Forschungsbericht 2009 - Max-Planck-Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern

Wie bekämpft man Steuerhinterziehung: Mit moralischen Appellen, sozialer Information oder Strafandrohungen?

Autoren
Traxler, Christian
Abteilungen
Zusammenfassung
Wie sollen moderne Gesellschaften Steuerhinterziehung bekämpfen? Das ökonomische Modell rät, die richtigen Anreize über die Androhung und Implementierung von Geldstrafen und rechtlichen Konsequenzen zu setzen. Doch funktioniert dieser Ansatz? Könnten wir alternative, möglicherweise erfolgreichere Methoden entwickeln, die auf moralischen Appellen und sozialen Normen beruhen? In einem Feldexperiment zu Rundfunkgebührenhinterziehung versucht das Max-Planck-Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern diese Fragen zu beantworten.

Haben Sie jemals ein Gesetz verletzt? Steuern hinterzogen? Keine Sorge, Ökonomen haben dafür Verständnis. Die ökonomische Analyse von Gesetzesverstößen [1] basiert auf dem Menschenbild des Homo oeconomicus. Und es ist ganz und gar nicht verwunderlich, wenn dieser amoralische, rationale Egoist regelmäßig Gesetze missachtet, zumal viele Verstöße nur mit geringer Wahrscheinlichkeit aufgedeckt und mit relativ milden Sanktionen belegt werden. Für den emotionslosen Entscheidungsträger, der bereit ist, ein überschaubares Risiko einzugehen, lohnt es sich somit, Gesetze zu verletzen. Wer also regelmäßig die Urlaubseinkäufe aus New York nicht verzollt, passt wunderbar in die ökonomische Modellwelt.

Nachdem Ökonomen aber auch Menschen sind, wissen sie, dass der Homo oeconomicus nur ein vereinfachendes Konstrukt ist, ein Baustein für formale Analysen (im Übrigen, ein äußerst erfolgreicher). Menschliches Handeln ist in einen komplexen gesellschaftlichen Rahmen eingebettet und um einiges vielschichtiger als in typischen Modellwelten dargestellt. In der Form von sozialen Normen hat dieser Rahmen auch Einzug in die moderne Mainstream-Ökonomie erhalten. Neben dem finanziellen Eigeninteresse widmen sich Ökonomen vermehrt der Bedeutung von Emotionen, kognitiven Limitationen und bedingt rationalen Verhaltensmustern. Dies gilt auch für die ökonomische Analyse von Gesetzesverstößen [2]. Es sind unter anderem soziale Sanktionen (etwa Stigmatisierung), die das Befolgen von Gesetzen mitbestimmen: Wer „schwarzfährt“, hat nicht nur fünfzig Euro Geldstrafe zu befürchten, sondern auch ein schlechtes Gewissen und die Blicke der anderen Fahrgäste.

Wenn nun solche „weichen“ sozialen Motive stark genug sind, können wir Strategien entwickeln, diese Motive zu verstärken, und damit Schwarzfahren und Steuerhinterziehen reduzieren? Wie erfolgreich wären solche alternativen Strategien im Vergleich zu den „harten“ Anreizen, die die Einhaltung von Gesetzen unterstützen? Diese Fragen versucht ein empirisches Forschungsprojekt am Max-Planck-Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern zu beantworten.

Will man sich diesen Forschungsfragen nähern, gilt es einen institutionellen Rahmen zu finden, in dem ein Verstoß gegen ein Gesetz nicht nur eine Verletzung einer sozialen Norm darstellt, sondern auch klar messbar ist. Nachdem Normverletzungen typischerweise im Verborgenen stattfinden, gestaltet sich diese Suche schwierig. Das Beispiel der Quantifizierung von Einkommensteuerhinterziehung zeigt: Exakte Maße für das Hinterziehungsniveau liegen im Allgemeinen nicht vor, schon gar nicht auf individueller Ebene. Für eine spezielle Form von Hinterziehung – der Hinterziehung der Gebühren für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk – ist dies jedoch möglich.

Zum einen lässt sich Rundfunkgebührenhinterziehung relativ einfach messen. In Österreich, wo pro Haushalt nur eine Person Rundfunkgebühren entrichten muss, besitzen beinahe alle Haushalte ein Radio oder einen Fernseher [3]. Hat ein Haushalt kein Gerät gemeldet, ist das ein recht präziser Indikator für Hinterziehung. Zum anderen gilt auch hier: Wer Rundfunkgebühren hinterzieht, muss nicht nur mit finanziellen Strafen rechnen, ihm drohen auch soziale Sanktionen. In einer repräsentativen Umfrage gaben etwa 40 Prozent der Befragten an, den Kontakt zu einem Bekannten abzukühlen oder ihm deutlich ins Gewissen zu reden, sollte dieser Gebühren hinterziehen [4]. Eine soziale Norm der Gebührenehrlichkeit spiegelt sich auch in der durchschnittlichen Befolgungsrate wieder. GIS (Gebühren Info Service GmbH; das österreichische Pendant zur deutschen GEZ) schätzt, dass mehr als 90 Prozent aller Haushalte ihre Rundfunkgeräte gemeldet haben.

Hinterziehung von Rundfunkgebühren – ein Feldexperiment

In einem Feldexperiment wurde nun getestet, ob man Gebührenhinterziehung mit weichen Strategien – mit moralischen Appellen oder der Verbreitung von Informationen über das Verhalten anderer Haushalte (Social information) – begegnen kann, und wie erfolgreich diese Strategien im Vergleich zur Androhung von finanziellen und rechtlichen Konsequenzen sind. In Kooperation mit GIS wurden etwa 50.000 potenzielle Schwarzseher mit unterschiedlichen Schreiben (Treatments) kontaktiert [3]. Als Benchmark wurde der Standardbrief von GIS verwendet. Der neutrale Brief weist die Empfänger darauf hin, dass laut Aufzeichnungen von GIS in diesem Haushalt kein Rundfunkgerät gemeldet ist, und fragt nach, ob dies auch korrekt sei. Für den Fall, dass eine Anmeldung bisher „vergessen“ wurde, liegt ein Meldeformular bei.

In einem ersten, weichen Treatment wurde der Standardbrief um einen moralischen Appell erweitert: „Wer seine Rundfunkempfangsgeräte nicht gewissenhaft anmeldet, verstößt nicht nur gegen ein Gesetz, sondern schadet auch allen ehrlichen Haushalten – Anmelden ist also auch eine Frage der Fairness.“

Ein weiteres Treatment fügte Information über die Ehrlichkeit der anderen Haushalte ein: „Wissen Sie übrigens, dass beinahe alle Bürger dieser gesetzlichen Verpflichtung [Empfangsgeräte zu melden] nachkommen? Es sind 94 Prozent, also eine überwältigende Mehrheit aller Haushalte, die ihre Rundfunkempfangsgeräte gemeldet haben.“

In einem anderen Treatment wurde dem neutralen Text folgende Drohung beigefügt: „Sollten Sie auf dieses Schreiben nicht reagieren, wird Sie demnächst ein Mitarbeiter der GIS kontaktieren, um eine persönliche Auskunft zu erhalten. … Bedenken Sie bitte, dass Ihnen in diesem Fall rechtliche Konsequenzen sowie erhebliche Kosten entstehen können.“

Zusätzlich zu diesen Brief-Treatments wurde eine zufällige Stichprobe aus der Testgruppe ausgewählt und nicht kontaktiert. Der Erfolg der unterschiedlichen Treatments wurde schließlich daran gemessen, wie häufig sich die Haushalte in einem Treatment für Rundfunkgebühren anmeldeten (sei es, mit dem Antwortschreiben, via Telefon- oder Online-Meldung oder über ein anderes Meldeformular). Parallel zur Analyse der Verhaltensreaktion wurde auch die Wahrnehmung der Briefe untersucht [3]. In einer Online-Umfrage wurden dazu Individuen mit einem Gebührenhinterziehungsszenario und – randomisiert – mit einem der unterschiedlichen Briefe konfrontiert. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer wurden daraufhin zu ihren Einschätzungen und Risikoempfindungen befragt (Wahrscheinlichkeit und Ausmaß von Geldstrafen und unterschiedlichen sozialen Sanktionen etc.).

Ergebnisse – Erklärungsmodelle im Vergleich

Die Studie lieferte folgende Ergebnisse: Das Senden der Briefe führte zu einem substanziellen Anstieg der Meldungen. In jener Untersuchungsgruppe, die nicht kontaktiert wurde, meldeten in den ersten 50 Tagen der Studie nur 0,8 Prozent der Haushalte ein Rundfunkgerät an. In der Gruppe, die Briefe erhalten hatte, waren es im Vergleichszeitraum durchschnittlich etwa 8 Prozent. Zwar könnte die Verzehnfachung der Meldungen lediglich auf einem Transaktionskosteneffekt beruhen (auf einen Brief zu reagieren kostet weniger Zeit, als selbst aktiv zu werden), doch die Daten aus der Online-Umfrage sprechen dagegen. Die Brief-Treatments führen zu einem drastischen Anstieg des empfundenen Entdeckungsrisikos. Die erwarteten Kosten der Hinterziehung steigen demnach mit dem Erhalt eines Briefes (unabhängig vom Brieftyp), und damit der ökonomische Anreiz, sich für Rundfunkgebühren anzumelden.

Auch das zweite Resultat fügt sich in das klassische ökonomische Modell. Im Vergleich zum neutralen Brief führte das Androhen von rechtlichen und finanziellen Sanktionen zu wesentlich mehr Meldungen. Etwa 15 Prozent mehr Haushalte begannen, Rundfunkgebühren zu bezahlen. Auch hier zeigt die Umfrage, dass der Erfolg der Drohung auf deren Wirkung auf die erwartete Sanktionswahrscheinlichkeit und die Höhe der Geldstrafen beruht.

Wie schneiden nun die alternativen Ansätze ab? Im Vergleich zum Referenzbrief führte der moralische Appell zu einem leichten Rückgang der Meldungen. Um dieses überraschende Resultat einzuordnen, muss verdeutlicht werden, dass die Adressaten vorwiegend aus jener Gruppe stammen, die bewusst Rundfunkgebühren hinterzieht. Rechtssoziologische Studien haben gezeigt, dass sich innerhalb von Gruppen, die gesellschaftliche Normen verletzen, oft antisoziale Normen etablieren. Ein Appell, der betont, dass „Anmelden eine Frage der Fairness“ sei, kann somit Reaktanz hervorrufen, wenn die adressierte Norm mit jener Fairness-Norm in Konflikt tritt, die in der Gruppe vorherrscht (etwa: „Ein Pay-per-View-Verfahren ist fair, nicht aber eine Einheitsgebühr.“).

Die soziale Information, dass 94 Prozent der Haushalte ein Rundfunkempfangsgerät gemeldet haben, zeigte insgesamt keinen statistisch signifikanten Unterschied zum neutralen Standardbrief. Die Information kann jedoch sehr unterschiedlich aufgenommen werden, je nachdem ob der Brief Empfänger Gebührenhinterziehung für weitverbreitet oder äußerst selten hält. Um dem Effekt der Information gerecht zu werden, muss somit auf Ex-ante-Erwartungen hinsichtlich des Hinterziehungsverhaltens der Anderen konditioniert werden. Wird dies getan, zeigt die soziale Information im Vergleich zum Referenzbrief einen positiven [schwach negativen] Effekt bei Haushalten, die ursprünglich ein relativ hohes [niedriges] Hinterziehungsniveau vermuteten. Im Kontext sozialer Normen lässt sich dieses Ergebnis einfach interpretieren. Normen sind umso stärker, das heißt von stärkeren sozialen Sanktionen unterstützt, je häufiger sie befolgt werden. Lernen nun Haushalte aus dem Informationsbrief, dass weniger Menschen hinterziehen als ursprünglich vermutet, so sollten diese Haushalte von einer stärkeren Norm und damit stärkeren sozialen Sanktionen ausgehen. Die erwarteten sozialen Kosten einer Hinterziehung steigen, und damit die Neigung sich anzumelden. Der Effekt kehrt sich um, wenn schon vorher von einem niedrigen Hinterziehungsniveau ausgegangen wird. In der gesamten Untersuchungsgruppe können sich somit positive und negative Effekte aus dem Informations-Treatment ausgleichen.

Fazit

Die Resultate des Feldexperimentes legen nahe, dass moralische Appelle kein adäquates Mittel darstellen, Gebührenhinterzieher zur Ehrlichkeit zu bewegen. Im Gegenteil, Appelle können sogar schädlich sein. Die Verbreitung von sozialer Information könnte zwar mehr Gebührenehrlichkeit erreichen, die Anwendbarkeit der Strategie scheint jedoch begrenzt zu sein, zumal bei heterogenen Einschätzungen über das Verhalten anderer eine Information gegenläufige Effekte hervorrufen kann. Für eine erfolgreiche Umsetzung müsste somit die „richtige“ Information an die „richtige“ Zielgruppe gerichtet werden – eine Einschränkung, der in der Praxis oft nur schwer entsprochen werden kann. So bleibt das Androhen von formalen Sanktionen. Das Feldexperiment zeigt, dass die Drohung den erwünschten Abschreckungseffekt erzielen konnte. Weitere, nichtexperimentelle Felddaten bestätigen dieses Resultat [5]. Das Modell des amoralischen Homo oeconomicus, der die erwarteten Kosten und den Nutzen einer Hinterziehung abwägt, scheint also nicht die abwegigste Modellierung zu sein – zumindest nicht für österreichische Rundfunkgebührenhinterzieher.

Originalveröffentlichungen

G. S. Becker:
Crime and Punishment: An Economic Approach.
Journal of Political Economy 78, 169–217 (1968).
R. H. McAdams, T. S. Ulen:
Behavioral Criminal Law and Economics.
In: N. Garoupa (Ed.), Criminal Law and Economics, Edward Elgar Publishing (2009).
G. Fellner, R. Sausgruber, C. Traxler:
Testing Enforcement Strategies in the Field: Legal Threat, Moral Appeal and Social Information.
Max-Planck-Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern, Preprint 2009/31.
C. Traxler, J. Winter:
Survey Evidence on Conditional Norm Enforcement.
Max-Planck-Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern, Preprint 2009/03.
J. Rincke, C. Traxler:
Deterrence through Word of Mouth.
Max-Planck-Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern, Preprint 2009/04.
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