Forschungsbericht 2011 - Kunsthistorisches Institut in Florenz - Max-Planck-Institut

Giorgio Vasari: Die Künstlerbiografie als Gegenstand und methodologische Perspektive aktueller kunstwissenschaftlicher Forschung

Autoren
Gründler, Hana; Jonietz, Fabian
Abteilungen
Abteilung Prof. Dr. Alessandro Nova (Prof. Dr. Alessandro Nova)
Kunsthistorisches Institut in Florenz - Max-Planck-Institut
Zusammenfassung
Der 500. Geburtstag Giorgio Vasaris (1511–1574), eines der Wegbereiter der modernen Kunstgeschichte, regt zu einem doppelten Perspektivwechsel an. Zum einen erfordert die lange unterschätzte künstlerische Bedeutung Vasaris, sein Oeuvre erneut grundlegend zu analysieren. Zum anderen kann die Auseinandersetzung mit Vasaris literarischem Hauptwerk, den Lebensbeschreibungen der berühmtesten Maler, Bildhauer und Architekten, eine neue wissenschaftshistorische Perspektive und eine verstärkte methodologische Reflexion in der Kunstgeschichte fördern.

Vasaris Vite – Ein Schlüsseltext der Kunstgeschichte

Die erstmals 1550 im Druck erschienenen Lebensbeschreibungen der berühmtesten Maler, Bildhauer und Architekten, die achtzehn Jahre später in einer revidierten und erweiterten zweiten Fassung noch einmal in Florenz editiert wurden, sind heute vor allem unter dem Titel Le vite bekannt. Sie können als die erste umfangreiche Sammlung an Biografien der Nachantike gelten und umspannen einen Zeitraum von rund dreihundert Jahren, beginnend mit Cimabue bis in die Gegenwart des Autors. Als gedruckte Kompilation von Künstlerbiografien begründet die Schrift eine neue literarische Gattung und ist vor allem auch als kunsttheoretischer Traktat zu lesen. Die Vite stellen dabei eine der wichtigsten Quellen für die Funktion und Rezeption der Bildenden Künste dar und spiegeln zugleich allgemeine kulturelle, literarische und ästhetische Diskurse in der Toskana des 16. Jahrhunderts wider. Auch der Hintergrund der politischen und religiösen Spannungsfelder im Florenz der Mitte des Cinquecentos schlägt sich in unterschiedlicher Weise ebenfalls in beiden Versionen der Vite nieder (Abb. 1).

Das Projekt einer neuen deutschen Übersetzung und wissenschaftlichen Kommentierung dieses grundlegenden Quellentextes der Kunst der italienischen Renaissance ist seit 2006 am Kunsthistorischen Institut in Florenz (Max-Planck-Institut) angesiedelt. Das auf 45 Teilbände angelegte Editionsvorhaben – jedes Jahr werden vier neue Bände vorgelegt – erscheint im Verlag Klaus Wagenbach in Berlin. Anliegen der Übersetzung ist es, sowohl den Stil Vasaris beizubehalten, als auch sein rhetorisches Spektrum zu übertragen, das von der anekdotischen Erzählung bis zum theoretischen Ton der Traktat-Literatur reicht. In der wissenschaftlichen Kommentierung wiederum werden unter anderem die Veränderungen zwischen den Editionen von 1550 und 1568 kritisch beleuchtet sowie mögliche Subtexte aufgezeigt [1]. Zuletzt erschien der Band zum Leben des Lorenzo Ghiberti, für das Frühjahr 2012 ist die Publikation des Lebens Filippo Brunelleschis, Leon Battista Albertis, Andrea Verrocchios und der Brüder Pollaiuolo im Rahmen des Projekts geplant. 2014 wird das Projekt abgeschlossen sein.

Den Ausgangspunkt weiterführender Forschungen zu Vasari bildet somit eine kritische Sichtung und differenzierte Analyse seines literarischen Schaffens. In gleichem Maß gilt dies für die bildkünstlerische Produktion des Malers. So wurde 2008 die aufwendige, von der Forschung allerdings bislang wenig beachtete Freskenausstattung in Vasaris Haus in Florenz durch eine Fotokampagne des Kunsthistorischen Instituts vollständig erfasst und die Dokumentation durch eine Online-Ausstellung zugänglich gemacht. Im Februar desselben Jahres wurde unter dem Titel Die Vite Vasaris: Entstehung, Topoi, Rezeption eine international besetzte Tagung ausgerichtet, deren Akten im Jahr 2010 publiziert worden sind [2]. Unmittelbar vor dem Vasari-Jahr wurde das Opus magnum des Künstlerbiografen aus verschiedenen Perspektiven exemplarisch ergründet. Es wurde nach der Genese der Vite (Autorschaft, Quellen, Schrifttradition, Editionsgeschichte) sowie nach den kunsttheoretischen Konzepten und literarischen Topoi gefragt, derer sich Vasari bewusst oder unbewusst bedient. Die letzte Sektion widmete sich der Rezeptionsgeschichte der Vite. Ziel war, die Lektüre und wissenschaftliche Aneignung der Künstlerbiografien als Bestandteil der Wissenschaftsgeschichte zu verstehen und auf diese Weise mit methodischen Fragen der aktuellen Kunstgeschichte zu verknüpfen. Dabei ergibt sich ein bemerkenswertes Paradoxon: Im Zuge der Etablierung der Kunstgeschichte als eigenständiger universitärer Fachdisziplin und der damit verbundenen Entwicklung wissenschaftlicher Methoden wurde Vasari im Zeitraum zwischen dem frühen 19. und der Mitte des 20. Jahrhunderts zunehmend die Qualität der historiografischen Präzision und Verlässlichkeit abgesprochen. Somit geriet jedoch auch das innovative Potenzial seiner ungewöhnlichen Methoden und Herangehensweisen, für die Vasari das Vokabular teilweise erst entwickeln musste, aus dem Blick (Abb. 2).

Vasaris Methoden – Methoden der Kunstgeschichte?

Vasari bediente sich vielfältiger Strategien, um Informationen zu gewinnen und zu überprüfen. Neben archivalischen Recherchen und epigrafischen Studien ermittelte er Einzelhinweise durch eine der Methode der oral history verwandte mündliche Befragung von Zeugen. Mit dem durch seine eigene künstlerische Ausbildung und Tätigkeit geschulten Blick überprüfte er die Angaben ferner durch Methoden, die heute gerne als Errungenschaften der kunsthistorischen Disziplin im 19. Jahrhundert bezeichnet werden: Darunter fallen die technische und stilistische Analyse eines Kunstwerks sowie die daraus folgende Kontextualisierung, die ein Objekt zeitlich und lokal verortet und im Sinn der connoisseurship („Kennerschaft“) einem Künstler zuordnet. Allerdings kollidiert Vasaris Anspruch an die eigenen methodischen Fähigkeiten in einigen Fällen mit dem Bestreben, Informationen aus politischen oder kulturpolitischen Gründen bewusst in einer bestimmten Weise umzudeuten. Vasaris Urteile müssen deshalb in jedem Einzelfall kritisch überprüft werden. Die ältere Forschung beschränkte sich darauf, solche Angaben Vasaris, die mit den Erkenntnissen der „modernen“ Kunstgeschichte nicht in Übereinstimmung zu bringen sind, schlicht als historiografische Fehler abzutun. Die gegenwärtigen kunsthistorischen Untersuchungen beabsichtigen hingegen, die in den Vite zu findenden „irrigen“ Angaben, Übertreibungen oder Stilisierungen motivisch einzuordnen und subtile Strategien des Autors aufzudecken.

Auch die Beschäftigung mit der ikonografischen Bedeutung von Bildern, die seit dem 19. Jahrhundert ein Kerngebiet kunsthistorischer Forschung ist, findet im Vorgehen Vasaris einerseits einen historischen Vorläufer, durch eine kritische Lektüre der Vite werden andererseits jedoch auch Probleme des konventionellen Verständnisses ikonografischer Systeme ersichtlich. Daher widmet sich ein Teilbereich des Projekts am Kunsthistorischen Institut einer generellen Revision etablierter Vorstellungen zur Konzipierung allegorischer Bildanlagen und ihrer historischen Leseweise im 16. Jahrhundert, dessen Ausgangspunkt gleichermaßen das literarische und bildkünstlerische Schaffen Vasaris ist. Ein weiteres Projekt versucht, ästhetische Kategorien und kunsttheoretische Konzepte der vasarianischen Vite, die in der Vergangenheit nur am Rande untersucht worden sind, in einen breiteren kulturhistorischen und philosophischen Kontext einzubinden (Abb. 3). Anhand einzelner Viten konnten die Fallstudien zeigen, dass zum Beispiel die Kategorie des Erhabenen, die gerade in der Kunstgeschichte auf das Engste mit dem 18. und frühen 19. Jahrhundert verknüpft ist, bereits für die Kunst und Kunsttheorie des Cinquecento von Bedeutung ist. Auch im Hinblick auf Vasaris Vorstellungen über die Melancholie, in denen er auf medizinische, bürgerhumanistische und philosophische Diskurse rekurrierte, ist eine disziplinübergreifende Herangehensweise an die Vite wichtig. Eine derartige Methode ermöglicht es zugleich, eine wissenschaftshistorische Perspektive einzunehmen, die interpretatorische Ansätze historisch einbindet und relativiert.

Mit einer weiteren Veranstaltung hat das Kunsthistorische Institut der Notwendigkeit Rechnung getragen, Vasari aus dieser transdisziplinären Perspektive heraus zu erforschen: In Kooperation mit der im Jahr 1563 von Vasari mitbegründeten und auch heute noch aktiven Accademia delle Arti del Disegno wurde zwischen September und Dezember 2011 die interdisziplinäre Vortragsreihe I Mondi del Vasari: Accademia, Lingua, Religione, Storia, Teatro ausgerichtet. In dieser wurde Vasaris literarisches und malerisches Werk sowohl von hochrangigen Vertretern der Kunstgeschichte als auch von renommierten Historikern, Sprachwissenschaftlern und Theaterwissenschaftlern multiperspektivisch untersucht. Die Einbeziehung von Restauratoren aus dem Florentiner Opificio delle Pietre Dure verdeutlicht einmal mehr, dass die Vasari-Forschungen des Kunsthistorischen Instituts auf die Vernetzung mit zahlreichen italienischen Institutionen bauen und die materiellen Artefakte als Ausgangspunkt jeglicher Untersuchungen nicht vernachlässigt werden.

Burzer, K.
Der Gründungstext der Kunstgeschichte: Giorgio Vasaris Vite in einer neuen deutschen kommentierten Ausgabe.
München: Max-Planck-Gesellschaft, Forschungsbericht, 2008.
Burzer K.; Nova, A.; Davis, C.; Feser, S. (Hg.)
Die Vite Vasaris. Entstehung – Topoi – Rezeption, Le Vite di Vasari. Genesi – Topoi – Ricezione. Akten des internationalen Kongresses/Atti del convegno internazionale, Kunsthistorisches Institut in Florenz, Firenze, 14.2.–18.2.2007.
Venedig: Marsilio, 2010.
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