enantiomerenreiner Substanzen ein wichtiges Ziel der organischen Chemie ist.

Wenn chirale Substanzen auf nicht enantioselektivem Wege hergestellt werden, erhält man eine Mischung gleicher Mengen beider Enantiomere (sogenannte Racemate). Die Umwandlung solcher Racemate in enantiomerenreine Produkte ist ein wertvoller Ansatz, und es gibt einige Möglichkeiten solche „Deracemisierungen“ zu verwirklichen [3].

Aromatische Substanzen als geeignete Startmaterialien

Unter der Vielzahl achiraler Substanzen (Stoffe ohne inhärente Chiralität) sind aromatische Verbindungen, wie Benzol, Pyridin oder Pyron (Abb. 2), besonders leicht zugänglich und stellen eine wertvolle Quelle für Edukte der organischen Synthese dar. Eine offensichtliche und interessante Eigenschaft der in Abbildung 2 gezeigten aromatischen Verbindungen ist ihre inhärente Planarität: Durch die Tatsache, dass alle Atome in einer Ebene liegen, gibt es keine dreidimensionalen Struktureigenschaften dieser Moleküle. Die Möglichkeit solche planaren und einfach zugänglichen Verbindungen mit sauberen, effizienten und atomökonomischen Methoden in enantiomerenreine Produkte umzuwandeln, ist das Ziel der hier beschriebenen Arbeiten.

 

Katalytische Synthese von Cyclobutenen

Bereits vor einigen Jahrzenten wurde beobachtet, dass 2-Pyron unter der Einwirkung von ultraviolettem Licht eine faszinierende Umlagerungsreaktion eingeht und dabei die energiereiche Verbindung A ensteht (Abb. 3) [4]. Daher erschien es ausgesprochen attraktiv, die auf diesem Wege gespeicherte Energie in einem katalytischen Prozess auszunutzen. Die palladium-katalysierte Alkylierung wurde als geeignete Reaktion zur Realisierung dieses Ziels ausgewählt [5]. Dabei wurde gefunden, dass ganz verschiedene Reagenzien (Nu-H in Abb. 3) genutzt werden konnten, und so eine Vielzahl komplex funktionalisierter Vierringsysteme zugänglich ist [6, 7]. Bemerkenswerterweise konnten all diese Produkte in perfekter Atomökonomie erhalten werden; in anderen Worten: alle Atome der Edukte gehen vollständig in die Produkte über, lediglich ein Katalysator wird benötigt um die Reaktion zu kontrollieren. Atomökonomische Stoffumwandlungen erzeugen idealerweise kaum ungewünschte Nebenprodukte und sind daher ökologisch betrachtet äußerst wertvoll [8].

 

Erst flach, dann chiral

Das letztendliche Ziel der hier beschriebenen Methode war die Herstellung enantiomerenreiner Verbindungen. Ein besonders interessanter Punkt der in Abbildung 3 dargestellten Reaktionssequenz ist die Möglichkeit der Verwendung enantiomerenreiner Katalysatoren. Somit könnte die Methode in das Gebiet der asymmetrischen Katalyse vorstoßen [9]. Da die Verbindung A (Abb. 3) bereits chiral – wenn auch racemisch – ist, stellt die Benutzung eines chiralen Katalysators mit anschließender Reaktion eine „Deracemisierung“ dar. Im Verlauf unserer Forschung wurde aufgedeckt, dass geringfügige Unterschiede in der Strukur der optisch reinen Katalysatoren (in Abb. 4 als Kat. I und Kat. II dargestellt) zu drastisch verschiedenen stereochemischen Ergebnissen in Bezug auf das erhaltene Produkt führten (Abb. 4). Die Flexibilität mit welcher eine Vielzahl von Produkten, unterscheidbar nur anhand ihrer exakten stereochemischen Struktur, aus einer einzelnen racemischen Verbindung erhalten werden kann, ist besonders bemerkenswert.

Durch diese Methode ist es jetzt möglich eine einzige racemische Verbindung mit mehreren Stereozentren in ein jedes der vier möglichen Produkte umzusetzen. Diese „diastereodivergente Deracemisierung“ genannte Methode, ist ein bisher unbekanntes Phänomen in der asymmetrischen Synthese und eröffnet hochinteressante Perspektiven für die Zukunft dieses Forschungsfeldes [10].

Ausblick

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass ein neuer Ansatz zur asymmetrischen Synthese entwickelt wurde. Dieses Konzept, basierend auf der Kombination eines sauberen photochemischen und eines katalytischen Prozesses, erzielt die Umwandlung von leicht zugänglichen aromatischen Ausgangsmaterialien in enantiomerenreine Produkte in besonders einfacher und effizienter Weise. Das Potenzial dieses Ansatzes ist offensichtlich und in naher Zukunft können weitere Entwicklungen erwartet werden.

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