Forschungsbericht 2011 - Max-Planck-Institut für Ökonomik (1993 bis 2014)

Von Interessenkonflikten auf dem Finanzmarkt und Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt

Autoren
Angelova, Vera
Abteilungen
Abteilung Strategische Interaktion
Max-Planck-Institut für Ökonomik, Jena
Zusammenfassung
Wie können Kunden selbst die Qualität einer Finanzberatung erhöhen? Wann und warum werden Beschäftigte mit befristeten Arbeitsverträgen schlechter bezahlt als Beschäftigte mit unbefristeten Verträgen? Forscher am Max-Planck-Institut für Ökonomik berichten über zwei Experimente mit möglichen Anwendungen für den Finanzmarkt und den Arbeitsmarkt.

Information, Interessenkonflikte und das Prinzipal-Agenten-Problem

Inwiefern gleichen sich die Beziehungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, Kunde und Finanzberater, Wähler und Politiker, Patient und Arzt? Alle diese Beziehungen sind durch asymmetrische Information und Interessenskonflikte charakterisiert. Ökonomen sprechen in diesem Fall von Prinzipal-Agenten-Problemen. Gewöhnlich verfügen Agenten (Arbeitnehmer, Finanzberater, Politiker, Arzt) über Informationen und/oder spezifische Fachkenntnisse, die Prinzipale (Arbeitgeber, Kunde, Wähler, Patient) nicht haben. Die Interessen der beiden Parteien stimmen oft nicht (vollständig) überein. Beispielsweise möchte einPatient unter den wirksamen Arzneimitteln das Billigste kaufen, während der Arzt ihm vielleicht eins der teureren verschreibt, da der Hersteller die Forschung des Arztes finanziert. Da der Patient die Fachkompetenz nicht besitzt, um selber eine geeignete Medizin auszuwählen, vertraut er dem Arzt und handelt nur teilweise im eigenen Interesse.

Wie die Beispiele zeigen, sind Prinzipal-Agenten-Probleme universell und können mit gravierenden Nachteilen für den Prinzipal verbunden sein. Ökonomen beschäftigen sich deshalb seit Langem mit der Frage, wie man diese Probleme überwinden kann. Geht man davon aus, dass in einer arbeitsteiligen Gesellschaft die Informationsasymmetrie nicht aufzuheben ist, bleibt als Lösung nur, die Interessen des Prinzipals und des Agenten in Einklang zu bringen. Die ökonomische Theorie schlägt vor, dies durch Anreizverträge zu erreichen. Im Kontext der Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Beziehung ist die einfachste Form eines Anreizvertrages der Stücklohn. Je mehr Stücke der Arbeitnehmer produziert, desto mehr verdient sowohl er selbst als auch sein Arbeitgeber. Diese Form der Anreizgestaltung ist natürlich oft nicht möglich, vor allem, wenn es etwa um hoch qualifizierte Berufe oder Teamarbeit geht. In diesen Fällen können Arbeitgeber ihren Arbeitnehmern zum Beispiel Boni für das Erreichen bestimmter Ziele oder eine Beteiligung am Gewinn anbieten, um sie zu motivieren.

Eine Alternative zu den externen Anreizen ist es, die intrinsische Motivation der Agenten, konkret deren Neigung zur Reziprozität, anzusprechen: Der Prinzipal könnte den Agenten mit einem großzügigen, vom Agenten als fair empfunden Lohn motivieren (fair wage-effort hypothesis) [1]. Experimente bestätigen, dass Prinzipale in der Tat durch hohe Festlöhne Agenten motivieren wollen, die frei über die eigene Arbeitsleistung entscheiden [2]. Ein Beispiel dafür ist die frühere Form der Professorenbesoldung, allgemein der Beamtenbesoldung, deren teilweise Abschaffung allerdings die Neigung der Beamten zur Reziprozität bezweifeln lässt.

Die im Folgenden vorgestellten Studien beschäftigen sich jeweils mit einem Prinzipal-Agenten-Problem: Die erste Studie untersucht die Frage, ob Kunden durch (freiwillige) Vorauszahlungen Finanzberater in einem Interessenkonflikt veranlassen können, im Interesse der Kunden zu beraten. Die zweite Studie geht der Frage nach, ob befristete Arbeit anders entlohnt wird als unbefristete, und wenn ja, warum. Die erste Fragestellung ist besonders interessant im Hinblick auf die Finanzkrise und den Finanzmarkt. Die zweite Fragestellung bezieht sich auf eine Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Konstellation, die in der modernen Arbeitswelt immer häufiger anzutreffen ist.

Wie bringen Kunden ihre Finanzberater dazu, gute Ratschläge zu geben?

Gegenwärtig erhalten die meisten Finanzberater in Deutschland eine Provision für jedes verkaufte Finanzprodukt. Die Kunden bezahlen in der Regel nichts und nur in Ausnahmefällen ein Stundenhonorar für die Beratung. Nur sehr wenige Berater arbeiten ausschließlich auf Honorarbasis. Die von den Finanzinstituten bezahlten Provisionen hängen vom Produkttyp ab, und das für den Kunden beste Produkt muss nicht dasjenige sein, mit dem der Berater die höchste Provision verdient. Berater sind somit einem Interessenkonflikt ausgesetzt und können versucht sein, Produkte zu empfehlen, die ihnen persönlich hohe Provisionen bringen – unabhängig davon, ob dieses Produkt den Interessen des Kunden bestmöglich gerecht wird oder nicht. Dieser Konflikt sollte experimentell untersucht werden [3].

Verlauf des Experiments

Teilnehmer in der Rolle des Beraters müssen Teilnehmern in der Rolle des Kunden eines von drei Produkten empfehlen. Der Kunde kann, muss aber nicht der Empfehlung folgen, wobei die Provision des Beraters vom gewählten und nicht vom empfohlenen Produkt abhängt. Aufgrund dieser Empfehlung wählt der Kunde danach ein Produkt aus. Jedes der drei Produkte ist mit jeweils einer Auszahlung an den Kunden (Gewinn) und den Berater (Provision) verbunden. Die Höhe dieser Auszahlungen kennt nur der Berater, und das für den Berater profitabelste Produkt ist nicht gleichzeitig das beste Produkt für den Kunden.

Vor der Beratung kann der Kunde dem Berater eine (freiwillige) Zahlung anbieten. Die angebotene Zahlung reicht jedoch nicht aus, um den Verlust des Beraters auszugleichen, wenn dieser das für den Kunden beste Produkt empfiehlt. Die Varianten des Experiments (Treatments) variieren sowohl die Höhe als auch die Freiwilligkeit der Zahlung. Konkret kann die Zahlung freiwillig oder obligatorisch und hoch oder niedrig sein, sodass es insgesamt vier Treatments gibt. Dabei nimmt jeder Proband nur an einem Treatment teil. Treatments mit der obligatorischen Zahlung ähneln dem Mischmodell (Provision und Honorar) zur Entlohnung von Finanzberatern, das auf Finanzmärkten anzutreffen ist. Die freiwillige Zahlung kann wie ein Geschenk an den Berater verstanden werden, das eine reziproke Handlung seitens des Beraters provozieren soll. Die Forschungsfragen lauten: Bewegt die Zahlung – freiwillig oder obligatorisch – die Berater dazu, im Interesse der Kunden zu beraten? Folgen die Kunden häufiger dem Rat, wenn sie (freiwillig) dafür bezahlt haben?

Ergebnisse

Das Experiment zeigt, dass alle Zahlungen (unabhängig von Höhe und Art) zu mehr Beratung im Interesse der Kunden führen (Abb. 1). Die Kunden sind zugleich (eher) bereit, dem Rat zu folgen, wenn sie (freiwillig) für die Beratung bezahlt haben (Abb. 2). Für die Praxis würde das bedeuten, dass (freiwillige) Honorare an den Berater zu besserer Beratung im Sinne des Kunden führen.

Werden befristet Beschäftigte schlechter bezahlt? Wenn ja, warum?

In Unternehmen, Universitäten oder öffentlichen Einrichtungen arbeiten Arbeitnehmer mit befristeten Verträgen und solche mit unbefristeten Verträgen immer häufiger Seite an Seite. Wird gleiche Arbeit gleich entlohnt, unabhängig von der Dauer der Beschäftigung?

Das zweite Experiment [4] unterstellt, dass sich zwei Arbeitnehmer nicht in ihrer Produktivität, sondern ausschließlich durch Befristung beziehungsweise Nichtbefristung ihrer Arbeitsverträge unterscheiden. Wird der Arbeitgeber ihnen dennoch unterschiedliche Arbeitsverträge anbieten? Falls ja, wovon hängt die Diskriminierung ab, und wie reagieren die Arbeitnehmer, vor allem die Benachteiligten, auf diese?

Verlauf des Experiments

Experimentteilnehmer in der Rolle des Arbeitgebers bieten jeweils einem unbefristet und einem befristet eingestellten Arbeitnehmer gleichzeitig Arbeitsverträge an. Jeder Arbeitsvertrag besteht aus einer fixen Lohnkomponente (Gehalt), einer variablen Lohnkomponente (Stücklohn) und einer gewünschten Arbeitsleistung, deren jeweilige Höhe vom Arbeitgeber festgelegt wird. In einer Variante des Experiments erhält jeder Arbeitnehmer nur Einsicht in den eigenen Vertrag, in der anderen Variante sieht er beide Verträge. Danach entscheidet jeder Arbeitnehmer, wie viel er arbeiten möchte. Der unbefristet Beschäftigte bleibt für die Dauer von zehn Perioden beim selben Arbeitgeber, während der befristet Eingestellte in jeder Periode seinen Arbeitgeber wechselt. In jeder Periode müssen Arbeitgeber Verträge bieten und Arbeitnehmer über ihre eigene Arbeitsleistung entschieden.

Ergebnisse

Den Resultaten zufolge benachteiligen Arbeitgeber die befristet Beschäftigten. Diese Diskriminierung wird stärker, wenn Arbeitnehmer die Verträge nicht vergleichen können. Benachteiligte Arbeitnehmer arbeiten weniger, auch wenn sie selbst dadurch weniger verdienen. Anscheinend sind Arbeitgeber gewillt, mit unbefristet Beschäftigten eine Beziehung aufzubauen, die auf Reziprozität basiert. Großzügige Löhne werden durch höhere Produktivität belohnt. Die kürzere Beschäftigungsdauer erschwert den Aufbau einer solchen Beziehung. Des Weiteren zeigt das Experiment einen Weg, die Diskriminierung zu bekämpfen – durch Offenlegung von Gehältern.

Akerlof, G. A.; Yellen, J. L.
The fair wage-effort hypothesis and unemployment.
Quarterly Journal of Economics 105 (2), 255–283 (1990)
Fehr, E.; Kirchsteiger, G.; Riedl, A.
Does fairness prevent market clearing? An experimental investigation.
Quarterly Journal of Economics 108 (2), 437–460 (1993)
Popova, V.
What renders financial advisors less treacherous? On commissions and reciprocity. Jena Economic Research Papers 2010-036.
Jena: Max Planck Institute of Economics (2010)
Angelova, V.; Güth, W.
Co-employment of permanently and temporarily employed agents.
Labour Economics 19 (1), 48–58 (2012)
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